NP: Die halbe Bundesliga ist hinter Evseev (15) her

  • Das 96-Supertalent


    Die halbe Bundesliga ist hinter Evseev (15) her


    Supertalent Willi Evseev wird von deutschen Topklubs umworben.
    Wie lange kann 96 den U-15-Nationalspieler halten?


    VON GUNTHER NEUHAUS


    HANNOVER. Günter Netzer und Gerhard Delling fachsimpeln in der ARD ja sonst über die Großen des Weltfußballs, doch am 20. April kommentierten sie die Aktionen des 15-jährigen Wilhelm Evseev. Der freche Blondschopf aus der 96-Jugend war plötzlich im Fernsehen, denn das Erste zeigte zur Themenwoche „Kinder sind Zukunft“ das Spiel der U-15-Nationalelf gegen die Schweiz – und Evseev fiel auf.
    Der Mittelfeldspieler schoss das vorentscheidende 3:1 beim 4:1-Sieg, auch am vergangenen Freitag beim 4:3 gegen Polen gelang ihm ein Treffer. Evseev war für die Scouts der Bundesligaklubs natürlich schon vorher kein Unbekannter gewesem, er gilt als eines der größten deutschen Talente im offensiven Mittelfeld. „Willi ist den meisten Jungs in dem Alter von der Technik und vom Spielverständnis her weit voraus“, weiß Rainer Graf, 96-U-15-Trainer. „Er hat im letzten Jahr noch einen Riesenschritt nach vorne gemacht.“
    So einer weckt Begehrlichkeiten bei der Konkurrenz, die halbe Bundesliga (vor allem Bremen und Dortmund) umwirbt Evseev, und die Bayern holten ihn sogar schon für zwei Tage zum Training nach München. Bayern sei zwar „ein großer Name“, sagt Alexander Evseev (37), der Papa hatte Willi nach München begleitet, „aber das war im Vergleich mit Hannover auch nichts Besonderes“. Außerdem sei sein Sohn ja „fast noch ein Kind. Der will einfach nur so weiterspielen und bei seiner Familie bleiben.“ Willi lebt mit seinen Eltern und der kleinen Schwester (9) in Buchholz, er besucht die neunte Klasse des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums.
    1993 war Familie Evseev aus Kasachstan nach Deutschland gekommen, 1996 begann Willi als Vierjähriger in der G-Jugend von 96 mit dem Fußballspielen. Inzwischen ist er auch ins Visier der Spielerberater geraten, „da kommen 1000 Anrufe. Aber Willi sagt immer, er will das alles nicht“, berichtet Evseev senior, früher ein Judoka. Er spürt das „Vertrauen bei unserem Verein“, andererseits lehnten die Evseevs auch ein Angebot für einen Vierjahresvertrag bei 96 ab. „Der Junge ist doch erst 15, in zwei Jahren kann er selber entscheiden, wie es weitergehen soll“, argumentiert sein Vater. „Wenn ich für ihn jetzt unterschreibe, sagt er mir später vielleicht: Warum hast du das gemacht?“ Cheftrainer Dieter Hecking und Sportdirektor Christian Hochstätter hatten sich persönlich um Evseev bemüht. „Wir mussten akzeptieren, dass Vater und Sohn sich nicht länger binden wollten“, sagt Hecking. „Aber die Gefahr besteht, dass jemand anders kommt. Das können wir dann nicht verhindern, wenn von der Gegenseite kein Wille zu erkennen ist.“
    So weit will Alexander Evseev aber nicht denken. „Willi bleibt in Hannover dieses Jahr, danach kann man sich nochmal treffen.“



    So läuft die Spieler-Jagd - Es herrscht „reines Chaos“


    HANNOVER. Wenn die Bayern anrufen, wirds eng. „Die großen Vereine nehmen sich die Spieler“, weiß Jens Rehhagel, Leiter des 96-Nachwuchsleistungszentrums. „Das bricht sich von oben runter auf die anderen Ebenen.“ Als die Bayern aber Willi Evseev zum Test-Training nach München holten, „lief das ganz offiziell“, berichtet Rehhagel. „Sie haben vorher um die Erlaubnis gebeten.“
    Dass Talente aus der 96-Jugend von der Konkurrenz angesprochen werden, kommt inzwischen wieder häufiger vor. Bis ins vergangene Jahr hatte es ein Gentlemen Agreement zwischen den Bundesligisten gegeben, auf gegenseitige Abwerbeversuche zu verzichten. Die Bayern hat das traditionell nicht weiter geschert, und dann „haben einige Vereine gesagt, dass sie das nicht mehr wollen“, sagt Rehhagel.
    Seitdem die Vereinbarung aufgekündigt wurde, „herrscht reines Chaos“, wie U-15-Trainer Rainer Graf klagt. Am Donnerstag reist NLZ-Boss Rehhagel nach Berlin zur „Tagung der Leistungszentren“. Dort wird auch über das sensible Thema der Talent-Jagd debattiert. Rehhagel hätte „nichts dagegen“, wenn das Gentlemen Agreement erneuert würde.