Mir gibt es aktuell zu wenig Aufschrei im Land um die Vorkommnisse um die Grünen Veranstaltung. Da muss eine Veranstaltung einer demokratischen Partei aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Ricarda Lang wird massiv bei der Abreise angegangen und an der Abreise gehindert.
Man stelle sich vor das wäre eine Veranstaltung der CDU gewesen, die durch linke Demonstranten verhindert worden wäre.
Ja, es ist zu wenig Aufschrei, da gebe ich dir recht. Aber ich teile deine Meinung nicht, dass es bei einer CDU-Veranstaltung mehr Aufschrei gegeben hätte. Es geht darum, dass überhaupt Politiker dermaßen gewaltvoll angegangen werden, egal welcher Couleur.
Es ist auch für mich interessant mitzubekommen, wie sich das Wording verändert. Waren es vor Wochen noch die armen Bauern, die ansonsten fleißig ihrer Felder bestellten und dafür sorgen, dass die gesamte Bevölkerung ernährt werden kann, sind es jetzt "Treckerfahrer mit Monster-Geräten". Vor Wochen hatte man noch kein Problem damit, die Gruppe der Landwirte zu verallgemeinern und zu pauschalieren, wenn es um die überlebenswichtigen Diesel-Subventionen ging. Heute wird fein differenziert und die Gewalttaten sind Einzelfälle, von denen man sich selbstverständlich distanziert. Pauschalierung (also das, was man bis Anfang Januar betrieben hat - geht jetzt gar nicht mehr. Diese Differenzierung innerhalb der Landwirte hätte ich mir schon viel früher gewünscht und nicht erst jetzt, wo klar wird, dass auch unter den Landwirten stramme Rechtsausleger sind. Das ist aber auch bei näherer Betrachtung kein Wunder, denn sie bilden ja auch nur einen Querschnitt der übrigen Bevölkerung ab.
Die Landwirtschaft ist seit ehedem ein hoch subventionierter Wirtschaftszweig. Das wußte jeder in jeder Partei. Aber dieser Wirtschaftszwei umwehte stets ein romantischer Geruch, weil es ja "unsere Bauern" sind. Nun hat der Staat eine große finanzielle Last zu tragen, die hauptsächlich mit dem Krieg in der Ukraine, dem Aufholen von alten Versäumnissen und dem Umbau zu einer klimafreundlichen Gesellschaft und Wirtschaft begründet ist. Und die lieben Bauern wollen sich nicht an den Kosten beteiligen. Kosten, die jeder Bürger und jedes Unternehmen ebenfalls zu tragen hat. Es geht ja nicht um die komplette Streichung aller Subventionen, sondern nur um einen ganz kleinen Teil. Aber auch der ist den lieben Bauern zu viel. Dann gibt es ein Entgegenkommen und setzt die ursprünglichen Maßnahmen nicht in vollem Umfang um und auch das können sie nicht akzeptieren. Stattdessen wird der Staat erpresst und Parolen wie "Wer Land verkauft und Bauern fängt, ist es wert, dass er am Galgen hängt" werden gerufen. Natürlich nur Einzelfälle ....
Erst sah man nur eine Ampel am Galgen, dann kamen (mit Grünen-Politikern) personifizierte Hass-Plakate, jetzt Gewalt gegen R. Lang und C. Özdemir. Privathäuser von Politikern werden belagert (das sind übrigens astreine SA-Methoden, bekannt aus der Weimarer Republik). Aber es und ja die lieben Bauern, die nur ums Überleben kämpfen, unter mangelnder Wertschätzung leiden und ihrem Protest Ausdruck verleihen wollen. Wahlweise Einzelfälle.
Wie wird es weiter gehen, wenn die Bauern sich nicht durchsetzen bzw. wenn die Regierung nicht einknickt? Eine rote Linie nach der anderen wird überschritten und was machen wir bzw. die Medien? Nehmen es zur Kenntnis, sagen "ui, schlimm!" und gehen spätestens übermorgen zur Tagesordnung über.
Um die Klammer zu schließen: Es gibt viel zu wenig Aufschrei. Ich hätte mir gewünscht, dass C. Özdemir deutlichere Worte gefunden und vor den Mikros gesprochen hätte. Ich wünsche mir härtere Distanzierungen und Verurteilungen von den Bauernverbänden und nicht nur dieses wachsweiche Gesäusel von Einzelfällen. Ich wünsche mir von Scholz ein öffentliches "Machtwort" zu den Gewalttaten im Rahmen der Proteste. Ich wünsche mir eine deutliche mediale Verurteilung auf allen Kanälen. Es reicht nicht einfach nur zu sagen, dass man wachsam sein muss. Man muss das auch leben und zwar von oben nach unten. Rechtsextreme und Demokratiefeinde gehören isoliert und verurteilt, egal, ob sie mit Springerstiefeln zu Fuß oder mit Treckern auf der Straße unterwegs sind. Die dürfen keinen Platz haben. Nirgendwo, auch nicht in der Landwirtschafts-Lobby.