Medien und Wahrnehmung der Realität

  • Vielleicht ist dieser Thread ein bisschen überflüssig, aber es passieren häufig genug Sachen, die weder in den Schlagzeilen, noch in den Politikthread so richtig passen. Ich eröffne diesen einfach mal, weil mir so ein paar Sachen schon bei der Stuttgart21-Debatte unter den Nägeln gebrannt haben.


    Hier finde ich es aber noch passender:

    Oktoberfest 2010 - Das ist keine Volksfeststimmung mehr

    Zitat


    Ein 35-jähriger Wiesngast würgte Freitagnacht am Hauptbahnhof seine
    Freundin, ein Bekannter kam der Frau zu Hilfe. Daraufhin schlug der
    35-Jährige den anderen zu Boden, trat mehrfach gegen seinen Kopf und
    sprang dann auch noch auf den Schädel des bereits Bewusstlosen.

    Unabhängig von dem hier dargestellten Schicksal und der hoffentlich möglichst vollständigen Genesung der beiden Opfer, sehe ich hier doch einige Parallelen zum Dominik-Brunner-Fall. Einziger Unterschied scheint zu sein, dass Helfer und Täter sich kannten und dass der Helfer anscheinend noch lebt. Selbst wenn letzteres nicht so wäre, dann bin ich mir trotzdem sicher, dass nicht so eine "Heldenverehrung" geschehen würde, denn vom bloßen Lesen dieser Zeilen denkt man doch gleich: "Saufnasen unter sich".
    Dass unabhängig davon dieser Helfer eventuell sogar uneingeschränkter als "Held" zu bezeichnen sein könnte als Brunner wird, so meine Vorhersage, den Medien erst einmal egal sein. Ich weiß noch nicht ob ich sowas nur widerlich finden soll, oder mit einem halben Schulterzucken als Zufall abtun, weil eben nicht die "richtigen" Umstände zusammengekommen sind.

  • sehr interessant. aber worauf willst du hinaus?


    edit: du solltest evtl "wahrnehmung" mit "steuerung" ersetzen. dann hast du es^^
    es hilft nur abschalten, alternativ informieren und selber denken. so lange es noch geht.

    Einmal editiert, zuletzt von Hylla ()

  • sehr interessant. aber worauf willst du hinaus?

    Naja, worauf will der "unglaubliche Schlagzeilen"-Thread hinaus? Artikel zu dem Thema sammeln. Man findet eben nicht alles selber im Netz.
    Hier schafft man dabei vielleicht noch ein bisschen Bewusstsein dafür zu schaffen.


    Nett ist da auch der Fall Kachelmann. Irgendwie hat da ganz Deutschland eine Meinung zu und die meisten von uns waren nicht im Gerichtssaal.
    Vor einigen Wochen hat man noch in SPON und co gelesen, dass die Staatsanwaltschaft sich an der Grenze zur Strafbarkeit bewegt, wenn sie Herrn Kachelmann weiter in Untersuchungshaft lassen, jetzt wird über Zeugenaussagen von Vernehmungen berichtet, in denen das mutmaßliche Opfer als glaubwürdig geschildert wird.


    Ich habe im Titel gerade bewusst nicht "Manipulation" oder so was gewählt, da das auch schon diskussionswürdig ist. Natürlich will Alice Schwarzer mich von ihrer Position im Fall Kachelmann überzeugen. Trotzdem glaube ich nicht, dass sie bewusst verzerrt wiedergeben will (wenn sie denn selber schreibt).


    Im oben geposteten Fall kann man denke ich noch weniger Absicht unterstellen. Aber darüber kann man ja diskutieren. Wollen uns die Medien bewusst manipulieren, oder bringt das Mediensystem einfach eine Beeinflussung mit sich?

    • Offizieller Beitrag

    Es gibt in diesem Zusammenhang einfach sehr, sehr viele Probleme. Zum einen wäre schon alleine der Umstand zu nennen, dass jeder auf der Jagd nach dem Scoop ist, also der exklusiven Story bzw. dass man über ein aktuelle Ereignis als erstes berichtet. Darunter leidet natürlich die Qualität, oft auch die Fakten und im Laufe der Zeit kristallisiert sich oft eine ganz andere Story bzw. ein ganz anderer Hergang heraus als der, der zunächst in der Eile veröffentlicht wurde. Durch die "neuen" Medien (insbesondere Internet, aber natürlich auch das Fernsehen) wird das ja auch noch verstärkt, da permanent eine Meldung möglich ist und nicht wie früher, erst am nächsten Tag in der Zeitung.


    Doch neben dieser "modernen" Kritik gibt es noch eine zeitlose: In den Medien wird halt immer das ungewöhnliche dargestellt, nicht das normale (bzw. nur ganz, ganz selten). So entsteht ein völlig verzerrtes Bild von der Realität - es ist quasi eine unsichtbare Zensur, die da von statten geht. Und das nicht nur durch Informationsformate, sondern auch durch so etwas banales wie z.B. dem Tatort, der viele (alte) Leute zu dem "Urteil" kommen lässt, dass es "da draußen" (insbesondere in den Städten) ganz schön schlimm zugeht und man sich eigentlich nicht mehr vor die Tür trauen darf. Überall Morde und Drogenkriminalität. Das Ungewöhnliche wird so zum normalen. Und dementsprechend muss auch immer "ungewöhnlicheres" vermeldet werden, um aufzufallen - vor allem dort, wo es um Quote oder Auflage geht.


    Generell sehr lesenswert zu dieser Thematik finde ich "Über das Fernsehen" von Pierre Bourdieu. Eine - wie ich finde - sehr schöne, zeitlose Medienkritik und ein guter Einstieg ins Thema. Ich hab's zwar gar nicht mehr so genau vor Augen, aber ich weiß noch, dass ich es sehr gedankenanregend und aufschlussreich fand, als ich es vor einigen Jahren las. Zwar wird in dem Buch im Prinzip nichts neues gesagt, aber es schärft den Blick für das bestehende, das man einfach nur hinnimmt ohne es zu hinterfragen.

  • trotzdem ist es beruhigend, dass durch das medium internet rechtzeitig etwas geschaffen wurde, um sich abseits der mainstreammedien zu informieren. wenn auch unabsichtlich. portale, blogs, foren, verlage usw bieten mittlerweile im netz mehr, als alles tv und zeitungen zusammen. und gerade WEIL es ein medium von allen ist (und nicht nur der journalisten-kaste, die sich tw wichtiger fühlen als die über die sie schreiben) kann man einem gewissen meldungs-/meinungstrend auf einfachste weise entfliehen. ich empfehle in diesem zusammenhang das (hör-)buch "die verblödete republik" von thomas wieczorek

  • Zur Wirkung des Internet gearde dieshier gelesen:

    Amerikanische Politiker meiden die Medien


    Problematisch wird es, wenn es keine gemeinsame Medienöffentlichkeit mehr gibt, sonder die modernen Kommunikationsmittel auch hier zu einer Vereinzelung führen. Wenn sich jeder seine eigene Realität schafft, dann kann es zu keinen sinnvollern demokratischen Entscheidungen mehr kommen.

  • ?


    Zitat

    dann kann es zu keinen sinnvollern demokratischen Entscheidungen mehr kommen.

    Ich glaube ich hab die Frage nicht so ganz verstanden?

  • Ja, nicht schön. Dürfte in manchen rußlandnahen Ländern genauso sein, z.B. Weißrußland und Georgien. Hier ist es besser, aber nicht perfekt.


    Zitat

    Interview mit Harald Schumann, Tagesspiegel, der den Ersten Preis für seinen "langen Atem" bei der Analyse der Banken- und Finanzkrise erhielt. In seiner Dankesrede kritisierte er, dass in Redaktionen oft die Wahrheit verbogen würde, weil Chefs und Verleger ihre Weltsicht widergespiegelt sehen wollen. "Der lange Atem" ist ein Journalistenpreis des Journalistenverbandes Berlin-Brandenburg im DJV. Er wurde zum vierten Mal vergeben.

    rbb


    Zitat

    Die Zeitung gehört seit 1981 zum Medienkonglomerat News Corporation von Rupert Murdoch. Er erwarb sie am 13. Februar 1981 von der Thomson-Gruppe, die die Blätter The Times und The Sunday Times wegen Schwierigkeiten mit den britischen Gewerkschaften und Ertragsschwächen verkaufen wollte. Seit geraumer Zeit tendiert die Times dazu, Murdochs konservative politische Ansichten zu reflektieren.


    In den achtziger Jahren verließen deshalb mehrere prominente Redakteure und Korrespondenten die Zeitung und wechselten zum neu gegründeten The Independent, unter anderem der bekannte Nahostkorrespondent Robert Fisk, der trotz seiner moderaten regierungskritischen Haltung teilweise umstritten ist.

    Wiki


    Zitat

    Noch im April sagte Murdoch, er wolle nicht, dass seine Sender die Tea Party unterstützen. Mittlerweile wirkt Fox News wie die Pressestelle dieser rechtskonservativen Bewegung und beschäftigt auch ihre Symbolfigur, Alaskas Ex-Gouverneurin Sarah Palin.

    FTD


    Es gab auch mal einen Fernsehbericht über den Büchermarkt in Italien. Weil Berlusconi die staatlichen und privaten Medien unter Kontrolle hat, bommt der Sektor der kleinen politischen Bücher. Keine dicken Schinken. Eher Aufsätze oder Sammlungen von Aufsätzen. Sie dienen als Zeitungsersatz für Leute, die mehr als nur Parteilinie lesen wollen. Leider habe ich Google nicht dazu überreden können, mir einen schönen Link zu geben. Geht doch.


    Initiative Nachrichtenaufklärung (INA): Welche Meldungen nicht an die große Glocke gehängt wurden.


    Phänomen "Zensur durch den Markt" im amerikanischen Verlagswesen oder bei uns (deckt sich mit dem langen Atem von oben), etwa durch das Rundfunkgesetz.

    • Offizieller Beitrag

    Ich weiß nicht, ob es hier so richtig reinpasst, aber ich finde bemerkenswert, dass bei diesem Doppelmord von Bodenfelde nirgends zu lesen ist, welche Nationalität der Täter hat. Wahrscheinlich ist er deutscher, aber ich habe nichts davon gelesen. Wäre es ein Ausländer gewesen, wäre von der Nationalität vermutlich in nahezu jedem Bericht zu lesen und zu hören gewesen.

  • Ist doch sonst auch immer so. Allerdings meine ich, in irgendeinem Bericht den Begriff "Russlanddeutscher" gehört zu haben. Ich kann das aber auch mit etwas anderem durcheinanderbringen.

  • Nils, in Spielberichten aus der Fußball-Bundesliga wird auch nicht bei jedem deutschen Sportler erwähnt, dass er ein Deutscher ist. Bei den Ausländern fallen hingegen sehr oft Worte wie ”der Bosnier hat…“, „nach einer Flanke des Franzosen“, „der Senegalese trifft“ oder von mir aus auch „der afrikanische Norweger“.


    Das ist eine nähere Beschreibung, weiter nichts. Warum sollte man bei dem Doppelmörder darauf hinweisen, dass er Deutscher ist? Verstehe ich nicht.

  • Ich verstehe das schon, denn eben wenn es sich bei Verbrechern jeglicher Art um "Ausländer" oder um Deutsche mit Einwanderungshintergrund handelt wird das gerne in den Medien genutz, vllt. auch um zu zeigen, guck, wieder ein böser Ausländer, wir Deutschen machen sowas nicht.


    Das beschränkt sich aber nicht nur auf deutsche Medien allein, in Zwangsparanoieden Ländern wie den USA wird es auch immer gerne bis in die 20. Generation herausgewürgt, ob ein Straftäter nicht doch Vorfahren in TakkaTukka hatte oder sonst wo, dann wird auch nicht mehr davon gesprochen das die Ahnen schon seit 200 Jahren auf dem Kontinent sind, sondern es wird alles verkürzt und dann auch vom ...-Länder gesprochen.

  • Ich glaube, das seht Ihr ein Problem, wo gar keins ist.


    Wenn ein deutscher Mann auf deutschem Boden ein Verbrechen begeht, dann hat die Tatsache, dass er ein Deutscher ist, schlichtweg absolut keinen Nachrichtenwert.
    Hätte er das Verbrechen in Usbekistan begangen, wäre es sehr wohl eine Nachricht wert gewesen, dass es sich um einen Deutschen handelt.

  • Es hätte dadurch dann wieder einen Wert, weil er dort dann auch Ausländer ist.


    Jetzt kam ja hinzu, das es sich bereits um einen vorbestraften Täter handelt, also irgendwas ist doch immer. Bei Anne Will wird dann wahrscheinlich wieder darüber diskutert, Starftäter lebenslang hinter Gitter zu sperren. Wieder eine Sendung gerettet weil man ein Thema hat was noch nie besprochen wurde.


    Wäre er jetzt ein Täter mit Hintergrund "Ausland und Hartz4" gäbe es schon drei Brennpunkte und sämtliche Themen in den Talkshows würden passend zum Fall hin geändert.

  • Ich sehe das so wie mcgiant. Es geht darum, in den zusammengerafften Meldungen "Besonderheiten" herauszustellen. Dazu gehört in Deutschland dann wohl eher nicht, daß man Deutscher ist.

  • Wäre er jetzt ein Täter mit Hintergrund "Ausland und Hartz4" ...

    Also zumindest Hartz IV ist bei ihm angesagt. Er ist nach eigenen Angaben im Facebook-Profil „stolzer Arbeitslohser“.

  • Nils, in Spielberichten aus der Fußball-Bundesliga wird auch nicht bei jedem deutschen Sportler erwähnt, dass er ein Deutscher ist. Bei den Ausländern fallen hingegen sehr oft Worte wie ”der Bosnier hat…“, „nach einer Flanke des Franzosen“, „der Senegalese trifft“ oder von mir aus auch „der afrikanische Norweger“.

    Oder der US-Amerikaner... :kopf: