Alltagserkenntnisse

  • Bist du da nicht ein wenig naiv, exil?


    Ich erinnere mich an meine Zeit an der Bismarckstraße. Die Profs und Dozenten versuchten zu einem großen Teil viel. Die Ausstattung am Fachbereich und der größte Teil der Lehramtsstudenten, deren Vorbildung (Lebenserfahrung) machten vieles zunichte, sowie auch die Tatsache, dass dem, wwas die Profs und Dozenten an Sinnvollem vermitteln wollten, leider von politischer Seite her kein großer Einzug in die Lehrpläne gestattet wurde.
    Anfang der 90er waren das hier z.b. das vernetzte Denken und interkulturelle Pädagogik. In Seminaren zu den Themen waren Lehramtsstudenten kaum zugegen, überwiegend Diplomer, also die, die nach dem Abitur mindestens mal ein Praktikum gemacht haben mussten, am besten aber Ausbildung/Berufstätigkeit, um überhaupt an die Uni zu dürfen.

  • Ich fürchte, ich bin da das Gegenteil von naiv. Hätte ich meinen Zynismus beherrschen können, hätte ich das einfach stehen lassen können.


    Dass Lehramtsstudierende in erziehungswissenschaftlichen Seminaren kaum zugegen sind, liegt in der Tat an den Studienplänen der Lehrerausbildung. (Dass die Vorerfahrung der Lehramtsstudenten ein Problem ist, kann ich auch ein stückweit nachvollziehen, aber hier werden letztlich wieder diejenigen, die am wenigsten Schuld an einer schlechten Lehrerausbildung trifft, den Lehramtsstudierenden, die Schuld gegeben, statt denen, deren Aufgabe es wäre, aus diesen Leuten Lehrer zu machen.) Und von wem werden die gemacht? Dass die Erziehungswissenschaftler hier eventuell selber in einer schwächeren Position im Vergleich zu den Fachdisziplinen sind, ändert doch nichts daran. (Und nachdem, was ich von Lehramtsstudierenden gehört habe, ist genau die zu geringe Gewichtung von Pädagogik und Didaktik einer der Hauptkritikpunkte der Studierenden selbst.)


    Leonard, ich würde behaupten, die Kompetenzorientierung ist alles andere als ein Gegensatz zum Dreisatz. Ganz im Gegenteil, für mich riecht das ganz extrem nach den Vorbehalten einer alten Didaktik (die letztlich keine ist) gegenüber Ansätzen, die angetreten sind, das Problem zu lösen. (Wobei "Kompetenzen" allgemein ein weites Feld und durchaus hinterfragbar sind.)


    EDIT: Ich möchte hinzufügen, dass diese ganzen Fragen sehr wichtig sind, aber nur ein Teil des Problems. Die Hauptprobleme des deutschen Schulsystems sind systemisch. Insbesondere die frühe Selektion über Bildungswege. Das ist eigentlich auch bekannt. Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen Mathekönner und -Nichtkönner geschaffen werden. Und das spricht Lesch leider auch mit keinem Wort an.

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  • Die Didaktik im Lehramtsstudium ist doch in den letzten Jahren stark erhöht worden. Jedes Fach hat mittlerweile auch eine Didaktikprofessur, und das in den jeweiligen Fachbereichen bzw. Instituten, also zusätzlich zu den Erziehungswissenschaften/Pädagogik. Fachwissenschaftliche Kompetenz ist aber auch notwendig, einerseits um den zu vermittelnden Stoff einordnen zu können, auch von der wissenschaftlichen Methodik etwas verstehen. Lehrer/innen, die sich fachlich gut auskennen, besitzen vor den Schülern eine größere Autorität als diejenigen, die da schwach sind.
    Und es gibt noch die zweite Ausbildungsphase.
    Bei den Schullehrplänen haben die Unis übrigens nichts mitzureden, höchstens indirekt.

  • Richtig. Was Lesch hier als Kompetenzorientiert kritisiert, ist gerade, was im Zuge des PISA-Schocks für leichte Verbesserungen gesorgt hat. Aber es bleiben im MINT-Bereich massive Probleme. Am deutlichsten wird das in Bezug auf Geschlecht.


    Fachdidaktik ist in Deutschland aber immer noch viel zu stark marginalisiert.


    Natürlich ging es immer um einen indirekten Einfluss.

  • Wenn ich so drüber nachdenke, glaube ich immer mehr, er wollte eigentlich nur gegen G8 Stellung beziehen, hat das aber unglaublich kompliziert getan.

  • Off Topic:


    Mein Großvater war ein amerikanischer Kunstmaler.


    Seinen Weg wäre ich am liebsten gegangen, aber bestimmt erfolglos.


    Meinen Brot- und Butterberuf habe ich nur geschafft, indem ich trotz künstlerischer Begabung auf schulische Basics zurückgreifen konnte.


    Ein bißchen Karriere machte ich "ausgerechnet" im mathematischen Bereich, später im technischen.


    Von daher hege ich eine große Skepsis vor unseren Eliten, die doch das machen, was sie am besten können (wehe, sie hätten mein Motiv, oder zu oft doch?).


    Wenn dann diese Eliten noch die größten Schlaumeier sein wollen, wundert mich wenig.


    Mein Vater sagte zu mir (Schule fiel mir immer relativ leicht, da habe ich ihm keine Sorgen gemacht), dass er Kinder bewundert, die trotz schlechter Noten jeden Morgen sich ein Herz nehmen, dort wieder hinzugehen.

    Einmal editiert, zuletzt von Leonard ()

  • Richtig. Was Lesch hier als Kompetenzorientiert kritisiert, ist gerade, was im Zuge des PISA-Schocks für leichte Verbesserungen gesorgt hat.

    Auf der einen Seite, es geht aber offenbar auf Kosten der Sachkenntnisse. Und es gibt Erleichterungen - z. B. kann man in einer Englisch-Abiarbeit heute in vielen Bundesländern zweisprachige Wörterbücher benutzen. Biologiearbeiten sollen so konzipiert sein, dass man ohne Faktenkenntnisse eine "vier" auf jeden Fall erreichen kann, weil eine Reihe deskriptiver Texte eingebaut sind.


    Physik soll künftig unter weitgehendem Verzicht auf mathematische Berechnungen gelehrt werden - dann werden sehr viel mehr Physikstudierende an der Uni ein Problem haben als zur Zeit. In NRW gelten für einen LK bereits folgende Befehlsoperatoren: erläutern, beschreiben, darstellen, erklären, deuten, ermitteln. Es fehlen: begründen, herleiten, nachweisen, widerlegen, zeigen. Konkrete Bezüge zur Mathematik fehlen dort bis auf zwei Ausnahmen.


    http://www.faz.net/aktuell/feu…dArticle=true#pageIndex_2

  • Das ist nicht mehr die Ausgangsfrage, nämlich warum es an grundsätzlichen Dingen wie Prozentrechnung mangelt.


    Und ob solche Ansätze sowas fördern, dazu sagst Du: "Auf der einen Seite: Ja."


    Das ist letztlich die bessere Pädagogik als der tradierte Physikunterricht, der versucht, halt irgendwie Stoff zu vermitteln. (Und die Klagen, dass Abiturienten nichts können, sind ja so neu nicht.) Das entspricht interessanterweise auch exakt dem Beispiel, welches Lesch bringt: Nicht nur lernt der Mensch besser, wenn das Wissen eingebunden ist, er kann hinterher auch mehr damit anfangen. Und fehlende Anwendbarkeit in Alltagssituationen beklagt Lesch ja.


    Fachwissenschaftler verwehren sich oft gegen neue Modelle. Kein Wunder, sie müssen ja was an ihrer Praxis ändern, etwas Neues lernen. "Brauchen wir nicht, so haben wir auch gelernt, haben wir schon immer so gemacht." Aus ihrer Perspektive als Experten wird ihnen ja reingeredet. Das kann man immer wieder beobachten. Erst in dem Moment, wo sie aus irgendwelchen Gründen in einer Krise mit ihrer Lehre sind, beginnen sie, sich dafür zu interessieren. Aber der Widerstand, der hier seinen Ausdruck im FAZ-Artikel zeigt, ist nichts Neues.

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  • Eine Physik ohne Mathematik. Wie soll das funktionieren? Als wolle man Germanstik ohne Schrift lehren. Denke ich an mein eigenes Studium, auf das wir selber durch die Schule schlecht vorbereitet waren, kann ich mir kaum vorstellen, wie es mit noch weniger funktionieren soll.

  • Nee, es ist eine andere Vermittlung von Mathematik. Statt die Leute - und ich wechsel jetzt einfach mal auf das Studium, weil ich mich da wohler fühle - zu Beginn des Studiums mit "Rechenmethoden der Physik", in dem die entsprechende Mathematik praktisch kontextfrei eingetrichtert wird, rauszuprüfen, wird die Mathematik mit dem Stoff, wenn dieser dran ist, vermittelt. Denn wir wissen aus den Erziehungswissenschaften, dass Menschen so besser lernen.


    Ist eigentlich ganz einfach.

  • Wer schon bei den absoluten Grundlagen Probleme hat, wird es im Physikstudium schwer haben anzuknüpfen. Bei uns wurde nie kontextfrei Mathematik unterrichtet. Wie es heute ist weiss ich nicht.

  • Wie gesagt geht es um die Vermittlung der absoluten Grundlagen nach dem aktuellen Stand dessen, was man wissenschaftlich darüber weiß, wie diese Grundlagen erfolgreicher gelegt werden.

  • Bei uns im Biostudium wurde Mathe auch jeweils im Kontext (Chemie, Physik, Statistik) unterrichtet, dazu gab es - zum Glück - die Mathe Vorkurse.
    War sehr viel und für die meisten für Physik auch sauschwer. Wofür wir das bräuchten, war aber immer klar (nicht nur für Prüfungen).
    Durch den zunehmenden Verzicht auf Grundlagenwissenschaften wird ein Studium natürlich leichter (ich hätte das super gefunden). Aber das, was am Ende rauskommt, teilweise sehr dürftig. In Examensarbeiten - und Publikationen, noch schlimmer wenn das beim Review durchrutscht - lese ich zunehmend "eingängige" Theorien, die nett klingen. Aber leider im Widerspruch zu Naturgesetzen etc stehen (z. B. Verhältnis Volumen - Oberfläche) stehen. Neulich wurde ich nach einer Quelle für die Ableitung der Kreisfläche vom Radius gefragt ...
    Finde ich für Absolventen eines naturwissenschaftlichen Studiengangs doch sehr erschreckend

  • Wie gesagt geht es um die Vermittlung der absoluten Grundlagen nach dem aktuellen Stand dessen, was man wissenschaftlich darüber weiß, wie diese Grundlagen erfolgreicher gelegt werden.


    Bist du jetzt wieder in der Schule oder im Studium?


    Wie will man denn Grundlagen der Physik vermitteln, wenn man die Mathematik aussen vor lässt? Das kann nicht funktionieren. Dann kommt so etwas bei raus, was Musuri beschreibt. Klar muss man Schüler begeistern und dafür ist Mathe nun nicht unbedingt geeignet. Aber nachdem man den Stein ins Wasser geworfen und die Wellen beobachtet hat, muss man sich mit der mathematischen Beschreibung auseinandersetzen. Letztlich ist Physik nichts anderes, als die mathematische Beschreibung der Natur, wie wir sie beobachten. Ohne den mathematischen Formalismus geht es nicht.
    Daher finde ich den Inhalt des faz artikels, sofern es denn wirklich so ist, für bedenklich.

    Einmal editiert, zuletzt von Holden ()

  • Wer schon bei den absoluten Grundlagen Probleme hat, wird es im Physikstudium schwer haben anzuknüpfen. Bei uns wurde nie kontextfrei Mathematik unterrichtet. Wie es heute ist weiss ich nicht.

    Das passiert heute auch nicht, so viel ich weiß. Ich hatte ja angesprochen, dass die Schulphysik in NRW künftig weitgehend auf Mathe verzichtet, und der Exilrote überträgt das auf das Physikstudium an der Uni, oihne dass er dafür einen empirischen Beleg hat.

  • Das war ja genau mein Ansatzpunkt. Wenn in der Schule schon nicht die mathematischen Grundlagen vermittelt werden, kommst du im Studium nicht mehr hinter her. Dann muss das in der Uni nachgeholt werden, was eigentlich nicht Sinn und Zweck ist.
    Aber deshalb bieten Universitäten wohl auch Kurse vor dem eigentlichen Semesterbeginn an. Damit die Abiturienten wenigsten einigermaßen im 1. Semester klar kommen. Für mich ein deutliches Zeichen, dass etwas an den Lehrplänen in der Schule nicht stimmt.

    Einmal editiert, zuletzt von Holden ()

  • Das Beispiel von musuri ist sehr schön. Nach einer Quelle für die Berechnung der Kreisfläche zu fragen, zeugt doch von zwei Dingen, oder? 1. Wurde das irgendwie formelhaft gelernt, ohne Verständnis dessen, was man da tut. 2. Besteht eine große Verunsicherung in Bezug auf das eigene Wissen. D.h. die Fähigkeit, Wissen eigenständig einzusetzen, kreativ damit umzugehen, fehlt.


    Liegt das nun an der alten Pädagogik oder an Ansätzen, die versuchen, bildungswissenschaftlich gestützt Schule und Uni zu verbessern? Adressieren wir diese Probleme, indem wir Fachdidaktik stärker berücksichtigen, oder damit, dass wir Schülern weiterhin die Berechnung des Spins in der Quantenelektrodynamik beibringen?


    Denn Lesch hat ja in einigen Punkten durchaus Recht. Sehr schön finde ich den Satz, dass man sich fragen muss, ob man Fächer unterrichtet, oder Schüler. Und das zeigt sich genau daran, ob Leute Angst haben, Prozentrechnung, Dreisatz und Kreisflächenberechnung zu lernen. Denn das kann, behaupte ich mal, jeder Lernen. Trotzdem scheitert unser Schulsystem offensichtlich daran, nicht nur die Grundlagen der Mathematik, sondern auch den Spaß daran als auch die Voraussetzungen, Neugier, Kreativität, logisches Denken zu entwickeln. Und das gilt ja noch viel mehr, wenn man nicht die Abiturienten zu Grunde legt, sondern die Gesamtheit der Schüler, also auch die, die vorher rausgekickt werden. Eine Spezialität des deutschen Bildungssystems.


    Ihr schreibt das jetzt den Reformen zu. Wobei die genau versuchen, diese Probleme wissenschaftlich basiert anzugehen. (In einer Umgebung, in der Änderungen auf den Widerstand einer Vielzahl von stakeholders stoßen.)


    Warum ich auf das Hochschulsystem gewechselt bin, habe ich oben bereits geschrieben. Wobei Schulsystem und Hochschulsystem in vielen Bereichen ganz ähnliche Probleme haben. In vieler Hinsicht ist der Schulunterricht weiter, didaktisch besser, hat aber dann auch wieder mit eigenen Problemen zu kämpfen. Am Hochschulsystem kann man es besser deutlich machen: Da kann man Professor werden, und somit verantwortlich für die Lehre, ohne sich jemals mit Pädagogik und Didaktik beschäftigt zu haben. (Insofern sich das ändert, ändert sich das ganz langsam.) Tatsächlich ist Lehre fast schon ein Makel, die Forschung ist, wo der Ruhm ist.


    Aber die Probleme, die die augenblicklichen Studienanfänger haben, können auch ganz anders begründet sein, als in kompetenzorientierter Unterrichtsgestaltung. Etwa darin, dass die Studienanfängerquote seit 2000 von 33% auf 58% gestiegen ist. Oder darin, dass man in der Schule für Noten lernt, für das nicht-aussortiert werden, statt um die eigene Neugier und Kreativität zu befriedigen oder etwas für sich sinnvolles zu lernen. Oder darin, dass sowohl Studium als auch Schule noch nicht gut aufgebaut sind, also so, dass der Lerner im Vordergrund steht und nicht der Stoff.

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  • @wuerfel: Komischerweise scheint das nicht mehr so einfach zu sein. Ich hatte auch den Haken entfernt, nach dem letzten Update. Nun habe ich aus Neugier noch einmal in die Account-Optionen geschaut und es gibt den Eintrag nicht mehr. Haben sie den irgendwohin verschoben, wo man ihn nicht mehr so einfach findet, oder verschwindet er, wenn man die Option deaktiviert hat? WhatsApp ist auf dem neuesten Stand. Screenshot


    Ihr müsst auch lesen, was ihr anklickt. Da stand nämlich, dass ihr, wenn ihr euch dafür entscheidet, das nicht mehr rückgängig machen könnt. Und deswegen ist das jetzt verschwunden.


    Das war ein Opt-out, welches ich angeklickt habe. Dass sie die Option dann verschwinden lassen ist natürlich gleich viel besser, um nicht noch einmal aus Versehen drauf zu kommen.


    So, ab sofort ist Whatsapp nicht mehr nutzbar, ohne den neuen Nutzungsbedingungen zuzustimmen. Man kommt nicht mal in das Menü, um sich von Whatsapp abzumelden.

  • Alltagserkenntnis: Die Nachfrage an Fußpflege scheint mitnichten auf dem absteigenden Ast zu sein. Frühestmöglicher Termin in drei Wochen... :|


    Gerade der Bedarf an Podologen ist enorm. Wenn man also Spaß hat, an fremden Füßen rumzufummeln und kein Problem mit fiesen Wunden hat: Krisenfester Job.