Medien und Wahrnehmung der Realität

  • Subtiler Rassismus, wie ihn Nils beschreibt, kommt in den Medien häufiger vor als man noch wahrnimmt. Ich hab mich damit während des Linguistikstudiums beschäftigt und bin dabei gerade in Zeitungsberichten über Verbrechen aber auch gewöhnliche öffentliche Ärgernisse wie "Türkenhochzeiten" und "Russendiskos" auf viele Beispiele gestoßen. Die Frage ist natürlich, ob ein Redakteur aus rassistischenn Gründen so schreibt oder ob das einfach Sprachgebrauch ist, der nicht weiter bedacht wurde.

  • Genau, es geht darum immer einen Punkt zu finden den man dann hervor heben kann und wenn es der unbescholtene Familienvater mit sicherem Einkommen gewesen wäre, so hätte man das auch schön platt getreten, Thema heute "Familienväter und ihr dunkles Doppelleben".

    • Offizieller Beitrag

    Das ist eine nähere Beschreibung, weiter nichts. Warum sollte man bei dem Doppelmörder darauf hinweisen, dass er Deutscher ist? Verstehe ich nicht.


    Warum sollte man denn darauf hinweisen, dass er bspw. türkischer Abstammung ist? Das ist doch die Frage, um die es hier geht. Insbesondere unter Bezugnahme auf den Threadtitel. Denn dadurch, dass bei Ausländern in Zusammenhang mit Berichterstattung über Kriminalität explizit auf die Herkunft hingewiesen wird und bei Nicht-Ausländern nicht, wird das vorherrschende Bild vom "kriminellen Ausländer" doch noch verstärkt. Und das ist es, was ich diskutabel finde. Ich meine auch mal davon gehört zu haben, dass seriöser Journalismus gemäß irgendeinem Leitbild/Kodex die Nationalität nicht explizit benennt, wenn sie nicht maßgeblich etwas mit der Tat zu tun hat. Aber entweder erinnere ich mich da falsch oder es hält sich einfach niemand daran. Und das finde ich durchaus problematisch. Ganz egal, ob es mit böser Absicht so gemacht wird oder einfach nur, weil man es als Journalist verinnerlich hat, sodass es gar nicht mehr hinterfragt wird.


    Hylla: Sicher macht mich da nichts. Ich vermute es nur, da ich nirgends etwas zur Nationalität finde. Zudem sollte das jetzt nur als Aufhänger dienen. Mir geht's generell um diese Problematik, die ja zweifelsohne existiert.

  • Da erinnerst du dich richtig, es gibt dieses ungeschriebene Gesetz, und viele Tageszeitungen halten sich tatsächlich daran. Die HAZ auch sehr lange, weiß aber - da ich sie nicht mehr lese - nicht, wie die es da jetzt handhaben.

  • Zitat

    Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten
    In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.


    Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.


    Zitat

    "Bild" berichtet, dass zwei Männer, die einen Mord begangen haben sollen, festgenommen wurden und nennt sie "Murat G." und "Nasir L.". In Wahrheit handelt es sich allerdings um Deutsche, sogar ohne sogenannten Migrationshintergrund und mit typisch deutschen Namen. Die Zeitung hat nicht nur, ohne darauf hinzuweisen, die Namen der "Mörder" geändert, sondern auch ihre scheinbare Herkunft. Ein Leser beschwert sich beim Presserat, dass dadurch Vorurteile bedient und geschürt würden.


    Zitat


    Zitat
  • Richtig, das wollte ich vorhin auch schon schreiben. Wenn Steve irgendwann mal erfolgreich als Trainer arbeitet, wird zweifellos von dem 62-jährigen US-Boy Cherundolo die Rede sein.

    • Offizieller Beitrag

    Wenn ein deutscher Mann auf deutschem Boden ein Verbrechen begeht, dann hat die Tatsache, dass er ein Deutscher ist, schlichtweg absolut keinen Nachrichtenwert.


    Die Tatsache dass ein Täter Türke, Bosnier, Schweizer oder Kasache wäre hätte aber ebenso absolut keinen Nachrichtenwert.
    Ich sehe das da so wie Nils und Florian und frage mich wirklich jedesmal, was das da - verdammt nocheins - in der "Nachricht" zu suchen hat. Ich bin davon überzeugt, dass es lediglich der Förderung von Ressentiments dient: wenn nicht gar dienen soll.

  • Es geht darum, in den zusammengerafften Meldungen "Besonderheiten" herauszustellen. Dazu gehört in Deutschland dann wohl eher nicht, daß man Deutscher ist.

    sasa hat es damit schön auf den Punkt gebracht.

  • Ich verstehe ja auch, wenn hier jemand Vorbehalte gegen die Nennung der Nationalität hat. Kommt dann eben immer auf die Art und Weise an. Überspitzt gilt das dann aber auch für andere Dinge, die für mich eher zur Grundinformation gehören.

  • Jein. Schaut doch mal in den Pressekodex, aus dem ich oben zitiert habe. Es gelten bei Berichten über Straftaten besondere Regeln, wahrscheinlich weil diese automatisch den Leser ängstigen und aggressiv machen. Sportereignisse hingegen dienen hoffentlich der freudigen Unterhaltung. Straftaten sind ernst. Und die Medien sollen sie nicht nutzen, um Vorurteile zu schüren und das friedliche Zusammenleben in diesem Lande zu erschweren.

    • Offizieller Beitrag

    mcgiant: Es wird aber durchaus so dargestellt, als wäre es der Normalfall, dass die Kriminellen vorzugsweise Ausländer sind. Insofern scheint es eher fast eher das "besondere" zu sein, wenn es "mal" ein Deutscher ist... Und ist es wirklich so "besonders", dass in Deutschland Menschen mit Migrationshintergrund leben? Das ist doch keine Besonderheit mehr, die einer besonderen Erwähnung bedarf. Insofern ist das Argument auch irgendwie vorgeschoben und geht an der Realität vorbei.
    Würde mich freuen, wenn Du auch mal die anderen Argumente berücksichtigst. Zum Beispiel auch die von Pokalheld zitierten Richtlinien, die seriösen Journalismus kennzeichnen sollten.

    • Offizieller Beitrag

    sasa hat es damit schön auf den Punkt gebracht.


    Aber verkehrtherum ;)
    Letztlich lautet die Frage ja nicht, warum in den Texten nicht steht, dass ein Täter Deutscher ist, sondern warum dort oft geschrieben steht wenn einer nicht Deutscher ist.


    @ sasa: Die Tatsache, dass es auch noch andere unnütze Erwähnungen in den Nachrichten gibt verbessert die Lage auch nicht - finde ich. Und außer bei bestimmten Berufsgruppen werden durch ihre Nennung ja zum Beispiel auch keine Vorurteile geschürt.

  • mcgiant: Es wird aber durchaus so dargestellt, als wäre es der Normalfall, dass die Kriminellen vorzugsweise Ausländer sind.

    Das ist jetzt aber andererseits auch wieder ein Vorurteil, welches Journalisten generell unterstellt, sie seien (oder berichten) in gewisserweise ausländerfeindlich.


    Ich bin natürlich mit den Richtlinien für seriösen Journalismus vertraut, kann aber nicht mit allen etwas anfangen und nehme diese deshalb – für mich – nur als Hilfestellungen und Empfehlungen durchaus dankbar an, nicht jedoch als Arbeitsanweisungen. Als solche sind sie streng genommen aber auch gar nicht gedacht gewesen.


    In meiner Tageszeitungszeit habe ich – zum Beispiel bei Unfällen mit Rasern – sehr wohl darauf geachtet, Opfer wie Täter im Rahmen meiner Berichterstattungen bestmöglich zu schützen. Gleichzeitig habe ich es immer als meine Pflicht erachtet, so viele Informationen wie möglich zu transportieren, die den Leser – aus welchen Gründen auch immer – interessieren könnten. Wenn es den Leser interessiert, ob der Raser ein Russe war, warum soll er es dann nicht erfahren dürfen? Das hat nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun. Runtergebrochen auf mein Beispiel: Kam der Raser aus dem Kreis NOM (an Stammtischen bundesweit als Raser bekannt) und schrieb ich dies in den Artikel, habe ich damit dann etwa auch ein Vorurteil bedient? Es ist ja nicht meine Schuld gewesen, dass der Raser aus dem Kreis Northeim kam. Oder dass er Russe war. Oder dass er drei Kinder im Auto hatte. Ich berichte nur drüber. Und ich berichte halt das, was ich habe. Auch rückblickend kann ich nicht erkennen, warum meine Art von Journalismus dann unseriös gewesen sein soll. Zumal ich am nächsten Tag im Boulevard ganz andere Berichte (mit Nahaufnahmen von Opfern, erkennbaren Fotos von Tätern, zweifelhaften Umfeld-Interviews etc.) des gleichen Vorfalls sozusagen ertragen musste.

    Einmal editiert, zuletzt von mcgiant ()

  • Und außer bei bestimmten Berufsgruppen werden durch ihre Nennung ja zum Beispiel auch keine Vorurteile geschürt.


    Sexuelle Orientierung, Körperschmuck, Frisuren/Aussehen, Musikgeschmack, Beruf, Herkunft, Religion, Computerspiel-/Internetverhalten, uswusf.

  • Sehe das ja grundsätzlich auch so, aber irgendwo muß die Meldung ja auch Futter bekommen. Ethisch angemessen wäre wohl "Mensch beendet gewaltsam das Leben anderer Menschen", will so aber keiner lesen.

  • Wobei teilweise die Bezeichnung selbst ja schon für den Thread relevant ist. Wenn jemand wie bspw. Mesut Özil in Deutschland geboren wurde, hier aufgewachsen ist und die Deutsche Staatsbürgerschaft hat, wird er trotzdem von vielen Leuten als Türke wahrgenommen. Was auch in sofern zu verstehen ist, dass ein Großteil der Menschen mit den selben Merkmalen (hier geboren und aufgewachsen, Eltern aus ...) eben die türkische Staatsbürgerschaft hat.
    Bei Herrn Özil steht "Deutscher" dran, bei seinem Grundschulkumpel vielleicht "Türke". Ist natürlich korrekt, da es hier nur um die Staatsbürgerschaft geht. Sowohl in der Selbst- als auch in der Außenzuweisung machen wir Identität und auch nationale Identität nicht nur an der Staatsbürgerschaft fest.

  • Oder der US-Amerikaner... :kopf:


    Was sprachlich ja auch korrekt ist. Natürlich ist er Amerikaner, aber halt kein Argentinier, Costa Ricaner oder Panamese, sondern aus den U.S.A., wesshalb da schon die sprachlich richtige Verwendung US-Amerikaner ist.

    • Offizieller Beitrag

    Das ist jetzt aber andererseits auch wieder ein Vorurteil, welches Journalisten generell unterstellt, sie seien (oder berichten) in gewisserweise ausländerfeindlich.


    Naja, was heißt hier unterstellen? Ich unterstelle ja keinen Vorsatz. Aber ich denke, man kann es durchaus als Fakt bezeichnen, dass ausländische Staatsangehörigkeiten oder Herkünfte in solchen Zusammenhängen überproportional häufiger genannt werden als deutsche. Und da bin ich einfach der Meinung, dass man als Journalist eine gewisse Verantwortung hat, die man nicht einfach wegwischen kann und sollte, indem man sich darauf, was der Leser gerne lesen würde und sagt, dass man einfach nur informieren wollte. Wenn man informieren will, dann doch bitte auch bezogen auf solche Angaben mit einer gewissen Systematik. Also entweder wird die Herkunft immer genannt oder nie. Oder aber (im Idealfall) nur dann, wenn sie wirklich relevant ist.


    Zitat

    Gleichzeitig habe ich es immer als meine Pflicht erachtet, so viele Informationen wie möglich zu transportieren, die den Leser – aus welchen Gründen auch immer – interessieren könnten. Wenn es den Leser interessiert, ob der Raser ein Russe war, warum soll er es dann nicht erfahren dürfen?


    Gegenfrage: Würde der Leser es als Mangel empfinden, wenn nicht genannt würde, dass er Russe ist? Wohl kaum. Er weiß ja gar nicht, dass es da einen "Informations"-Mangel gibt. Ihm wird nichts fehlen. Eher, wenn z.B. die Angabe des Alters fehlt, das ja praktisch immer angegeben wird. Zudem herrscht dieser Mangel auch dann vor, wenn es sich um einen deutschen Raser handelt, dessen Nationalität nicht genannt wird. Und woher weißt Du, dass es "den Leser" interessiert? Und was soll der Leser mit dieser Information anfangen außer Vorurteile zu verstärken oder aufzubauen? Mir fällt nichts ein.
    Weitere Gegenfrage: Was hat die Nationalität mit der Raserei oder einem anderen kriminellen Vergehen (Diebstahl, Raub, Mord) zu tun? Ist sie ursächlich? Ja klar, so kann man viele weitere Informationen in Frage stellen, z.B. Altersangaben. Das hat für mich aber eine andere Tragweite und Auswirkungen als die Nennung der Nationalität (auch sasa). Daher sollte man damit sehr vorsichtig sein.


    Ich verstehe einfach nicht, wie man darin kein Problem erkennen kann, dass bei Ausländern die Nationalität in 99% der Fälle genannt wird, bei Deutschen aber nicht. Das verzerrt schlicht die Wahrnehmung der Realität und dient - vorsichtig ausgedrückt - sicherlich nicht gerade dem Abbau von Vorurteilen...