Tagesspiegel: "Wir benehmen uns anders als Kahn und Lehmann"

  • Robert Enke spricht mit dem Tagesspiegel über die neue Torhütergeneration, den Respekt für die Konkurrenz, seine Chancen in der Nationalmannschaft und spektakuläre Paraden.


    Herr Enke, wann hat sich José Mourinho zuletzt bei Ihnen gemeldet?


    Warum sollte er das tun?


    Weil er bei Benfica Lissabon einmal Ihr Trainer war.


    Aber nur drei Monate, seitdem hatten wir keinen Kontakt mehr.


    Stimmt nicht, sagt Enkes Berater Jörg Neblung und weist darauf hin, dass sich die Wege noch einmal gekreuzt hätten.


    Enke: Haben Sie?


    Neblung: FC Porto.


    Enke: Ach so, ja. Porto hat sich gemeldet, als Mourinho dort Trainer war. Das hatte ich schon vergessen. Ich bin damals aber von Lissabon nach Barcelona gegangen.


    Was hat Sie mehr überrascht? Mourinhos Karriere oder Ihre eigene?


    Seine hat mich nicht überrascht. Vielleicht konnte man nicht erwarten, dass es so schnell gehen würde. Aber dass Mourinho ein hervorragender Trainer ist, hat man damals schon gemerkt. Er war eine große Respektperson mit einer natürlichen Autorität, hatte klare Vorstellungen davon, was er wollte, und die hat er sehr präzise rübergebracht.


    Sie haben mit einigen erfolgreichen Trainern zusammengearbeitet: mit Mourinho, Rijkaard …


    … eine Woche …


    … Heynckes, Daum, van Gaal. Inwiefern haben die Trainer Einfluss auf ihr Torwartspiel genommen?


    Mourinho hat nach seinem Amtsantritt die drei Torhüter zusammengeholt und uns seine Vorstellungen vom Torwartspiel erläutert. Es gibt aber auch Trainer, die überlassen die Torhüter dem Torwarttrainer. Das andere Extrem war van Gaal. Der ist auf uns Torhüter mehr eingegangen als alle anderen Trainer, die ich hatte.


    Inwiefern?


    Van Gaal hat großen Wert auf das Fußballerische gelegt. Unter ihm haben wir sehr viel mit dem Fuß gearbeitet. Ich hatte da oft eine andere Auffassung. Ich finde es auch übertrieben, wenn man sagt, der moderne Torhüter müsse eine Art Libero spielen. Aber als Spieler hatte ich mich nun mal unterzuordnen.


    Van Gaal hatte bei Ajax Amsterdam seine erfolgreichste Zeit. Dort gibt es die Faustregel, dass der Torhüter fußballerisch so gut sein müsse, dass er in der Zweiten Liga auf dem Feld spielen kann.


    Man muss nicht alles für gut befinden, was aus Holland kommt. Trainer aus Holland geben einem schon mal das Gefühl, sie wüssten alles über Fußball. Aber die Basis des Torwartspiels ist immer noch: Bälle halten. Was ist, wenn einer ein super Fußballer ist, den Ball aber nicht festhalten kann?


    Jupp Heynckes hat Sie einmal als kopfgesteuert bezeichnet. Erkennt man das auch an Ihrem Torwartspiel?


    Das glaube ich nicht.


    Aber Ihr Spiel wirkt sehr rational.


    Das hängt eher mit der Erfahrung zusammen. Ein einfaches Beispiel: Als junger Torhüter lässt du dich viel schneller fallen, wenn ein Stürmer allein auf dich zukommt. Oder du denkst, du musst in den Angreifer reingrätschen oder sonst was machen. Genau das ist oft falsch. Aber das habe ich auch erst mit den Jahren gelernt.


    Wieso?


    Wenn du spekulierst und in eine Ecke gehst, kommt der Ball oft genau dorthin, wo du eigentlich stehen könntest. Das ärgert mich. Es ist doch ganz einfach: Wenn der Stürmer alles richtig macht, fällt wahrscheinlich ein Tor. Also musst du es ihm so schwer wie möglich machen: dich groß machen, lange warten – auch wenn es schwer fällt. Das merke ich im Training. Wenn du eine Stunde trainiert hast und kaputt bist, fällst du schon mal gerne nach hinten ins Gras und sagst dir: Ja, da kannst du nichts machen. Es sagt ja auch keiner was. Aber wenn du voll da bist im Spiel, versuchst du, lang, lang stehen zu bleiben.


    Sagen Sie sich das immer wieder vor: stehen bleiben?


    Manchmal muss man ja auch runter gehen und sich unten breit machen. Das ist ein Bauchgefühl. Oder du weißt, was bestimmte Spieler am liebsten machen. Ich habe das natürlich nicht alles im Kopf, und manchmal geht es auch zu schnell, um darüber nachzudenken. Aber in Leverkusen habe ich mal erlebt, dass in letzter Minute ein Stürmer von der Mittellinie auf mich zulief. Da hatte ich viel Zeit – der Stürmer aber auch. Das war sein Problem. Ich wusste: Er wird mich angucken. Also bin ich absichtlich aufrecht stehen geblieben, ganz locker, zwei, drei Sekunden lang, so dass er mich sehen konnte.


    Eine Art Psychokrieg.


    Das war ein junger Spieler. Den hat das schon irritiert. Erfahrenen Stürmern wie Saviola oder Raul ist es wahrscheinlich völlig egal, was ich da im Tor veranstalte.


    In Eins-zu-Eins-Situationen gelten Sie als einer der stärksten Torhüter überhaupt.


    Ich glaube, ich mache das schon ganz gut. Aber das war auch nicht immer so. Mir ist in Spanien aufgefallen, dass die Torhüter, vor allem die argentinischen, in solchen Situationen extrem lange gewartet haben. Roberto Bonano in Barcelona hatte eine ganz andere Technik als ich. Da habe ich mir auch ein bisschen was abgeschaut. Nicht dass ich irgendjemanden imitieren will, aber es kann ja nicht schaden, wenn man mal darüber nachdenkt, ob man sich nicht anders verhalten sollte.


    Gab es noch andere Torhüter, an denen Sie sich orientiert haben?


    Peter Schmeichel fand ich immer sehr gut. Er ist auch einer der wenigen Torhüter, mit denen ich jemals das Trikot getauscht habe. Um die EM 1992 herum war Schmeichel für mich das Nonplusultra: wie er das Torwartspiel gelebt hat, ohne große spektakuläre Aktionen – trotzdem hat er unglaublich viele Bälle gehalten.


    Hört sich ein bisschen so an, als sprächen Sie über Robert Enke.


    Ich versuche zumindest, schwierige Situationen durch mein Mitspielen schon im Voraus zu lösen, auch wenn das dann nicht unbedingt spektakulär aussieht. Andere Torhüter brauchen solch spektakuläre Aktionen, um den Ball zu halten – und werden dafür dann auch noch gefeiert. Das merkt sogar meine Frau, wenn ich zu Hause ein Spiel anschaue und der Reporter dann ruft: „Super Parade!“ Viele sehen eben nicht, was gar nicht notwendig war, sondern nur dazu diente, etwas spektakulär aussehen zu lassen. Ich finde so etwas lächerlich, das brauche ich echt nicht.


    Bei der breiten Masse hat sich diese Erkenntnis aber noch nicht durchgesetzt.


    Die Leute erkennen schon an, dass der Enke einer ist, der nicht so viel Heckmeck macht, seinen Stiefel runterspielt und nicht fliegt, wenn er nicht fliegen muss. Ich freue mich natürlich auch, wenn ich mal einen spektakulären Ball halten kann. Das ist wichtig fürs Selbstvertrauen und für die Wahrnehmung. Aber noch wichtiger ist, der Mannschaft ein Gefühl der Sicherheit zu geben.


    Dann müsste es doch ein gutes Zeichen sein, dass die Torhüter, die nur auf Show abzielen, im Moment in der Nationalmannschaft keine Chance haben.


    Für einige Torhüter ist es vielleicht kein gutes Zeichen. Für mich schon. Die drei Torhüter die zuletzt für die Nationalmannschaft nominiert worden sind – Jens Lehmann, Timo Hildebrand und ich – stehen für ein Torwartspiel, das nicht spektakulär ist. Und zumindest solange Joachim Löw Bundestrainer ist, wird das wohl auch so bleiben.


    Akzeptieren Sie Ihre Rolle als Nummer drei, weil Sie sich mit dem Spiel Ihrer Konkurrenten identifizieren können?


    Das ist auch etwas, das ich aus dem Ausland mitgenommen habe. Iker Casillas von Real Madrid würde sich niemals in der Öffentlichkeit hinstellen und sagen: Ich bin besser als Jerzy Dudek, ich muss spielen. Sie werden auch von mir nie hören: Ich bin besser als Hildebrand, ich müsste die Nummer zwei in der Nationalmannschaft sein. Nicht weil ich ein Duckmäuser bin. Das gehört sich einfach nicht. Man muss auch seinem Konkurrenten einen gewissen Respekt entgegenbringen. Wenn ich sage: Ich bin besser als Hildebrand, impliziert das nämlich auch: Er ist schlechter als ich.


    Wie haben Sie denn dann den sogenannten Torwartkrieg zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann erlebt?


    Ich weiß noch, dass die Tagesschau mit der Meldung aufgemacht hat: Klinsmann hat sich für Lehmann als Nummer eins entschieden. Bei aller Liebe: Wenn das die wichtigste Nachricht des Tages ist, habe ich da schon ein Problem mit. Am Ende hat es nur noch genervt. Der gegenseitige Respekt ist vollkommen verloren gegangen. Nicht nur die Beiden haben da eine Rolle gespielt, auch die Boulevardmedien, die natürlich alles dankbar aufgegriffen haben. Ich hoffe, die Leute sehen, dass es auch anders geht und sich die neue Torhütergeneration ein bisschen anders benimmt, als Kahn und Lehmann es getan haben.


    Oliver Kahn ist während der WM regelrecht gefeiert worden. Im Grunde aber hatte man nie den Eindruck, dass er Teil der Mannschaft ist. Auch als Ersatzmann ist er immer ein Einzelkämpfer geblieben.


    So hat Oliver Kahn es immer dargestellt. Aber du bist als Torhüter kein Einzelkämpfer, du gewinnst Spiele nicht alleine. Du verlierst sie höchstens alleine. Ich kann mich an einen Fehler von Kahn gegen Real Madrid erinnern, da hat er einen Ball von Roberto Carlos unter seinem Körper durchrutschen lassen. Damals war ich auf Teneriffa. Die Spanier haben alle gejubelt, weil sie Oliver Kahn grundsätzlich nicht so gut finden. Nach dem Spiel hat Kahn gesagt: Dann muss ich das Rückspiel eben alleine gewinnen. Mit so einer Aussage kann ich überhaupt nichts anfangen. Auch Oliver Kahn ist nicht in der Lage, ein Spiel alleine zu gewinnen.


    Aber Kahn hat mit seiner Art am Mythos vom deutschen Torhüter mitgewirkt. Haben Sie eine Ahnung, warum den Deutschen ihre Torhüter so wichtig sind?


    Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass es in Spanien ganz anders ist. Da läuft der Torhüter in der Wahrnehmung der Zuschauer eher so mit. Einer muss halt die Handschuhe anhaben und den Job erledigen. In Spanien bringt es ein Torhüter höchst selten mal zum Publikumsliebling.


    Den letzten Absatz des Interviews gibts hier: Tagesspiegel: Enke-Interview Part II

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  • Sie sind 1999 mit 22 Jahren nach Portugal gegangen, fünf Jahre später in die Bundesliga zurückgekehrt. Würden sie gerne noch mal ins Ausland wechseln?


    Eigentlich habe ich es mir abgewöhnt, langfristige Pläne zu machen. Aber wenn ich es mir aussuchen könnte, möchte ich noch fünf Jahre Bundesliga zu spielen und dann zwei bis drei Jahre bei Benfica – als Abschluss meiner Karriere. Benfica ist ein Verein, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Und wenn ich im Alter Probleme mit dem Kreuz habe, kann ein bisschen mehr Sonne beim Training ja auch nicht schaden.