Schaut man die letzte Zeit aus Frust über die derzeitige Situation zwischen den 96-Gesellschaften (oder auf Verein, siehe Farbendiskussion) über den eigenen Tellerrand hinaus um zu sehen wie es anderswo läuft, stellt man fest das die Probleme flächendeckend zunehmen und Überhand nehmen.
In Frankfurt z.B. ist das Bild der Kurve derzeit bei der dortigen U23 weitaus überzeugender und frohmutiger als in der heimischen Bundesligakurve. Grund dafür ist der Beschluss der Gruppe Ultras Frankfurt, sich in der Bundesliga nicht mehr aktiv zu präsentieren und zur Zweitvertretung "auswanderte".
Die Ultras von Leverkusen ziehen es aufgrund staaltlicher Repression und Androhungen vor, kommendes Wochenende auf Bundesliga auswärts in Mainz zu verzichten und dafür ebenfalls ihre Zweitvertretung supporten.
Die Schickeria München verzichten seit über einem halben Jahr auf den Großteil ihrer Fanutensilien um mit ihrer "Ausgesperrte immer bei uns"-Zaunfahne auf ihre mit langjährigen Stadionverboten Gruppenmitglieder hinzuweisen.
Die Ultras Fürth gaben den Kampf gegen die Verfremdung des eigenen Vereins und ihr bei Polizei und Staat übertrieben schlechtes Image auf und lösten ihre Gruppe auf.
Wenn man dann zurück auf unseren Verein blickt und sich die Gesamtsituation zu Bilde führt muss man schon beim Wort "Verein" inne halten.
Seit der Ausgliederung der 1. Mannschaft und Gründung der Schwestergesellschaften Sales&Service und Stadion, hat Hannover 96 grundsätzlich nicht mehr viel mit dem Wort Verein (e.V. im eigentlichen Sinne) gemeinsam. Nämlich ein Stammbaumartiges Prinzip in dem demokratisch entschieden wird und Verantwortungen ent- oder nicht entlastet werden können. Quasi eine Grundidee mit festen Strukturen die nur eine Mehrheit verändern können. Die Gesellschaften die heute die Geschicke lenken, von denen wir heute Fans sind, haben nahezu ein Alleinherrscherrecht. Sie funktionieren nach dem Wirtschaftsprinzip. Sie verfügen über Gesellschafter, die Eigenkapital stellen, dass sie in kurz-, mittel-, oder langfristiger Sicht für ihr privates Ego vervielfältigen möchten. Da sie dieses nicht blauäugig tun, gibt es Wirtschaftsprinzipien wie Marktstatistiken, Forschung und Marketing. Oft kommen diese Leute aber nicht aus dem Bereich Fußball und Drumherum und können den emotionalen Sport und die freie harte Marktwirtschaft selten unterscheiden.
So wird, wie bei uns geschehen mal eben ausgewertet, was eine Erfrischung des alten Vereinslogos verkaufstechnisch bewirken würde. Alternativ wird sich eben Gedanken gemacht, ob der Hannover 96 - Die Roten - sich mit schwarz-weiß-grünen Farben weiter, schlechter, besser verkaufen lässt. Eigentlich kann Hannover 96 als Firma machen was sie will. Wenn die Fans unkritisch und still sind, kann auch ein Sponsor kommen , der viel zahlt und deshalb beim traditionellen Fußballfan unangenehme Ansprüche stellen (Trikot den Sponsorfarben anpassen, das Stadion dementsprechend verändern, sein Produkt in die Köpfe des Publikums bringen)
Ich frage mich an dieser Stelle die letzten Monate oft, von wem und was ich derzeit noch Fan bin.
Es ist natürlich keine plötzliche Veränderung passiert, es war eher ein manchmal still, manchmal lauter schleichender Prozess über viele Jahre.
Ich mach ihn für meine Person an verschiedenen Dingen fest, unabhängig der drei verschiedenen Ligen die ich mit 96 kennen lernen durfte.
Der Verein: Früher reiner e.V. mit Sitz in einer unmodernen viel zu kleinen Geschäftsstelle. Die Jahreshauptversammlungen endeten oft im Chaos, die 1.Vorsitzenden oft Profilneurotiker ohne Sachverstand, die Organisation nervenaufreibend (zu merken an 100 m langen Schlagen in der Clausewitzstraße bei Topspielen)
Heute bestehen drei Gesellschaften, das System der Organisation im Vergleich zu anderen Städten noch nicht ausgereift, aber viel aufgebaut (neue Geschäftsstelle, Fanshop etc.)
Das Stadion: An gleicher Stelle wie früher, aber zu 3/4 verändert, neu, hochmodern, zum Glück besser als viele andere sterile Glaspaläste im Land.
Das Vereinslogo wurde oft geändert von schlicht schwarz auf weiß, über schwarz-weiß-grün mit Lichteffekt zu heute mit roter Banderole und "Die Roten".
Die Trikots haben sich glücklicherweise noch nicht verändert zu früher, im Gegensatz zu Biermarke(früher gab es Gilde heut nur noch Hasseröder), Bratwurst, und Bezahlart (unsägliche Karten)
Freiheiten in der Kurve sind eingeschränkt wie nie zuvor. Jedes Spruchband muss angemeldet werden, kritisches verboten, heile Welt gewünscht.
Es gibt Fahnenpässe, Hühnerstangen (könnte ja irgendwann einmal wieder ein internationales Spiel stattfinden), Dauerbeschallung in Überlautstärke vor und nach dem Spiel, Show-Moderator statt Stadionsprecher wie früher (saß in seinem Kabuff im Turm und las das wichtigste war. Punkt.) Sponsoren bekommen Tui-Days, Conti-Days etc und dürfen im Umfeld der Spiele das Publikum nerven.
Das Publikum ist lang nicht mehr so enthusiastisch. Siege werden zwar gefeiert, sind aber schon auf dem Nachhauseweg wieder vergessen. Die Fanszene oft uneinig, europäische Ultra-Welle mit all ihrer Vor- und Nachteile, Internetfans, Kutten (kaum mehr). Naja, ich schweife ab.
Jedenfalls hat sich so viel verändert, dass man sich hinterfragen muss, wovon man noch Fan ist heutzutage.
Für mich war es früher ganz sicher nicht der Verein, es war ein Chaosclub den jeder merk-, aber kaum liebenswürdig finden konnte. Die Mannschaft und der Stab verändern sich regelmäßig, tauschte sich immer wieder komplett aus, das konnte es auch nicht sein. Fan einer Firma kann man nicht sein.
Ich weiß aber was ich toll fand: Eine Symbiose aus Chaosclub, Erfahrungen (in Herzlake über Gütersloh, Ulm nach München), Erfolgen und schließlich der Atmosphäre, den Gleichgesinnten, der Stimmung, im Alten wie auch im neuen Stadion und das ist der Grundstein weshalb ich 96 Fan bin.
Wenn man aber wie heutzutage Woche für Woche den Boden unter den Füßen wegbröckeln sieht, man erkennt wie machtlos man dem Verfall des Fußballs im Spiel der Konzerne zusehen muss, dann kann ich gut verstehen wenn sich ganze Fangruppen Stück für Stück davon verabschieden, einsehen, dass es nicht mehr "echt" ist und in der Zweitvertretung, quasi ersten Mannschaft des wirklichen e.V. ihre neue aber heile Fan-Welt suchen. Ich selbst glaube, wenn der Trend sich erhärtet und der Weg des modernen Fußballs als Show/Event fortgesetzt wird, ist es nur noch eine Frage der Zeit bis sich viele auch in Hannover Gedanken machen werden ob es nicht sinnvoller erscheint dieses Spektakel zu verlassen um den sich zum Ende neigenden Weg zu verlassen um auf neuem Pfad von vorne anzufangen. Ohne gekünstelte Show, aber mit günstigen Eintrittspreisen, Bier, Bratwurst und Tribüne. Mit Freiheiten, Spaß, Fahnen, Mitgestaltung und trotzdem gutem Fußball.
Was denkt ihr?