netzeitung.de: Neururer: Liga wird nicht genug geschätzt

  • Peter Neururer sieht den Beitrag der Bundesliga am WM-Erfolg nicht richtig gewürdigt. Außerdem zweifelt der Trainer von Hannover 96 im Interview mit der Netzeitung am Star-Status von Lukas Podolski


    Peter Neururer ist seit über 15 Jahren Trainer in der Bundesliga und ein großer Fan der höchsten deutschen Spielklasse. Der Coach von Hannover 96 sieht die Bundesliga als eine der stärksten Ligen in Europa, die nach der erfolgreichen WM noch an Attraktivität gewonnen habe. «Unsere Stadien sind die schönsten und attraktivsten in Europa, die Zuschauerzahlen sind die höchsten, die Umfelder in den meisten Vereinen stimmen, der Wettbewerb ist okay», sagte der 51-Jährige im Interview mit der Netzeitung.


    Bundesliga nicht gewürdigt


    Die Kritik des ehemaligen Nationaltrainers Jürgen Klinsmann und von DFB-Manager Oliver Bierhoff an der Fitness der Bundesligaspieler vor der WM findet Neururer nicht gerechtfertigt. «Da haben sich zwei Leute über die Arbeitsweisen in der Bundesliga geäußert, die sich in der Szene direkt nicht auskennen.» Die Basis für den Fitnessgrad der Nationalspieler sei in der Bundesliga gelegt worden und nicht in der WM-Vorbereitung, beklagt er zudem die fehlende Würdigung der Bundesliga am WM-Erfolg.


    Der Mann aus Gelsenkirchen hat zudem ein Problem mit der Bezeichnung Star. «Stars werden normalerweise von Medien gedacht», sagt Neururer - und nennt das Beispiel Lukas Podolski. Der neue Bayern-Stürmer werde als Starspieler bezeichnet, habe aber über die vergangenen zwei Jahre nicht konstant gute Leistungen gebracht und nicht den Erfolg eines Top-Spielers gehabt. «Er ist zum zweiten Mal mit dem 1. FC Köln abgestiegen», stellt Neururer trocken fest.


    Netzeitung: Herr Neururer, Sie haben kürzlich noch die Zustände bei Hannover 96 als katastrophal bezeichnet. Fühlen Sie sich nach den Unruhen um den Führungswechsel an der Vereinsspitze (Hannovers Vorsitzender Martin Kind kehrte ein Jahr nach seinem Rücktritt wieder zurück, Geschäftsführer Karl-Heinz Vehling trat zurück, Anm. d. Red.) bestätigt?


    Peter Neururer: Über die Führung oder die Mitarbeiter von Hannover 96 habe ich kein Wort verloren. Ich habe auch gar kein Interesse, die Führungsarbeit zu analysieren oder zu kritisieren.


    Netzeitung: Schaden diese öffentlich ausgetragenen Machtkämpfe nicht dem Ansehen von Hannover 96?


    Neururer: Wir sind sehr froh, dass Herr Kind wieder zurück ist. Das trifft auf die Mannschaft - die Herrn Kind noch größtenteils kennt - und mich zu. Wir spüren außerdem keinen negativen Einfluss durch den Führungswechsel und haben auch gar keinen Einfluss darauf.


    Netzeitung: Das heißt also im Umkehrschluss, dass Sie mit den Vorgängern von Herrn Kind nicht zufrieden waren?


    Neururer: Dazu möchte ich mich nicht äußern.



    »Kaenzig gibt mir Rückendeckung«


    Netzeitung: Ihnen wird ein schwieriges Verhältnis zu Manager Ilja Kaenzig nachgesagt, dem auch Martin Kind nicht gerade wohl gesonnen sein soll.


    Neururer: Das stimmt überhaupt nicht. Ich weiß auch nicht, wer auf diese Idee gekommen ist. Das Verhältnis zwischen Herrn Kaenzig und mir ist genau so, wie es zwischen einem Bundesliga-Trainer und einem Manager sein sollte: Loyales Verhalten, täglicher Austausch, gleiches Denken über Fußball. Herr Kaenzig gibt mir Rückendeckung, ich habe im sportlichen Bereich total freie Hand.


    Netzeitung: Wie beurteilen Sie die Neuzugänge? Kapitän Altin Lala hat bemängelt, dass keiner der neuen Spieler über Bundesliga-Erfahrung verfügt.


    Neururer: Altin Lala ist auch zu Hannover 96 gekommen, hatte keinerlei Erfahrung im bezahlten Fußball und hat seinen Weg hier gemacht. Andersson, Bruggink oder Huszti sind alles Leute mit internationaler Erfahrung, die in ihren Ländern Nationalspieler sind. Den Niederländer Arnold Jan Bruggink wollte ich schon vor drei Jahren nach Bochum holen, leider hat es nicht geklappt. Er ist bereits jetzt in der Mannschaft sehr angesehen und im Spielerrat.


    Netzeitung: Mit dem Spielerrat haben Sie einen Strafenkatalog festgelegt. Bei diversen Vergehen, etwa wenn Spieler Cola oder Limonade trinken, müssen sie teilweise sehr hohe Summen zahlen. Ist so etwas wirklich notwendig?


    Neururer: Wenn sich ein Fußballer, der sehr gut bezahlt wird, in der Öffentlichkeit negativ über den Klub oder Mitspieler äußert, ist die Summe immer gerechtfertigt. Gewisse Regeln müssen einfach eingehalten werden, um in der Gemeinschaft über Disziplin zum Erfolg zu kommen.


    Netzeitung: Sie sind seit November 2005 im Verein. Muss Hannover 96 nicht einen höheren Anspruch haben als Platz zwölf wie in der letzten Saison.


    Neururer: Man muss immer den Rahmen unserer Möglichkeiten sehen...



    Kein Ziel genannt


    Netzeitung: Weshalb so zurückhaltend? Für die kommende Spielzeit haben Sie das Ziel noch nicht ausgegeben.


    Neururer: Weil ich noch gar nicht genau weiß, wer am ersten Spieltag bei uns in der Mannschaft steht. Es ist noch nicht sicher, ob Per Mertesacker bleibt, und falls er gehen sollte, wer der Ersatzmann ist. Wenn ich weiß, wie wir für die Saison aufgestellt sind, werde ich mich über eine Zielsetzung äußern, vorher nicht.


    Netzeitung: Es zeichnet sich doch schon länger ab, dass Mertesacker den Verein in Richtung Werder Bremen verlassen möchte. Hätte man sich nicht schon früher um einen Ersatz kümmern müssen?


    Neururer: Das sehe ich nicht so. Die Situation hat ja nicht mein Verein zu verschulden, sondern das liegt an der Verhaltensweise von Werder Bremen. Der Spieler steht bei uns bis 2008 unter Vertrag, wird aber dennoch angesprochen. Doch das scheint einige Leute nicht zu interessieren. Da ist seit dem Bosman-Urteil einiges abgedriftet.


    Netzeitung: Falls Mertesacker bei 96 bleiben sollte, glauben Sie, dass er dann mit vollem Herzen bei der Sache ist? Werder-Spieler Torsten Frings hat genau dies bezweifelt.


    Neururer: Wenn Torsten Frings das meint, bezieht er sich vielleicht auf seine eigene Verhaltensweise. Per Mertesacker wird, wenn er bei 96 bleibt, mit Sicherheit zu hundert Prozent Gas geben. Als hoch veranlagter Spieler und WM-Teilnehmer möchte er weiter im Gespräch bleiben und wird sich nicht hängen lassen.


    Netzeitung: Wie hoch schätzen Sie denn die Möglichkeit ein, dass er in Hannover bleibt?


    Neururer: Das hängt einzig und allein von der Wertschätzung ab, die Werder Per entgegen bringt, sprich, wie viel Ablöse die Bremer bereit sind zu zahlen. Sollte er 96 verlassen, haben wir die eine oder andere Alternative an der Hand.



    Lobeshymne auf Uli Hoeneß


    Netzeitung: Per Mertesacker ist durch sein Auftreten bei der WM schon so etwas wie der Star bei Hannover 96. Nun gibt es in der Bundesliga die Diskussion, ob die Vereine nicht mehr Risiko eingehen sollten, um einen Topstar aus dem Ausland zu bekommen. Uli Hoeneß findet, man müsse «selbst Stars entwickeln«.


    Neururer: Was heißt Stars ausbilden? Stars werden normaler Weise von den Medien gedacht. Schauen Sie sich etwa Lukas Podolski an. Wie viel überragende Spiele hat er in der vergangen Saison gemacht? Er ist zum zweiten Mal mit dem 1. FC Köln abgestiegen, hat in den letzten beiden Jahren für einen Star nicht konstant gute Leistungen gebracht. Doch aufgrund seines zweifelsfrei überragenden Talents hat Poldi in der Bundesliga den Stellenwert eines Stars. Und zum Thema Risiko: Wenn es überschaubar ist, kann man es eingehen. Doch wenn der wirtschaftliche Kollaps droht, weil irgendein Ziel nicht erreicht wird, dann nicht. Uli Hoeneß hat übrigens vollkommen recht, nicht jeden Preis für einen Spieler auszugeben. An dessen Worte sollte man sich immer wieder erinnern, denn er ist der erfolgreichste Manager in der Bundesliga der letzten 25 Jahre.


    Netzeitung: Glauben Sie nicht, dass so ein Star-Stürmer wie Ruud van Nistelrooy der Bundesliga gut getan hätte? Bayern München war dran, verlor aber das Rennen gegen Real Madrid.


    Neururer: Das hängt immer von der Philosophie des jeweiligen Vereines ab. Sie können nicht Hannover 96 mit Bayern München vergleichen. Da herrschen ganz andere Ansprüche und Zielsetzungen. Um so mehr muss man sich auf die Arbeit im eigenen Verein konzentrieren, um möglicherweise einen Spieler zu diesem Starkult verhelfen zu können.

  • Balitsch als nächster 96-Nationalspieler


    Netzeitung: Wer hat denn bei 96 neben Per Mertesacker und Robert Enke noch das Zeug dazu, auf absehbare Zeit Nationalspieler zu werden?


    Neururer: Hanno Balitsch. Bei uns hat er sich sehr gut entwickelt, er ist ein absoluter Leistungsträger. Mit dem Kloppo (Jürgen Klopp, Trainer von Mainz 05, Anm. d. Red.) ist er wohl nicht so gut zurecht gekommen, doch ich bin absolut überzeugt davon, dass er bald zum Kreis von Jogi Löw (Bundestrainer, d. Red.) dazu gehört, wenn er so weiter macht, wie im letzten halben Jahr bei uns.


    Netzeitung: Wie wird sich die tolle WM auf die Bundesliga auswirken? Der Zuschauerboom der vergangenen Saison wird wohl kaum noch getoppt werden können.


    Neururer: Ich hoffe auf ein friedliches, begeisterungsfähiges, sportlich faires Publikum, das Siege feiert und auch Niederlagen erduldet, ohne Busse zu blockieren oder «Scheiß Millionäre» zu brüllen.



    »Bundesliga hat an Attraktivität gewonnen«


    Netzeitung: Wird die WM denn den Stellenwert der Bundesliga im Vergleich zu Ausland anheben? Sportlich hinken wir den Top-Ligen in England, Spanien oder Italien hinterher.


    Neururer: Was die Erfolge in den europäischen Wettbewerben angeht, sind wir abgesunken. Ansonsten bleibe ich dabei, dass die Bundesliga zu den stärksten Ligen in Europa gehört, wenn sie nicht sogar die stärkste ist. Unsere Stadien sind die schönsten und attraktivsten in Europa, die Zuschauerzahlen sind die höchsten, die Umfelder in den meisten Vereinen stimmen, der Wettbewerb ist okay. Kurzum: Die Bundesliga hat an Attraktivität gewonnen.


    Netzeitung: Zuletzt wurde immer wieder darüber diskutiert, ob das Erfolgsmodell von Jürgen Klinsmann auch auf die Bundesliga anzuwenden ist. Braucht Hannover 96 einen Mental- oder Fitnesstrainer?


    Neururer: Einen extra Mentaltrainer brauchen wir nicht, das mache ich. Was den Fitnesstrainer angeht: Wir haben zwei Co-Trainer, einen Konditionstrainer, der die Reha macht, wir haben eine gute medizinische Abteilung, da brauchen wir nichts Neues.



    »Wer Erfolg hat, hat immer recht«


    Netzeitung: War die Kritik von Oliver Bierhoff und Jürgen Klinsmann, dass die Spieler in der Bundesliga nicht fit genug seien, gerechtfertigt?


    Neururer: Absolut nicht. Da haben sich zwei Leute über die Arbeitsweisen in der Bundesliga geäußert, die sich in der Szene direkt nicht auskennen. Es ist doch Schwachsinn zu glauben, dass ein Spieler, der ein Jahr lang möglicherweise falsch trainiert hat, innerhalb von zwei Wochen auf einen optimalen Leistungstand gebracht wird. Die Basis für den Fitnessgrad der Nationalspieler ist in der Bundesliga gelegt worden und nicht in der WM-Vorbereitung.


    Netzeitung: Sie finden also den Anteil, den die Bundesliga am WM-Erfolg hat, nicht richtig geschätzt?


    Neururer: Sie hat nicht die richtige Wertschätzung erhalten, weil sich Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff entsprechend geäußert haben. Man glaubt immer denjenigen, die den augenblicklichen Erfolg haben. Von daher haben sie ein offenes Ohr in der Bevölkerung gefunden. Wer Erfolg hat, hat immer Recht. Wenn ich 14 Tage lang die Mannschaft nur rückwärts laufen lasse und zwei Spiele gewinne, dann bin ich ein super Trainer.


    Das Interview mit Peter Neururer führte Matthias Bossaller


    Quelle