Politischer Zoff-Thread oder so

  • man darf bei der diskussion nicht vergessen, dass zum beispiel in bayern(!) 20%(!) mit der zweitstimme AFD gewählt haben.


    es entsteht mir hier doch tendenziell der eindruck " der ganze osten wählt AFD, der westen kaum ." das stimmt halt nicht. wie ein anderer user schon erwähnt hat , die AFD holte 70% der stimmen im westen. die AFD ist bundesweit erfolgreich , besonders erfolgreich im osten.


    dieser blick auf die ddr- erfahrungen ist zwar interessant, kann aber imo nicht der hauptgrund sein. sonst wäre ja der AFD - erfolg im westen nicht erklärbar. denn dort leben kaum ddr-romantiker.

  • also liegt es doch an der Union, die seit Jahren die Ziele der AfD propagiert, aber damit nur die AfD stärkt und selbst nicht profitiert. Bedauerlicherweise hat das Ampelversagen die Sinne vernebelt und nun baggert die Union (jüngst Spahn) weiter auf der falschen Baustelle.

  • Das Versagen der Ampel ist mir immer etwas zu kurz gesprungen, Herr Nebensache.

    Versagt hat die bundesdeutsche Politik seit mindestens 30 Jahren, die Weichen dafür vielleicht schon früher gestellt ("Die Renten sind sicher!"). Das Ergebnis sehen wir jetzt an einer Politikverdrossenheit und dem Erstarken der Ränder. Im weltweiten Trend liegt der rechte Rand vorn, wir sind da gute Weltbürger und stellen uns nicht gegen den Trend.


    Aber das reicht nicht als Erklärung, warum die Karte, die Kai oben vor Augen hatte, rechts blau-braun und links schwarz ist.


    P.S.: Danke für die Becher, gegen Köln gerne wieder. :D

  • Das Thema DDR-Romantisierung wird größer, je länger die DDR Geschichte ist.

    Sieht man auch an der Verklärung des Dritten Reiches.



    Ich habe tatsächlich mit dieser Romantisierung oder Verklärung ein großes Verständnisproblem. Ich darauf nicht klar.


    Nehmen wir das Beispiel "Stasi". Vor 1989 galt die Stasi gleichermaßen im Osten wie im Westen als verabscheuungswürdige Einrichtung, die gefährlich war und vielen Menschen das Leben zur Hölle gemacht hat und teilweise sogar das Leben genommen hat. Stasi-Morde gab es im Westen wie im Osten.


    Heute wird es von vielen heruntergespielt und so getan, dass die Stasi zwar ein Problem war, aber nur "ein negativer Aspekt, von dem aber die Meisten nichts mitbekommen haben." Halb so wild also?


    Die Bürger der DDR haben mit der "friedlichen Revolution" mit großen persönlich Risiko etwas geschaffen, was mir allergrößten Respekt und Anerkennung auch noch 36 Jahr danach abverlangt. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass diese Diktatur gewaltfrei beendet werden könnte. Ein Grund, warum die Menschen dieses System nicht mehr ertragen konnten, war die Stasi.


    Von AfD-Wählern, die ja im Osten die relative Mehrheit sind, hört man immer wieder, dass man "heutzutage ja nichts mehr sagen dürfte". Haben diese Leute vergessen, wie es vor der Wende war? Damals sind Zehntausende verhört und/oder in Gefängnis gekommen, weil sie etwas Kritisches gegen die DDR, seine Repräsentanten oder die Sowjets gesagt haben oder einfach nur von der offiziellen Parteilinie abgewichen sind. Unvorstellbare 200.000 inoffizielle Mitarbeiter der Stasi sorgten schon dafür, dass ein Klima der "vorgehaltenen Hand" entstand. Alles vergessen?


    Dazu kommt noch ein Aspekt, der mir persönlich immer wieder zu kurz kommt: Die Umweltkatastrophe in der DDR. Wer einmal in den Wendejahren (insbesondere in den Wintermonaten) in die DDR gefahren ist, weiß, wovon ich rede. Überall gelbe, stinkende Luft. Dazu -ebenfalls überall - durch Emissionen verdreckte Häuserfassaden. So schlimm, dass dieser Dreck immer wieder in großen Placken von den Häuserfassaden abbrach und auf den Gehweg fiel. Oder die Chemie verseuchten Flüsse. Die Reihe ließe sich fortführen.


    Natürlich ist heute auch nicht alles optimal. Wir haben viele Baustellen und ungelöste Probleme, hüben wie drüben. Aber im Vergleich zu den Zuständen in der DDR, speziell in der 80er Jahren, sind die Probleme aus meiner Sicht gering. Natürlich müssen die angegangen werden und das passiert ja auch. Häufig zu langsam und nicht konsequent genug. Aber das ist aus meiner Perspektive kein Grund, rechtsextreme Parteien zu wählen. Gerade wenn man als Ostdeutscher aus eigener Erfahrung weiß, wie groß tagtägliche Probleme tatsächlich sein können.


    Wie gesagt: Ich verstehe es nicht. Die "friedliche Revolution" wird für mich immer höchste Anerkennung und Respekt behalten, aber daneben blicke ich wegen der AfD-Erfolge und dieser Verdrängungs- und Vergessenheitskultur mit Sorge und Unverständnis in den Osten.

  • Menschen sind einfach schrullig.


    Trump kann in den USA lauthals verkünden, dass die Preise für Sprit und "Groceries" (such a nice oldfashioned term meaning "bags with different things") im allgemeinen und Eier im besonderen nach unten gehen, dass die Börse so gut dasteht wie noch nie unter einem amerikanischen Präsidenten, dass man ja nicht jedem einen Prozess ermöglichen könne, weil das ja dann 200 Jahre dauerte, alle Täter loszuwerden (sich und sein Kabinett mal außen vor selbstredend), UND DIE MAGAS STIMMEN ZU.


    Dann kann auch die Bevölkerung im Osten die Stasi verklären.

  • "Nostalgie" ==> Man hängt einer konkreten Vergangenheit nach. Die war zwar nicht so rosig, wie sie in der Erinnerung ist, aber es gab sie, irgendwie.


    "Romantisierung" ==> Man idealisiert eine kulturelle Erfahrung/Erzählung, d.h. man ignoriert alle negativen Aspekte, alle Ambivalenzen. Bsp. Romantisierung: Die Figur des "edlen Wilden" in Bezug auf Indianer.


    D.h. die Romantisierung der DDR ist genau die Abstraktion einer idealen, gemütlichen DDR von dem Unterdrückungs- und Mangelregime, welches sie tatsächlich war.

  • Ich glaube nicht so richtig an diese DDR-Nummer. Ich mache es mir weiterhin einfach und sage es liegt halt an der Schere, die immer weiter auseinander geht. Früher haste malocht und dir ein Haus gekauft. Heute, ohne den glücklichen Umstand durch deine Geburt schon eine gewisse Anschubfinanzierung bekommen zu haben, ist das doch nicht wirklich mehr möglich für den einfachen Arbeiter. Und vieles andere auch, was für meine Elterngeneration noch selbstverständlich war. Und wie schön das Dolce Vita der "Besseren" ist kannste dir halt überall noch digital aufs Brot schmieren lassen. Wenn man dann noch erzählt, dass der Grund dafür Migration und Sozialstaat sind anstatt die hässliche Fratze des Kapitalismus, die alles dafür tut, das Geld von unten nach oben zu bekommen, dann kommt sowas bei raus. Und diese Klaviatur bespielt die AfD halt einfach gut. Noch ein wenig Volksgemeinschaft hier und schon hat das Weltbild Struktur.

    Seit Ende des letzten Jahrhunderts wurde Politik nur noch für Millionäre gemacht. Jetzt machen die Millionäre die Politik. Besser wird es wohl nicht mehr werden.

  • Ich denke, es ist generell schon beides.


    Dass die AfD im Osten deutlich stärker ist, dass diese blühenden Bundesländer gerade auf dem Land von Rechten dominiert werden, dass wir ohne Osten die AfD nicht als stärkste Partei hätten, ist aber wichtig. Und muss auch irgendwie erklärt werden.


    Die übergreifende Klammer für mich ist "zunehmende Perspektivlosigkeit". Wo immer Bürger ihre eigenen Perspektiven sich verschlechtern sehen, ist die AfD stark. Und in der DDR wird das von einem Diskurs, der sich eigentlich auf die vermasselte Einigung bezieht, dann in eine Revoltenerzählung ("wir gegen die Besserwssis") umgestrickt.


    Auch damit ist die AfD nicht komplett erklärt. Der "Rest" geht auf die "übliche" Anziehungskraft rechter, antisemitischer, rassistischer Erzählung zurück, meiner Meinung nach.


    Aber beide Punkte vorher, also 1. Osten, 2. allgemein Perspektivlosigkeit, wären Punkte, an denen man zumindest politisch ansetzen könnte. Theoretisch. Praktisch wird man natürlich einen Teufel tun, das würde ja (auch) kosten.

  • Es gab doch schon viele Erklärungen.

    Die mir eingängigste für sowohl Ost als auch West ist das Wegfallen oder Verfallen lassen von Infrastruktur (Banken, Post, ÖPNV, Kneipen, med. Versorgung, Ämter, Schulen, Wohnen, Freizeitgestaltung, die nicht Unmengen Geld frisst,....), dazu die größer werdende Schere bei steigende Preise natürlich gibt das das Gefühl von Nicht gesehen werden, nicht ernstgenommen zu werden, nichts wert zu sein.

  • Ich bin da sehr nah an der Argumentation des Exilanten und würde die Perspekitvlosigkeit noch um eine durchgehende Enttäuschung durch die etablierten Parteien ergänzen.


    Das erklärt vielleicht auch, warum die Linke wieder gut zugelegt hat, denn die hatten sich besonnen und besonders im Osten den Menschen in den Vordergrund gestellt. Hausbesuche, um zu erfahren, was die Bürger wirklich bewegt, anstatt sich auf Umfrageinstitute zu verlassen.

  • Man darf ja nicht vergessen, das ist ja nix neues.

    Die NPD hat es im Osten in den Landtag geschafft, hatte da Mal einen Ausschnitt von nach der Wahl gesehen.

    Die hatten da schon immer ein Hang zu...

  • Die Bürger der DDR haben mit der "friedlichen Revolution" mit großen persönlich Risiko etwas geschaffen, was mir allergrößten Respekt und Anerkennung auch noch 36 Jahr danach abverlangt.

    Die Bürger ... ich glaube ja der Großteil der Bürger hüben wie drüben, gestern sowie heute, macht sich da gar nicht so nen Kopp über das große Ganze, schon gar nicht wenn es sie nicht selbst betrifft (sieht man ja jetzt schön auf Reddit wie sich die Magas auf einmal wundern, wenn es sie selbst betrifft und wie unwitzig die das dann auf einmal finden). Wie viele waren bei den Montagsdemos oder den größten Demos in der DDR im Bezug zur Gesamtbevölkerung? 500 000 bei 18 Millionen Bürgern auf dem Alexanderplatz? Ging es wirklich allen, auch den nicht teilnehmenden, DDR Bürgern um das Ende des Unrechtsstaat DDR samt der Stasi? Schön wäre es ... aber ich glaube da überschätzen wir "den Bürger" im konkreten Beispiel und überall anders auf der Welt deutlich.

  • Naja, es ging ihnen schon darum, aber das waren größtenteils Mitläufer, nachdem die Bürgerrechtsbewegung den Weg geebnet hatte. In Verbindung damit, dass die Flucht über Ungarn inzwischen möglich war, d.h. das der Staat schon viel an Macht verloren hatte.


    Ab dem 3. Oktober war klar, dass nicht geschossen werden würde. Das war Leipzig, der Kern war die dortige Dissidentenszene.


    Also: Die Bevölkerung hatte schon Anteil, aber am Risiko war nur ein kleiner Teil beteiligt, die dann wiederum von der Vereinigungseuphorie entmachtet wurden.


    Ja, die DDR-Bürger haben günstige Umstände genutzt und sich selbst befreit. Und das dann gleich wieder weggeworfen im Vertrauen auf Kohl und die westdeutsche Politik. Hätten 'se mal den schwarzen Kanal geguckt, denn komplett unrecht hatte Schnitzler nicht, auch wenn er Hetzer war.