Unglaubliche Schlagzeilen

  • Aber grade der nationale Gedanke ist in Europa halt fest verankert. Im Gegensatz zu unserem grossen Freund hinterm grossen Teich haben die Vereinigten Staaten von Europa halt mal nationale, Jahrtausende alte individuelle Geschichten, welche sich in der Kultur, Sprache etc. widerspiegeln.


    Natürlich hat auch Amerika eine Jahrtausende alte Geschichte, aber die wird nicht erzählt. Es gibt erste Bewegungen, z.B. an der UCLA, welche den europäischen Sprech aus den Geschichtsbüchern raus haben will und eine internationale Geschichte Amerikas in den Lehrbüchern verankern möchte. Aber das ist noch ein weiter Weg. Noch ist es der Weg des Cowboys, der Amerika entdeckt und aufgebaut hat und vor den bösen Indianern rettete. Die Geschichte findet man von Carolina bis Oregon und von Texas bis Montana.


    Das es in Europa mal Gallionsfiguren wie einen Obama oder auch Trump gibt, die von Ost bis West, von Nord bis Süd als "einer von uns" empfunden werden können, wird es in Europa auf Jahre nicht geben. Wo soll diese Person auch herkommen? Was eint den Portugiesen mit dem Bulgaren? Was den Schweden mit dem Griechen? Ich meine in den Punkten Kultur, Sprache und Geschichte..


    Die Momente, in denen sich die europäische Geschichte verbunden hat, sind idR die, in denen eine Nation alle anderen dominiert hat. Cäsar, Napoleon, Hitler und die Freiheitskämpfe im Anschluss. Aber direkt danach ist auch alles wieder in nationale Geflechte zerfallen. Selbst die Deutsche Geschichte war über Jahrhunderte eine eher Regionale und Lokale, idem Italien. Das daraus mal Nationalstaaten entstanden sind und man sich auf die Gemeinsamkeiten besonnen hat, sind Errungenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts. Also quasi gestern.


    Wir haben heute mit Annalena Baerbock eine Politikerin, die den Euro so lange kennt wie die D-Mark. Es wird noch viele Jahre brauchen, bis wir eine dominierende Generation in der Politik haben, die nicht mehr in Gedanken umrechnet. Die die Schlagbäume auf Reisen durch Europa nicht mehr kennt.


    Ich glaube, das die Einstimmigkeit im europäischen Parlament etwas ist, was grade den Deutschen und Franzosen zu Gute kommt und ich würde mich wundern, wenn diese nicht auch massgebend an der Verankerung mitgewirkt haben. Die Alternative wäre ja, das ein Land eine Stimme hat und dann wären die grossen Länder im Nachteil. Bestes Beispiel dafür wurde mit der Flüchtlingspolitik hier auch schon genannt. Wenn per Abstimmung eine europäische Strategie umgesetzt werden müsste, dann wären 2015 die humanitären Lösungen nicht zum tragen gekommen, weil die ost- und südeuropäischen Länder gemeinsam gegen die Aufnahme gestimmt hätten. Selbst Österreich war dagegen. Im Prinzip wurden hier dann ja auch die grossen Errungenschaften der EU, wie das Dublin und auch das Schengen Abkommen konterkariert und wir standen relativ alleine da.


    Auch Energie und Klima sind Themen, die für uns anders aussehen wie für unsere osteuropäischen Nachbarn. Deutschland hat mittlerweile einen Anteil von knapp 50% an erneuerbaren Energien. Europaweit ist der Durchschnitt aber bei 19%. Für viele ist atomare und fossile Energie zumindest noch nicht verhandelbar.


    Ich glaube Du hast einen grossen Traum Exil, aber der ist im Moment mal noch eine reine Utopie. Das wird noch Generationen brauchen und vor allem Ereignisse, die die Europäer sich als solche verstehen lässt. Die Europa greifbar macht für alle von Ost bis West, von Nord bis Süd. Im Prinzip steht da grade ein solches Ereignis vor der Tür. Aber ich fürchte es ist zu früh.

  • Zwei Anmerkungen: Unser Geschichtsbuch in den USA 1988/89 war schon damals Howard Zinn, "A people's history of the United States". Das geht damit los, dass Kolumbus anlandet und anfängt, die Eingeborenen zu massakrieren und ist Geschichte von unten im besten Sinn, ähnlich Bernt Engelmann (wer kennt den noch?) hier.


    Es war zugegebenermaßen eine Privatschule, dennoch ist Zinn in Amerika ein Begriff, und das schon seit vielen Jahrzehnten. Und andere alternative Ansätze ebenfalls. Amerika ist halt ein weites Feld. Und es ist übrigens immer noch so, dass wir von emanzipatorischen Diskursen in den USA lernen, und nicht umgekehrt.


    Zum anderen: Ich halte Nationalstaaten für ein rückwärtsgewandtes Konzept, aber dass sie immer noch real sind, will ich gar nicht leugnen. Was ich sagen will, ist, dass man sich an anderen Perspektiven orientiert für Politik. Das ist schwierig, weil Politik und Medien immer noch entlang der Linien von Nationalstaaten orientiert und organisiert sind, um so mehr müsste man daran arbeiten, diese Grenzen stückweise zu überwinden.

    3 Mal editiert, zuletzt von ExilRoter ()

  • Ich will gar nicht abstreiten, das die amerikanische Geschichte auch vor Ort kontrovers betrachtet wird. Aber die Regel sieht halt anders aus und auch hier wird die Geschichte noch von den Siegern geschrieben.


    So darf in Texas kein Lehrer seine Schüler verpflichten, sich im Geschichtsunterricht mit Texten nicht weisser Amerikaner auseinander zu setzen. In Oklahoma, wo das Tulsa-Massaker in 1921 war, darf kein Lehrer Inhalte unterrichten, die Unbehagen oder Schuldgefühle auslösen könnten.


    Aber das ist eine Diskussion am Rande. Am Ende versteht sich der Amerikaner als Amerikaner. Der Europäer aber eben nicht. Selbst der Bayer und der Sachse ist in erster Linie Bayer oder Sachse. Vorher natürlich noch Franke, Pfälzer oder auch Bautzener und Vogtländer. Dann kommt irgendwann mal Deutscher.


    Das die Ode an die Freude die Europa-Hymne ist, würde keinem auffallen, würde diese nicht beim ESC gespielt werden. Geschweige den, das irgendein ernstzunehmender Anteil ausserhalb von Deutschland den Text könnte.

  • Texas ist nicht die Regel, sondern das Klischee. Und "der Texaner" hat mit Massachusetts in vielen Bereichen weniger gemeinsam, als der Schwede mit Portugal.

  • Ich verstehe mich als Euro

    Aber das ist eine Diskussion am Rande. Am Ende versteht sich der Amerikaner als Amerikaner. Der Europäer aber eben nicht. Selbst der Bayer und der Sachse ist in erster Linie Bayer oder Sachse. Vorher natürlich noch Franke, Pfälzer oder auch Bautzener und Vogtländer. Dann kommt irgendwann mal Deutscher.

    Ich bin der festen Überzeugung, dass der New Yorker sich zu aller erst als New Yorker sieht.


    Und ich bin auch der festen Überzeugung, dass viele Europäer sich auch als Europäer sehen.

  • Völlig abseits der Binsenweisheit, dass manche Texaner weniger mit irgendeinem Landsmann aus einem anderen Staat gemeinsam haben, treibt die Critical Race Debatte in den USA auf jeden Fall interessante Blüten:


    A Texas school district official told educators if they kept books about the Holocaust in their classrooms, they would have to also offer “opposing” viewpoints in order to comply with a new state law.

    (Guardian)



    [quote=Guardian ]As 22 states pass or consider legislation on race and racism discourse in classrooms, some Black teachers are reminded daily that their racial identity is a liability[/quote]

    https://www.theguardian.com/education/2021/sep/14/black-us-teachers-critical-race-theory-silenced

    Wundertüte USA.

  • Ja. Hatte mich auch gewundert, dass nicht das aktuelle Beispiel verwendet wurde.


    Und natürlich ist das schockierend.


    Was hier aber verboten wird, ist ebenfalls amerikanisch.


    Die ganze Debatte um die konservative Reaktion in den USA hatten wir hier schon, als Trump gewählt wurde. Ich bin noch immer der Meinung, dass in den deutschen Medien ein ziemlich schlimmes Zerrbild gezeigt wird, welches inbesondere der Reaktion selber eine Bühne bietet. Es gibt sehr gute Auseinandersetzungen mit dem Thema, die hier jedoch praktisch nicht präsent sind.


    Der Schlüssel ist, dass diejenigen, die dort Identität definieren und für sich in Anspruch nehmen, selber ein neues Phänomen, eine Reaktion auf unsere Zeit, darstellen und von daher kann der ganze Kladderatsch nur vor dem Hintergrund der modernen amerikanischen Gesellschaft gelesen werden.


    Exemplarisch ein Standardwerk zum Thema von 2004. Vorträge von Thomas Frank finden sich auch auf YT.

  • Die ganze Debatte um die konservative Reaktion in den USA hatten wir hier schon, als Trump gewählt wurde. Ich bin noch immer der Meinung, dass in den deutschen Medien ein ziemlich schlimmes Zerrbild gezeigt wird, welches inbesondere der Reaktion selber eine Bühne bietet. Es gibt sehr gute Auseinandersetzungen mit dem Thema, die hier jedoch praktisch nicht präsent sind.

    Ich hatte über Silvester [deutschstämmige] Amerikaner, Vater (58) und Tochter (18) zu Besuch. Er ist ein sehr, sehr alter Freund, den ich kenne, seit ich gucken kann. Seit 30 Jahren in den Staaten (NM) und eine spannende Mischung aus Europa und USA. Tochter ist waschechte Amerikanerin.


    Unabhängig davon, dass sie nach 3 Tagen Linden gar nicht zurück wollte nach Albuquerque, fand ich die Gespräche mit beiden sehr interessant. Wir müssen uns definitiv davor hüten, die Staaten zu klischeehaft zu betrachten, es gibt 'den/die Amerikaner/in' nicht. Aber ich denke, das ist uns allen klar.

    Vieles lässt sich halt nur nachvollziehen, wenn man die Mentalitäten vor Ort kennt und versteht.


    Was allerdings auch klar ist und hier in meinen Augen auch immer wieder betont wird, ist die Zerrissenheit der Gesellschaft.

    In den USA findet ein Kampf der Meinungen, Ideen und Vorstellungen statt, der zu einer Zerreißprobe führen kann. Vollspongos wie Marjorie Tyler Greene, eine Abgeordnete des Repräsentantenhauses und Anhängerin der Theorien von QAnon(!), haben trotz ihrer offenkundigen Unfähigkeit, ein solches Amt zu bekleiden, bzw. auch nur mental ansatzweise geeignet zu sein, irgendeine gesellschaftliche oder politische Funktion auszuüben, enormen Zulauf und Anhang.


    Aber gut, wir haben auch den ein oder anderen AfDler, der die tiefen Teller ganz sicher nicht erfunden hat...

  • Da wär' mal wieder die Frage, warum das hier nicht auf dem Lehrplan ist. Zu unangenehm für die Deutschen? Wer hier hat's gelesen?


    Stattdessen haben wir hier ellenlang Guido-Knopp-Style-Dokus. Der 2. Weltkrieg aus Sicht des deutschen Landsers. Yeah!

  • Zitat

    Was die Nacktheit betrifft, so sagte Spiegelman, dass es sich bei dem fraglichen Bild um ein "winziges Bild" handelte, das seine Mutter zeigte, die in einer Badewanne gefunden wurde, nachdem sie sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte. "Man muss sich wirklich einen sexuellen Kick verschaffen wollen, indem man darauf projiziert", sagte er.

    Und die Sprache, zuviel Schimpfen.

    Verdammt, ....

    Das kann man ja auch nicht schreiben.


    Hauptsache fuck you, bastard, bitch, ... anderen Menschen an die Köpfe schmeißen. Solange es nur nicht geschrieben ist.


    Wann werden die Bücher verbrannt?


  • Da sprichst Du etwas sehr interessantes an. Mein quasi bester Freund, eigentlich verwende ich das nicht, aber hier träfe es wohl zu, wohnt in Los Angeles. Seine beiden Eltern sind Holocaust-Überlebende. Warschauer Ghetto, Auschwitz, das volle Programm. Beide haben ihre gesamte Familie verloren. Der Vater war lange Professor an der UCLA, ein sehr gebildeter Mensch, den ich sehr schätze. Mein Freund ist Journalist und mit dem Weissen Haus verdrahtet. Das sind alles stramme Trumpisten.


    Wir hatten sehr viele, auch sehr anstrengende Debatten über Trump und Obama. Wobei meine Sicht halt eine sehr europäische und durch unsere Medien geprägte ist. Der Bruder von meinem Freund ist Demokrat. Da sind streckenweise die Fetzen geflogen.. ähnlich wie man sich das hier in manchen Familien bei der Impfdebatte vorstellen kann. Das hat auch sehr viel mit Wertvorstellungen zu tun. Die einen sind sehr traditionell und konservativ, religiös ausgerichtet, die anderen nicht. Mein Freund sagte immer, unter Obama hat die Religion im Weissen Haus keinen Platz gehabt. Mag man gut finden, oder nicht. Bei vielen Amerikanern ist das mit entscheidend, ob man ein guter Politiker / Mensch ist, oder nicht.

  • Deutschland hat mittlerweile einen Anteil von knapp 50% an erneuerbaren Energien.

    Ich bitte meine Penetranz zu entschuldigen, aber das ist weiterhin grob falsch.

    Deutschland liegt da so ca bei den 19%, die du dem europäischen Schnitt zurechnest. Wir hatten lediglich im Coronajahr (alles runtergefahren, und gutes Wind-, und Sonnenertragsjahr) 2020 ein Halbjahr, wo 50% unseres Stroms mal aus regenerativer Energie erzeugt wurde.


    Irgendwie ist da eine große Gehirnwäsche "passiert", denn es sitzt so fest in den Köpfen, dass diese 50% sich auf unseren Energieverbrauch, und nicht auf den Stromverbrauch beziehen.

    1/5 nicht 1/2 erzeugt Deutschland aus regenerativen Quellen!


  • Das ist nicht penetrant. Ich lasse mich gerne korrigieren wenn ich falsch liege und das scheint hier ja offensichtlich zu sein. :)