Russlands Angriff auf die Ukraine

  • Der Kissinger-Plan ist meines Erachtens illusorisch, weil er die Demarkationslinie vom 24. Februar 2022 als kĂŒnftige Staatsgrenze festschreiben wĂŒrde, was bedeuten wĂŒrde, dass sich die Ukraine zu erheblichen Gebietsabtretungen bereit erklĂ€ren mĂŒsste, was keine ukrainische Regierung als ĂŒberfallene Nation angesichts der furchtbaren Zerstörungen und Kriegsgreuel durch die russische Armee ersthaft unterschreiben könnte.


    Der Plan hat zudem den völlig inakzeptablen Nachteil, dass sich Russland und damit Putin trotz seiner enormen Verluste an Mensch und Material trotzdem noch als Gewinner des Krieges fĂŒhlen dĂŒrfte. Der einzige Vorteil fĂŒr die Ukraine lediglich, dass sie Nato-Mitglied werden wĂŒrde. Allerdings wĂ€re der Preis dafĂŒr zu hoch und im Ergebnis zudem eine Vergewaltigung des Völkerrechts, weil hier dann der Aggressor eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs mit Gebietsgewinnen belohnt werden wĂŒrde.

    3 Mal editiert, zuletzt von Winsley555 ()

  • Dein Beispiel mit dem Ende des 2. Weltkrieges halte ich - verzeih mir - fĂŒr nicht gut gewĂ€hlt.

    Ich hatte ja geschrieben, dass diese Szenario nicht eintreten wird. Mir ging es zunĂ€chst um die Inhalte der Verhandlungen danach, die fĂŒr uns Deutsche rĂŒckblickend betrachtet viel Gutes gebracht haben, obwohl wir der Aggressor waren. Lange Friedenszeiten, klare GrenzverlĂ€ufe und Aussöhnung mit jahrhundertelangen Erzfeinden wie Frankreich und England, Wirtschaftsaufschwung aufgrund des Marschallplans etc. Außer einiger ewig gestriger ist niemand mehr der Ansicht, dass Elsass-Lothringen oder Danzig wieder erobert werden mĂŒsste. Diese Dinge sind geklĂ€rt.


    Auf dieser Grundlage könnte man verhandeln, wenn garantiert werden kann, dass Grenzen, territoriale IntegretitÀt und die SouverÀnitÀt beider Staaten danach unverÀnderlich sind. Sonst kann man sich tatsÀchlich jede Verhandlung sparen.

  • Das bedeutet, dass beide Seiten ein StĂŒck weit von ihren Zielen abzurĂŒcken haben, will man das oben beschriebene Szenario vermeiden. Dass das Ergebnis dann ungerecht oder völkerrechtswidrig sein könnte, ist der Preis dafĂŒr, dass hunderttausende Menschen nicht sterben mĂŒssen. Wenn man keinen Kompromiss will und das Völkerrecht bedingungslos schĂŒtzen will, dann muss in der Tat mit allen Waffen bis zur letzten Kugel und bis zum letzten Mann gekĂ€mpft werden. Das ist dann so, wie KU8A beschrieben hat, mit seinem Hinweis auf den 2. Weltkrieg. Da hat auch keiner einen Kompromiss gemacht.

    Das hat man doch versucht. Mit Minsk/Minsk II nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland.

    Unmittelbar nach der Unterzeichnung 2015 sind russische KrÀfte weiter in die nÀchste Ortschaft einmarschiert und haben weitere Landstriche angegriffen.

    Trotzdem ging die nÀchste Eskalation dann wieder von Russland aus.
    Putin hat dann die Provinzen Luhansk und Donezk zu russischem Gebiet erklÀrt.

    Und mal eben Kiew angegriffen.


    Wie will man da weiter machen? Was will man da verhandeln? Wie lange soll das halten?

    Gebt uns die verschleppten Kinder zurĂŒck und Ihr dĂŒrft die Krim behalten, Donezk nehmen wir wieder? Wenn wir auch Luhansk zurĂŒckbekommen, reden wir auch nicht mehr ĂŒber Bachmut?


    Oder von welchen Zielen soll die Ukraine abrĂŒcken?

    Wie soll das praktisch aussehen - am Verhandlungstisch? Wo soll die Bereitschaft der Ukraine herkommen, Provinzen abzugeben und die Bewohner:innen praktisch zu verraten?


    NatĂŒrlich könnte man argumentieren, dass eine Aufgabe der Ukraine Blut spart - und hoffen, dass es zu keinen "SĂ€uberungen" kommt. Aber ob das funktioniert? Und vor allem ist das meiner Meinung nach eine Entscheidung der Ukraine.


    Klar, dann könnte man sagen: Wenn wir keine Waffen mehr schicken, dann wird sich das von selbst erledigen. Aber...puh. Wollen wir das wirklich so?
    Ich denke nicht. Also - ich zumindest wollte das nicht.


    Es ist aber auch klar, dass es schwierig ist, wenn wir jetzt alle darauf warten, dass die Ukraine Russland besiegt (im Sinne von: Aus der Ukraine treibt). Weil das nĂ€mlich nicht so einfach ist, wenn es ĂŒberhaupt möglich ist.
    Nur: Was ist die Alternative?

  • Es wird ja in der Diskussion gerne immer so getan als wĂ€re die Ukraine eine westlich stabile Demokratie.

    Genau diesen Eindruck habe ich bei der generellen Diskussion eher nicht. Dieser Punkt wird m. E. insbesondere von den Gegnern der Waffenlieferungen und Putinisten angefĂŒhrt.

    Okay, als jemand der nur hier liest und in den deutschen Medien habe ich in der Hinsicht noch nichts gelesen. Gegner von Waffenlieferungen oder gar Putinisten haben ja weder hier noch da einen Anteil an der generellen Diskussion.


    Aber mag ja sein das da jeder in anderen Bereichen von Diskussionen unterwegs ist.

  • Mir ist aktuell irgendwie nicht klar was Tobias und Du damit eigentlich sagen wollt. Könnt Ihr bitte mal weniger Subtext
ich nehme mal nicht an es ging um Framing?

  • Ich hab Dich so verstanden , dass Du meinst, Gegner:innen von Waffenlieferungen und Putinist:innen nĂ€hmen nicht an der öffentlichen Diskussion teil.
    Das aber wĂŒrde ich deutlich bestreiten wollen. Die nehmen doch sehr wohl teil.

  • Es ist aber auch klar, dass es schwierig ist, wenn wir jetzt alle darauf warten, dass die Ukraine Russland besiegt (im Sinne von: Aus der Ukraine treibt). Weil das nĂ€mlich nicht so einfach ist, wenn es ĂŒberhaupt möglich ist.
    Nur: Was ist die Alternative?

    Die Ukraine muss mit allen Mitteln ausgestattet werden, inklusive Training, Information aus AufklĂ€rung und maximaler logistischer UnterstĂŒtzung, um Russland aus der Ukraine zu werfen.


    Also nicht warten, sondern liefern.


    Das wÀre meine Alternative und, da bin ich mir sicher, auch die des ukrainischen Volkes.


    Alles völkerrechtliche legal, da gibt's hier ja hoffentlich keine zweite Meinung zu.


    Putin muss auf Zeit spielen, und alles Zögern bzgl der UnterstĂŒtzung der Ukraine spielt ihm in die HĂ€nde

  • Stephan535 :

    Das, was du da schreibst, kann ich sehr gut nachvollziehen. Wirklich.


    Allerdings bin ich der Meinung, dass diese Herangehensweise konsequenterweise dann einen Beitritt der NATO erfordert. Die Ukraine wird es nĂ€mlich nicht schaffen, "nur" mit Waffenlieferungen die Russen aus ihrem Land zuwerfen und sie dauerhaft auch draußen zu lassen.


    Daher paßt m.E. auch dein Beispiel mit Minsk/Minsk II nicht ganz. Ich bin nĂ€mlich der Überzeug, dass Putin sich hĂŒten wird, in NATO-Gebiete einzumarschieren. Der Donbass und die Landstriche, die sich die Russen gleich wieder holten, waren weder NATO-Gebiete, noch wurden sie unter ein NATO-Schutzschild gestellt. Hier ist der Unterschied zu dem Kissinger-Plan.


    Mir geht es darum, dass ich es begrĂŒĂŸen wĂŒrde, wenn es nicht zu einem Konflikt NATO-Russland kommen wĂŒrde (den atomaren Aspekt mal außen vor). Wenn jedoch Selenskyj bei seiner Forderung (RĂŒckerhalt aller ukrainischer Gebiete incl. Krim) bleibt und auch Putin bei seiner Forderung bleibt, wird es keine Bewegung am Verhandlungstisch geben. Aus unserer Sicht sind die Forderungen von Selenskyi völlig legitim, verstĂ€ndlich und unterstĂŒtzenswert. Putin Forderungen dagegen sind völkerrechtswidrig. Wenn man also Selenskyj daher wirklich unterstĂŒtzen will, muss die Völkergemeinschaft zusammenstehen und auch deutlich machen, dass man im Zweifel auch bereit ist, die NATO in ihrer GĂ€nze zu mobilisieren (Die NATO ist ein VerteidigungsbĂŒndnis und es mĂŒĂŸte ein völkerrechtskonformer Weg gefunden werden, einen derartigen Schritt zu legitimieren. Ich weiß, schwer bzw. scheinbar unmöglich).


    Dann gibt es m.E. nur zwei Möglichkeiten: Entweder zieht Putin den Schwanz ein, oder es findet ein atomarer Weltkrieg statt. Eine charmante Zwischenlösung ist nicht möglich, wenn beide Parteien auf Deubel komm raus ihren Forderungen bestehen, mögen sie im Falle der Ukraine noch so legitim und gerechtfertigt sein.


    Klar, dann könnte man sagen: Wenn wir keine Waffen mehr schicken, dann wird sich das von selbst erledigen. Aber...puh. Wollen wir das wirklich so?
    Ich denke nicht. Also - ich zumindest wollte das nicht.


    Es ist aber auch klar, dass es schwierig ist, wenn wir jetzt alle darauf warten, dass die Ukraine Russland besiegt (im Sinne von: Aus der Ukraine treibt). Weil das nĂ€mlich nicht so einfach ist, wenn es ĂŒberhaupt möglich ist.
    Nur: Was ist die Alternative?

    Die von mir hervorgehobenen Stellen sind die Kernfragen. Was wollen wir wirklich ? Welche Alternativen haben wir ?


    Man könnte sagen: Einhaltung des Völkerrechts, Beendigung des Krieges und Frieden in Europa, Wahrung der Menschenrechte und friedliches Miteinander, auch wenn unterschiedliche Weltbilder vorhanden sind. Hört sich sicher gut an, aber erscheint mir in der derzeitigen Lage als utopisch.


    Aber ich weiß eben auch nicht, was jetzt richtig ist. Ich will weder, dass Putin mit seiner Aggression durch kommt, noch möchte ich einen Weltkrieg. Wir im Westen können auch der Ukraine nicht vorschreiben, ob sie Kompromisse eingehen will. Und auch Putin können wir nichts vorschreiben und wir können ihn auch nicht ohne den Einsatz von MilitĂ€r zu irgendetwas zwingen. Das ist eine sehr ernste und gefĂ€hrliche Situation und der Ausgang ist ungewiß. Daher betone ich nochmals an dieser Stelle, dass ich deine Argumente nachvollziehen kann.


    Und zu deiner Frage nach den Alternativen: Der Kissinger-Plan ist fĂŒr mich der am ehesten realisierbare Plan, der in meinen Augen die grĂ¶ĂŸtmögliche AnnĂ€herung zu dem verspricht, was deine Frage "Was wollen wir?" oben steht. Aber ganz sicher mit teilweise erheblichen und schmerzhaften ZugestĂ€ndnissen an den Aggressor. Ich bin der Meinung, dass es ohne ZugestĂ€ndnisse keine Verhandlungslösung gibt, wobei schon der Begriff "Verhandlungen" dies impliziert.


    Daher die ehrliche und offene Frage an dich, @Stephan: Was schlÀgst du in dieser vertrackten Situation vor?

  • Nach diesem "Kissinger-Plan" wĂŒrde eine kastrierte Ukraine bleiben, die langfristig nicht nur am militĂ€rischen, sondern insbesondere am wirtschaftlichen Tropf des Westens hĂ€ngen wĂŒrde. Da brĂ€uchte Putin nur warten, bis die UnterstĂŒtzung ausbleibt - die Kriegsverbrechen blieben ungesĂŒhnt, ja sogar international ungeklĂ€rt.


    Und der nĂ€chste Kandidat in China hĂ€tte schon mal die Blaupause fĂŒr Taiwan.


    Ja, wir sind schon jetzt Kriegspartei, eine Niederlage der Ukraine wĂ€re auch unsere... und sie wĂŒrde uns und unsere Kinder langfristig einen bitteren Preis kosten.


    Ansonsten bin ich weiter bei andro96.


    02

  • Kai


    Mal abgesehen davon, dass der von Dir favorisierte Kissinger-Plan nicht nur moralisch höchst fragwĂŒrdig als auch völkerrechtlich hochproblematisch wĂ€re, weil es den Kriegsverbrecher fĂŒr seinen völkerrechtswidrigen Angriff und all die von ihm begangenen Kriegsgreuel auch noch mit Gebietsgewinnen belohnen wĂŒrde, stellt sich auch hier das Problem, dass Putin erst dann zu einem solchen Verhandlungskompromiss bereit sein dĂŒrfte, wenn ihm klar geworden sein wird, dass die Ukraine-UnterstĂŒtzer-Allianz nicht aufhören wird, die Ukraine solange mit allen benötigten Waffen zu unterstĂŒtzen, sodass ein militĂ€rischer Sieg Russlands auch auf lĂ€ngere Sicht nicht erreicht werden kann.


    Meine Frage an Dich: Ist Dir das bewusst?

    2 Mal editiert, zuletzt von Winsley555 ()

  • Ich habe bereits im Sommer geschrieben, dass die Ukraine Russland aus ihren Grenzen vertreiben wird und bin nach wie vor der Meinung.


    Ich bin voll bei Milley, der sagt, es wird schwer, das noch dieses Jahr zu schaffen, aber damit sagt er auch, dass es möglich ist.


    Im ĂŒbrigen ist eine Armee stabil, bis sie kollabiert. Will damit sagen, es muss nicht, kann aber auch schneller gehen, als man denkt.


    Noch sind wir allerdings nicht soweit.

  • "Kriegstreiber England". Interessante Parallelen zwischen Hitlers und Putins Rhetorik.


    Zitat

    Deutschland und #Russland hĂ€tten ihre "geschichtliche Aufgabe" als OrdnungsmĂ€chte in Osteuropa wieder aufgenommen. Die "neutralen LĂ€nder" hĂ€tten erkannt, dass "Deutschland die Sache des Friedens" vertrete - dagegen wĂŒrde England "den Krieg um seiner selbst Willen" fĂŒhren wollen.


    Carl Schmitt kommt auch vor.


    Historiker Wehowski auf Twitter, Thread, deutsch.


  • Zwar schon ein Tag alt, aber ich habe es hier bisher noch nicht gelesen.


    "Die NATO ist bereit fĂŒr eine direkte Konfrontation mit Russland", sagt der Chef des NATO-MilitĂ€rausschusses, der niederlĂ€ndische Admiral Rob Bauer in einem Interview mit dem portugiesischen Sender RTP. Seiner Meinung nach gehen die strategischen Ziele Russlands ĂŒber die Grenzen der Ukraine hinaus.


    Quelle im Spoiler:

  • Entweder zieht Putin den Schwanz ein, oder es findet ein atomarer Weltkrieg statt.

    Es wird weder einen atomaren Weltkrieg geben, noch werden wir in der Ukraine NATO-Truppen sehen - auch keine Truppen unter UN-Mandat.


    Auch ist Deutschland keine Kriegspartei. Ich lese es so hÀufig und man muss es immer wieder klar stellen.