11 FREUNDE: Fans: Auswärtsspiel in Wilmersdorf (Neukölln)

  • Ein Fußballfan im Exil hat es schwer. Fern der Heimat muss er sich per nachgeschickter Lokalzeitung über Transfers und Gerüchte auf dem Laufenden halten. In Berlin gibt es jedoch Lokale, die Anhängern von Fremd-Vereinen ein neues Zuhause geben.


    Jeden Samstag, kurz nach drei, ist Wilmersdorf Schalke. Zumindest ein kleines bisschen. Zumindest in „Vonro´s Brettl“. Eine Kneipe, eingekeilt von Mehrfamilienhäusern, eine Kneipe, die noch kurz vor drei nicht so aussieht, als würden hier in Kürze fünfzig entfesselte Schalker der Großbildleinwand entgegen skandieren: „Schalke!“ –„Nuuull Vier!“ –„Schalke!“ –„Nuuull Vier!“. Udo Frey packt die Nordkurve aus. Frey ist Präsident des Schalker Fanklubs „Königsblau Berlin“, kommt aus der Nähe von Chemnitz und wohnt seit 15 Jahren in der Hauptstadt – Anhänger der Hertha ist er dennoch nicht geworden. Und hat dafür eine schlüssige Argumentationskette parat: „Ich bin Schalker, weil ich in einem Bergbaugebiet aufgewachsen bin. Da fühlt man sich mit Gelsenkirchen verbunden.“
    Leicht war die Suche nach einer Vereinskneipe für „Königsblau Berlin“ nicht. „Die Leute haben oft etwas gegen uns, weil sie denken, dass Fußballfans grundsätzlich asozial sind. Dabei hat bei uns im Verein über die Hälfte der Mitglieder Abitur“, sagt Udo Frey. Und dann auch noch Schalke. Gelsenkirchener und Berliner sind sich etwa so zugetan wie die USA und Nordkorea, da winkten die Kneipiers schon gleich mal ab. Zumal die Anhänger von „Königsblau Berlin“ knallharte Bedingungen gestellt hatten: „In unserer Kneipe wird keine Konferenz geguckt, sondern nur Schalke.“
    Was den Kneipenwirt Marcel Rossol nicht sonderlich schockte. Für ihn zunächst eine geschäftliche Erwägung: Bei jedem Schalke-Spiel ordern 20 bis 50 Fans in seiner Kneipe Veltins. „Die Leute sind in Ordnung. Keine Abzocker, keine Schnorrer und alle sehr herzlich.“ Und weil Rossol ein vorbildlicher Kundenbetreuer ist, hat er „Königsblau Berlin“ sogar einen eigenen Raum im hinteren Bereich des „Brettl“ eingerichtet. Dort finden sich die üblichen Devotionalien: Schals, Wimpel, Fotos von Schalke-Spielen und Fanklub-Fahrten, ein Autokennzeichen mit der Nummer BO-SO 04 und die Urkunde von einem gestifteten Baustein für die Arena hängen dort. Selbst die Kaffeemaschine ist blau. Fast so wie in Gelsenkirchen-Buer ist es also an jedem Samstag in „Vonro´s Brettl“, aber eben nur fast. In Buer wäre auch der Kneipier ein Schalker, Rossol hingegen ist alter Berliner und Herthaner.
    Wie die Schalker Anhänger haben sich auch Fans anderer Vereine Berliner Kneipen gesucht, in denen sie kein schallendes Gelächter befürchten müssen, wenn sie anregen, von der Konferenzschaltung auf das schwere Auswärtsspiel des MSV Duisburg oder Arminia Bielefeld umzuschalten. Kaum ein Verein der Bundesliga, der nicht in einer Eckkneipe in Steglitz, Friedrichshain oder Pankow bevorzugt behandelt wird. In „Schuppes Sportklause“ wird für Hansa Rostock krakeelt, im Keller der „Schwalbe“ treffen sich Kölner zur Podolski-Huldigung. Und in einer Kneipe mit dem eher bayrisch klingenden Namen „Alois S.“ ist es längst gute Tradition, mit dem Anpfiff ins Weserstadion zu geben.
    Wobei 90 Minuten vor Anpfiff noch kein einziger Bremer den Weg in die Werder-Keipe gefunden hat, acht Stuhlreihen warten nackt vor der ausgerollten Leinwand. Und Devotionalien wie den obligatorischen Wimpel an der Wand sucht man vergeblich. „Die kommen schon noch“, verspricht Hannes und rubbelt mit einem alten Lappen auf der Theke herum. Der 29-Jährige ist fast seit Anfang an dabei, kellnert hier seit fünf Jahren. Eigentlich ist das „Alois S.“ eine gewöhnliche Tapas-Bar am Prenzlauer Berg. Der Namenspatron der Straße gab auch der Kneipe den Namen, Alois Senefelder, der Erfinder der Lithografie. Anfangs wurde hier Bundesliga-Konferenz gezeigt, mitunter auch spanische oder italienische Liga. „Irgendwann kamen sieben oder acht Werder-Fans rein“, sagt Hannes. „Die meinten, wenn wir das nächste Mal Werder zeigen würden, dann würden sie noch einen Haufen Leute mitbringen. Und so wurden das immer mehr.“ Bis in der Nacht vor dem Pokalfinale 2004 im und vor dem „Alois S.“ hunderte Bremer entfesselt den Song zu Werders Double, „Lebenslang Grün-Weiß“, sangen. An normalen Bundesliga-Spieltagen sind es im Schnitt 100 bis 150 Werder-Fans pro Spiel, viele Studenten und größtenteils Exil-Bremer. 70 bis 80 Prozent Stammpublikum, sagt Hannes.
    Und dann geht es langsam los. Benjamin lugt durch den Seiteneingang in die Kneipe. Der 26-Jährige ist gerade aus der Hansestadt hergezogen und macht keinen Hehl daraus, dass er nur wegen des Bremen-Spiels kommt. „Sonst wäre ich nicht hier. Irgendjemand hat mir mal erzählt, dass hier nur Werder gezeigt wird. Seitdem habe ich hier alle Spiele gesehen. Na gut, zwei.“ Währenddessen sichern sich drei andere Herren in mallorquinischer Tradition die besten Plätze. Anstatt in Badeschlappen ein Handtuch über die Liegestühle am Pool zu werfen, verknoten sie drei Stühle mit einem grün-weißen Schal. Kevin (20) und Gregor (21) kommen natürlich auch aus Bremen und wollen heute ihrem Gast aus Wien ihr Werder-Wohnzimmer zeigen. „Lieber etwas früher kommen, sonst müssen wir gleich wieder stehen“, sagt Gregor. Ein Schritt auf die Straße gibt ihm Recht. Aus allen Himmelsrichtungen wird nun heranspaziert und hergeradelt. So grün ist die Straße nur einmal in der Woche. Viele stecken kurz den Kopf rein und zücken dann das Handy. „Geht eigentlich, wir müssten noch sitzen können. Aber beeilt euch.“
    Besondere Eile ist im „Niedersachsenstadion“ bereits am Samstagmorgen geboten, wenn Falko Reichardt feststellt, dass kein Herrenhäuser-Bier mehr da ist. „Dann muss einer von uns Richtung Hannover fahren und Nachschub holen“, sagt der Gründer des Hannover 96-Fanklubs „Das rote Berlin“. Er ist vor sechs Jahren zum Studieren nach Berlin gekommen. Am Anfang hatte er kein Geld für einen Fernseher, wollte aber auf die Bundesliga nicht verzichten. Falko Reichardt platzierte dann an der Uni einen Zettel mit dem flammenden Aufruf „Hannoveraner, vereinigt euch!“ ans Schwarze Brett. Der Erfolg war durchschlagend, die niedersächsischen Exilanten übten Rudelbildung in der Diaspora: „Am Anfang waren wir sieben Mann, wir haben reihum in unseren Wohnzimmern Fußball geguckt.“ Schon bald wurden die studentischen Wohnzimmer zu klein, da „Das rote Berlin“ schnell wuchs. Ein Raum musste her, möglichst billig, möglichst in Kreuzberg oder Neukölln, weil dort die meisten Vereinsmitglieder wohnen. Am Ende wurde eine Souterrain-Wohnung in Neukölln zum „Niedersachsenstadion“, liebevoll dekoriert und für die Spiele aufgehübscht: Straßenschilder wurden dem Hannoveraner Bauamt abgeschwatzt und aufgehängt, alte Fotos von 96-Heldentaten sowie Poster und Zeitungsausschnitte der neuesten Eskapaden von Prinz Ernst-August zieren die Wände. Das Publikum ist sehr gemischt, der studentische Ursprung des Vereins ist jedoch noch zu erkennen, erstaunlich viele Frauen sind dabei. Und weil der Erfolg schnell mal seine Kinder frisst, wird aufgepasst: „Uns ist wichtig, dass das „Niedersachsenstadion“ nicht kommerziell wird. Das ist ein Ding von Hannoveranern für Hannoveraner. Wir sind ein Verein, offiziell dürfen nur Mitglieder herkommen und ihr Bier trinken“, erklärt Falko Reichardt. Inoffiziell gibt es „Tagesmitgliedschaften“ für fünf Euro inklusive Getränk – ausgeschenkt werden nur regionale Sorten, da ist man konsequent, Herrenhäuser oder Lindener Spezial. Stefan Kulz kennt die Unterschiede: „Maurerbier“ sei Herrenhäuser, erklärt er mit einem Lindener in der Hand. Noch ist Kulz Probemitglied. Ist er richtig dabei, geht es los mit den Pflichten: Theken- und Aufräumdienst. Oder eben die Fahrt Richtung Hannover, um Biernachschub zu holen.
    Einheimisches Bier – ein Kundenbindungstrick, der auch Norbert Hähnel im Kreuzberger „Enzian“ nicht ganz fremd ist. Käme Hähnel allerdings auf komische Herrenhäuser-Ideen, würden sich selbst ostwestfälische Stoiker protestierend an der Theke anketten. Hähnels Gäste trinken „Herforder Pils“, nichts sonst. Was daran liegt, dass das „Enzian“ in Berlin die einzige Anlaufstelle für Exil-Bielefelder und Arminia-Fans ist. Und Herforder Pils schafft mit dem ersten Schluck Heimatgefühle, weckt das Getränk doch wehmütige Erinnerungen an Zeiten, als die Exilanten noch selbst mit dem Zehnerpack Herforder über den Bielefelder Klosterplatz schlurften. Zudem importiert Hähnel „Spengemanns Bratwürste“ aus Ostwestfalen, jene Würste, die einst Rolf Töpperwien während einer ZDF-Reportage ins Schwärmen geraten ließen. Detlef Kuhlmann weiß beides zu schätzen. 400 Meter Luftlinie von der Bielefelder Alm aufgewachsen, tippt er grundsätzlich auf Sieg der Arminia und kommt seit 2002 für fast jedes Spiel ins „Enzian“. „Aber natürlich auch wegen Heino“, sagt Kuhlmann. Heino? Gemeint ist Norbert Hähnel. Der tourte in den 80er Jahren als „Der wahre Heino“ mit den Toten Hosen quer durch Deutschland. Bis der wirkliche Heino ihn verklagte und Hähnel zu 10?000 Mark Strafe verurteilt wurde.
    Alle kennen die Geschichte – auch Stefan Hollensteiner, Initiator des Arminia-Fanklubs Berlin. „Das hier ist wie Ostwestfalen im Miniformat, ein eigener Mikrokosmos. Leute, die sich aus der Schule kennen und ewig nicht gesehen haben, treffen sich hier zufällig wieder“, sagt Hollensteiner. An der Wand hängt eine alte Karte der Heimatregion der meisten Gäste. Spielt die Arminia in Berlin, gehen alle gemeinsam ins Olympiastadion. Und bei den anderen Spielen trinken die Exil-Bielefelder im „Enzian“ ihr Herforder Pils, jubeln und schreien – wie auf der heimatlichen Alm. Fast wie.


    Text: Alexandra Stober, Maik Großmann


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