Du widersprichst Dir doch selbst, wenn Du behauptest, Besserverdiener zahlten weniger Steuern als früher. Wer zahlt denn dann (zumindest relativ, das ist für die) mehr?
Findest Du wirklich, daß ich mir widerspreche? Ich habe eher den Eindruck, ich schreibe so schlecht, daß Du mich nicht verstehst.
Die Einkommensteuersätze sind gefallen. Bloß ist die Einkommensteuer nicht der größte Batzen, den Klein- und Mittelverdiener zu bezahlen haben. Das sind Sozialabgaben und Konsumsteuern*) Verdienste 2.000 brutto, haste 1.400 netto, denn dann zahlste 200 Euro Steuer und 400 Euro Sozialabgaben. Das betrifft fast 40% aller Beschäftigten. Arbeiteste Vollzeit zum Mindestlohn, kriegste 1.400 brutto = 1.050 netto. Dann zahlste 60 Euro Steuern und 290 Euro Sozialabgaben. Der kleine Willi hat von solchen Steuersenkungen nicht viel. Der große Otto schon.
*) Das liegt an zwei Dingen: 1) Sparquote bei niedrigen Einkommen ist gering (weil die Ausgaben zum Leben nicht beliebig gesenkt werden können; gespart werden kann nur das, was danach übrig bleibt), bei hohen Einkommen hoch. Die Konsumquote verhält sich spiegelbildlich dazu. 2) Die Festlegung der Beitragsbemessungsgrenzen zwischen 450 und rund 5/6.000 Euro. Die 450 Euro sind kein Freibetrag, sondern eine Freigrenze. Und die anteilige Finanzierung der Sozialversicherungen endet bei rund 5/6.000 Euro, danach ist ein Deckel drauf. Aus den 20% AN-Anteil werden maximal 1.100 Euro, egal ob man 7.000 oder 10.000 oder 70.000 Euro/Monat verdient.
Die Fixierung auf ein oder zwei Teilaspekte ist nicht hilfreich, finde ich. Der Bund der Steuerzahler argumentiert auch gerne, wie groß der Anteil ist, den Spitzenverdiener zur Einkommensteuer beitragen. 10% zahlen 50%, 50% zahlen 95% oder so. Das ist Irreführung des Publikums. Den BdSt braucht eh kein Mensch, solange es Rechnungshöfe gibt. Also: Kaffeetrinker löhnen zu 100% das Kaffeesteueraufkommen. Und? Das alleine sagt nichts aus. Wie groß ist der Anteil am Gesamtsteueraufkommen? Wie groß ist der Anteil am BIP? Wie hat sich das über die Zeit verändert? Erst wenn man das weiß, kann man beurteilen, ob Kaffeetrinker heute stärker oder schwächer belastet werden als vor 20, 30, 50 Jahren. Analog ESt.
1980 betrug die Steuerquote 23,8% vom BIP, die Steuereinnahmen lagen bei 187 Mrd Euro. Steuern vom Einkommen machten von diesen 187 Mrd 47,6% aus. Steuern vom Vermögensbesitz machten von diesen 187 Mrd 2,9% aus. Das macht zusammen 47,6+2,9 = 50,5% von der Steuerquote bzw. 0,505*0,238 = 12% vom BIP.
1995 betrug die Steuerquote 22,0% vom BIP, die Steuereinnahmen lagen bei 416 Mrd Euro. Steuern vom Einkommen machten von diesen 416 Mrd 45,5% aus. Steuern vom Vermögensbesitz machten von diesen 416 Mrd 2,7% aus. Das macht zusammen 45,5+2,7 = 48,2% von der Steuerquote bzw. 0,482*0,22 = 10,6% vom BIP.
2015 betrug die Steuerquote 22,8% vom BIP, die Steuereinnahmen lagen bei 673 Mrd Euro. Steuern vom Einkommen machten von diesen 673 Mrd 43,0% aus. Steuern vom Vermögensbesitz machten von diesen 673 Mrd 2,0% aus. Das macht zusammen 43+2 = 45% von der Steuerquote bzw. 0,45*0,228 = 10,3% vom BIP.
Das sind 1,7 Prozentpunkte weniger als 1980. Klingt nicht wild. Aber 1,7 %-Pkt wovon? Vom BIP. Von diesen ca. 3 Billionen Euro. Letztlich geht es also doch schon um rund 50 Mrd in einem einzigen Jahr (die nun fehlen oder über Konsumsteuern reinkommen, die anteilig ja Klein- und Mittelverdiener stärker belasten. Wegen der Konsumquote, siehe oben). Ich hatte geschrieben, wie sich die Steuerstruktur seit 1950 verändert und zurück verändert hat. Direkte und indirekte Steuerarten. Ihre Auswirkungen. Mit Originaldaten. Da widerspreche ich mir nicht, ich schreibe bloß offenbar schlecht. Vielleicht wird es mit den unterschiedlichen Sparquoten, Freigrenzen und Rechnungen besser verständlich.
Du schreibst: "Deine ganzen Ausführungen zur Steuer- und Abgabenquote orientieren sich am BIP. Das ist doch Augenwischerei. Das sagt überhaupt gar nichts darüber aus, was den Menschen zum Leben bleibt, und ob man ihnen die Motivation nimmt, zu arbeiten." Weitergedacht stellst Du nicht nur die Sekundärverteilung, sondern auch die Primärverteilung in Frage. Nicht nur kucken, was vom Brutto übrigbleibt, sondern auch kucken, wie hoch der Bruttolohn selbst sein sollte/könnte/müßte/dürfte. Willkommen im Klub!
Und was ist BIP? Der Wert aller in einem Jahr in einem Land hergestellten Güter und Dienstleistungen. Heißt: Das ist der Kuchen, der jedes Jahr gebacken und aufgeteilt wird. Wenn früher 40% des Kuchens als Steuern und Sozialabgaben abgegeben werden mußten, und heute 40% des Kuchens abgegeben werden müssen, dann ist das anteilig kein Unterschied. Welche Gruppe stärker/schwächer als früher diese 40% zusammenlegt, das ist doch der Knackpunkt. Und jetzt haben wir beide OECD-Daten auf den Tisch gelegt, die jeweils das Gegenteil suggerieren. Das ist ja ein Ding. "Meine" OECD-Zahlen berücksichtigen alles und im Durchschnitt. "Deine" OECD-Zahlen betrachten symbolhafte Arbeitnehmer bzw. Haushaltstypen. Dazu zeigt die eine Statistik eine Entwicklung über die Zeit, die andere nicht. Deswegen finde ich die eine Statistik hilfreicher als die andere.
Die Mikro-Ebene ist auch wichtig, aber trotzdem nicht zu verwechseln. Natürlich kommt es auch darauf an, wieviel Knete einem am Ende übrig bleibt. Aber Deine Argumentation ist bereits Ergebnis einer Filterung. Du kuckst schon gar nicht mehr auf den Kuchen, der zur Verteilung bereit steht, sondern nur auf den Anteil, der als brutto ausgewiesen wird und dann schließlich als netto übrig bleibt. Ich hatte nicht aus Langeweile die funktionale Einkommensverteilung, die Lohn- und Gewinnentwicklung, die Investitionsquoten und die Entwicklungen von Binnen- und Exportmarkt verlinkt. Ich widerspreche mir nicht, wir nähern uns bloß einem weiteren Aspekt, der für Lohnerhöhungen in D spricht, nachdem wir letztes Jahr das Thema bereits im Rahmen der Eurokrise ausgearbeitet hatten. Makro. Zusammenhänge.
Du hingegen schreibst über "was zum Leben übrig bleibt", "Mittelschicht" und "Millionär, der keinen Swimmingpool mehr bekommen kann". Wofür oder für wen streitest Du eigentlich? Das habe ich nicht verstanden.
Du schreibst: "Es gibt ja auch genug Akademiker, die den Wert [53.000] nicht erreichen. Es wird aber immer suggeriert, als ginge es um die Belastung von Superreichen, die Villa, Pool, Privatjet haben. Der Spitzensteuersatz zieht mitten in der Mittelschicht." Wer suggeriert, mit 42% Grenzsteuersatz ab 53.000 ginge es um die Superreichen? Von der Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 42% haben die Superreichen am meisten profitiert. Aber wenn ich vorschlage oberhalb der 53.000 eine weitere Stufe einzufügen, lese ich: "Die Neidsteuer gibt es doch längst". Pardon?
All Deine Überlegungen zielen nur darauf ab, die Steuern und Abgaben zu senken. Das muß mit Leistungskürzungen einhergehen. Ich lese hier, mehr Geld ins System pumpen, brächte nix. Es fallen 10% der Unterrichtsstunden an den Schulen aus. Das ist selbstverständlich Mist. Pumpste mehr Geld ins System, fallen vielleicht 7,5% der Unterrichtsstunden aus. Immer noch Mist. In der Denke hätteste recht. Was fehlt, ist die Denke genug Geld ins System zu pumpen. Nein, nicht um Verschwendung zu erleichtern. Sondern um leicht feststellbaren Bedarf zu decken. Zahl der Schüler bekannt? Auf ein gewünschtes Lehrer/Schüler-Zahlenverhältnis geeinigt? Der Rest ergibt sich von selbst. Zahl und Baujahr der Brücken bekannt? Zustand dieser Brücken nach Jahrzehnten der Vernachlässigung bekannt? Änderung der Nutzungszahlen und Vehikel (Gewicht, LKW-Anteil, Gigaliner, Radwege, pipapo) bekannt? Der Rest ergibt sich von selbst. Die neue Brücke A kann stehen bleiben, die beschädigte Brücke B muß repariert werden, die marode Brücke C muß ersetzt werden. Kostet soundsoviel. Zahl der Rentner bekannt? Kulturelles Existenzminimum und die geleistete berufliche Leistung, damit also der Rentenbedarf bekannt? Größe des Kuchens, der aufteilbar ist, auch bekannt? Der Rest ergibt sich von selbst.
Früher wurden Superreiche stärker besteuert. Davon wurde was für die Allgemeinheit finanziert. Das hat den Superreichen nicht gefallen. Das nicht mehr versteuerte Geld verleiht er jetzt gegen Zinsen. Die Schere geht doppelt und dreifach auseinander. Wie sie zu schließen ist, ist mir im Detail egal. Vermögensabgabe statt Vermögensteuer? Von mir aus.
Um versöhnlich zu enden: Gerne soll die Steuerhinterziehung und die Steuergeldverschwendung angegangen werden. Mir zwar neu, daß es da Divergenzen geben soll (bei manchen sind's bloß Lippenbekenntnisse, though, siehe fehlenden Anreiz Steuerhinterziehung nachzugehen, wenn die Kohle dann in den Länderfinanzausgleich gehen soll... ), aber warum sich nicht auch mal über Konsens freuen. Ich hätte jetzt auch Bock auf ein Heißgetränk. Noch jemand?