Politischer Zoff-Thread oder so

  • Ich möchte hinzufügen: Bei den ersten Nachrichten über den russischen Truppenaufbau kam das Gefühl bei mir auch zurück.


    Inzwischen habe ich mich ein bisschen mit der Situation beschäftigt und bin zu obiger Einschätzung gekommen. Ich schätze das ganze ein als präventive Aktion Russlands gegen das drohende Szenario einer Rückerorberung der Ost-Ukraine, in allererster Linie. (Es spielt nach Meinung vieler Kommentatoren auch die innenpolitische Lage in Russland mit rein, aber ich denke, da ist schon mehr.)


    Allgemeiner bleibt das Risiko eines ungewollten Auslösens eines Atomkrieges. Die brenzligsten Situationen auch im kalten Krieg waren Mißverständnisse bzw. technische Faktoren. Hier kann ich allerdings nicht einschätzen, wie groß das verbleibende Risiko ist, aber es wäre zu einfach, es auf 0 zu beziffern.

  • Hedemann Jo, ging mir im ersten Moment ebenso. Ein ungenaues Gefühl der Bedrohung, die der früherer Tage ähnelt. Jetzt aber bin ich versucht zu glauben, das Putin damit von irgendwas ablenken will. Der hat bei einer Auseinandersetzung mit der Nato nix zu gewinnen.

  • Vor dem Hintergrund, dass Russland die Krim besetzt hat und in der Ostukraine dabei ist, sehe ich nicht wirklich eine Alternative für eine NATO-Perspektive für die Ukraine.


    Putins Handeln begründet leider gerade die Notwendigkeit, dass die NATO für Osteuropa offen ist. Wenn es eine Alternative gibt, dann bräuchte es Garantien von Russland, dass es die Souveränität osteuropäischer Staaten respektiert. (Und nicht Garantien des Westens. Wofür sollten die sein? Dass der Westen sich raushält, wenn Russland seine Nachbarn überfällt?) Es müsste außerdem die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt werden.


    Falls sich die Ukraine damit abfinden könnte, tatsächlich die Krim aufzugeben, käme mir das akzeptabel vor, aber das ist jetzt natürlich so eine völlige Stammtischeinschätzung. Und es bräuchte genug Vertrauen, dass Russland sowas nicht nochmal versucht. Kann ich mir bei diesem Präsidenten, also Putin, nicht wirklich vorstellen.

  • Die Angaben sind mit Quellen belegt


    Was mir bislang nicht klar war, war das hier


    Zitat

    Auch Gorbatschows Rivale Boris Jelzin versuchte das NATO-Dossier aktiv zu gestalten. Kurz vor dem offiziellen Ende der Sowjetunion, am 20. Dezember 1991, weckte er hohe Erwartungen, als er einen russischen NATO-Beitritt zum „langfristigen politischen Ziel“ erhob. Diese Vision hielt sich erstaunlich lange: Noch im Jahr 2000 soll Putin Präsident Clinton gefragt haben, was er über diesen Plan denke. Die Administration Clinton hätte eine Aufnahme Russlands in die NATO unter der Bedingung unterstützt, falls es sich zu einer marktwirtschaftlichen Demokratie entwickeln würde.

  • Jupp, ist mir auch neu. Positiv finde ich an diesem Artikel, dass Russland nicht per se als unberechenbarer Aggressor dargestellt wird. Die Rolle der NATO wird kritisch mit einbezogen.

  • Das finde ich genau das Problem daran.


    Es wird nichtmal diskutiert, inwieweit die Diskussionen von damals relevant sein sollten. Fakt ist, dass es nirgendwo was schriftliches darüber gibt, dass die NATO nicht nach Osten soll. Damit aber gibt es: Nichts, worauf man sich berufen könnte.


    Der Grund ist übrigens sehr einfach: Die Sowietunion ist so schnell in sich selber kollabiert, dass sie sowas nicht als schriftliche Zusicherung sichern konnten, ihr Einfluss zerfiel während der Verhandlungen. Sie waren nicht in der Lage, sowas durchzusetzen, für die betroffenen Staaten zu entscheiden, dass die nicht in die NATO dürfen.


    Und letztlich hält Putin genau an so einem Anspruch fest. Mit Gewalt.


    Dann wird überhaupt nicht auf den Hintergrund eingegangen. Worum geht es bei der NATO-Erweiterung? Um Sicherheit, richtig, aber um noch viel mehr, um Einflussspähren, etc. Mit welchem Recht also genau will sich Russland eine Einflussspähre jenseits der eigenen Grenzen sichern? Über die Köpfe der betroffenen Länder hinweg? Ferner: Wie nutzt Russland seinen Einfluss, wie sieht es aus in Weißrußland, in der Ukraine vor dem Majdan, in Rumänien und Bulgarien, wo immer wieder die Erdgasversorgung als Druckmittel genutzt wird?


    Letztlich: Natürlich kann man auch die Osterweiterung der NATO kritisieren. Aber letztlich ist das durch Putins Handeln, spätestens in Bezug auf die Ukraine, überholt. Russland ist praktisch und nicht mehr nur theoretisch eine Bedrohung für seine Nachbarländer. Putin betreibt weiter Kalter-Krieg-Politik.


    Dieser Artikel ist mir zu sehr an der russischen Darstellung selber dran.

  • Dekoder besteht nicht nur aus dieser Gnose, es ist der Versuch mit russischen Blickwinkeln das deutsch-russische Verhältnis zu beurteilen.


    Zitat

    dekoder hat sich zum Ziel gesetzt, die im deutschsprachigen Raum geführten Russland-Debatten durch journalistische Stimmen aus Russland selber zu bereichern und diese Stimmen durch Kontextualisierung für nicht-russischsprachige Leser verständlich zu machen.[2] Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf unabhängigen, nicht vom russischen Staat finanzierten und kontrollierten Internet-Medien.

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Dekoder.org


    Ich traue Putin alles schlechte dieser Welt zu, das sollte jetzt kein Geheimnis sein.


    Und ich habe auch mehr Sorgen um eine Eskalation als Herr Schmid

  • Das rechtfertigt nicht, die Staatsnarrative von den armen, um ihre Einflussspähre geprellten Russen unkritisch wiederzugeben. Und nichts anderes sehe ich da.


    Wo kommt überhaupt dieser "Gnose"-Begriff her?

  • Bei dekoder:


    "Diese nach wissenschaftlichen Standards verfassten Hintergrundtexte werden auf der Website von dekoder Gnosen (von griechisch gnosis ‚Erkenntnis‘) genannt."

  • Das rechtfertigt nicht, die Staatsnarrative von den armen, um ihre Einflussspähre geprellten Russen unkritisch wiederzugeben. Und nichts anderes sehe ich da.


    Wo kommt überhaupt dieser "Gnose"-Begriff her?

    den größten, fast unbegreiflichen strategischen fehler haben die russen selbst gemacht . nämlich die DDR herzugeben.

  • Das ist halt Kalter-Krieg-Denke. Ich bin ja auch damit aufgewachsen, aber man sollte sich schon fragen, ob das angemessen ist.


    Russland hat sogar die Ukraine und Weißrussland verloren, wie sollen die da die DDR halten?


    In der Zerschlagung des imperialen Russlands durch die eigene Bevölkerung lag auch eine Chance. Aber Russland klammert sich lieber an die Vergangenheit.


    Das ist aufgrund des traumatischen Zusammenbruchs in den 90ern sogar verständlich. Ich bezweifle aber, dass es hilfreich ist.

  • Das ist halt Kalter-Krieg-Denke.

    zugegeben.

    Russland hat sogar die Ukraine und Weißrussland verloren

    ja.

    wie sollen die da die DDR halten?

    in dem sie ressourcen auf die ( kleine) DDR konzentriert hätten. das war der goldene spielstein, um über eine neuordnung europas mitzubestimmen- und sich nicht für ein paar milliarden nach hause schicken lassen wie ein geprügelter hund.

  • Letztlich: Natürlich kann man auch die Osterweiterung der NATO kritisieren. Aber letztlich ist das durch Putins Handeln, spätestens in Bezug auf die Ukraine, überholt. Russland ist praktisch und nicht mehr nur theoretisch eine Bedrohung für seine Nachbarländer. Putin betreibt weiter Kalter-Krieg-Politik.

    Das genau ist für mich des Pudels Kern.


    Allerdings teile ich deine Einschätzung, dass das nur „Diplomatie“ ist, nicht, ExilRoter. Die Krim-Annexion hat gezeigt, dass Putin nicht nur gackern, sondern auch Eier legen kann. Noch sind in dem abtrünnigen Teil der Ukraine zumindest offiziell nur „prorussische Milizen“ und kein offizielles russisches Militär aktiv (zumindest nehme ich das so wahr), aber ich halte es für extrem wahrscheinlich, dass es in Kürze einen Einmarsch regulärer Truppen dort gibt. Da die Grenzen des Gebietes (auch im Gegensatz zur geografisch begrenzten Krim) wahrscheinlich nicht exakt definiert sind/sein können, ist das schon hochriskant. Insofern teile ich die Bedenken von Hedemann durchaus.

  • Die Chance hat Putin verspielt.

    In der Zerschlagung des imperialen Russlands durch die eigene Bevölkerung lag auch eine Chance. Aber Russland klammert sich lieber an die Vergangenheit.


    Das ist aufgrund des traumatischen Zusammenbruchs in den 90ern sogar verständlich. Ich bezweifle aber, dass es hilfreich ist.


    Von einem Mafiyastaat mit einer Atomwaffen bestückten Armee befürchte ich Schlimmstes

  • Das ist aber nicht nur Klammern an die Vergangenheit, sondern Putin verspricht mit seiner Politik ein in Zukunft stärkeres Russland. Die Ukraine ist da ja nur ein Puzzlestück von vielen und demonstriert vor allem die (scheinbare) Macht, die Russland immer noch oder auch wieder hat. Nebenbei kaschiert der außenpolitische Diskurs auch die innenpolitischen Verhältnisse und lenkt ab von der Aushölung der demokratischen Kräfte innerhalb Russlands, sowie den sozialen Verhältnissen, die sich wohl kaum vorwärts entwickelt haben unter Putin. Säbelrasseln der Großmächte hat schon immer von den Problemen im eigenen Land abgelenkt.


    Wäre die NATO keine militärische Allianz sondern eine politische wie die OECD oder die EU, hätte Putin sicherlich weniger ein Problem damit, diese an die russischen Grenzen heran zu lassen. Das Baltikum ist da ja durchaus Beleg dafür. Aber auch dort gilt natürlich, dass die russische Minderheit der Bevölkerung dort möglicherweise benutzt werden könnte um sich die Gebiete wieder unter den Nagel zu reißen und gegebenenfalls gar eine Landbrücke nach Kaliningrad zu schlagen. Hier wirds aber heikel, denn die baltischen Staaten sind ja mittlerweile Mitglieder der NATO. Ein Angriff Russlands würde automatisch den Bündnisfall auslösen und damit prinzipiell den 3. Weltkrieg. Das würde Russland (und die Welt) nicht überstehen und damit wird dort auch nichts passieren. Die Manöver dort sind halt nur Zurschaustellung der (scheinbaren) Macht. Die Lage der Ukraine hingegen ist insofern anders gelagert als dass es dort zwar Bestrebungen gen Westen gibt, aber es sich weder EU noch NATO erlauben können, sie als Mitglied ernsthaft in Betracht zu ziehen. Diese Provokation würde beinahe automatisch dazu führen, dass Russland sich weitere Landesteilen aneignen würde, bevor es auch nur zu Beitrittsverhandlungen käme. Und ich denke das wissen auch alle Beteiligten nicht zuletzt durch die Annexion der Krim und der De-Facto-Annexion der Ostukraine. Eine neutrale Ukraine wird überlebensfähig bleiben. Die Neutralität dürfte daher auch das Ziel von NATO und Russland sein, auch wenn sie es nach außen nicht kommunizieren.