Martin Kind

  • Wenn er jetzt seine Inhalte in feinstem Sozialsprech, Medizinsprech oder Ghettosprech genau so kund tut, ist dann die Welt eine andere?


    Naja, Fansprech wäre ab und an angenehm.


    Ich wollte das eigentlich nicht mehr posten, weil der Zeitpunkt eigtl. vorbei ist für sowas, geschrieben hatte ich das vor Monaten mit dem idiotischen Gedanken, MK vielleicht zum Nachdenken zu bringen. Mittlerweile bin ich der Überzeugung, MK ist nicht lernfähig was Fußball und Fansein angeht. Was soll's? Vielleicht taugt es noch zur Erklärung dafür, was verloren gegangen ist.


    BRIEF AN MARTIN KIND


    "Lieber Martin Kind,


    Sie kennen mich nicht, aber ich kenne Sie - wenn auch nur ein bisschen. Sie waren noch nicht lange Präsident bei meinem Verein, wir spielten im DFB-Pokal auswärts beim VfL Osnabrück. Ich kam mit der Bahn und war spät dran. Sie ebenfalls, nur mit ihrem Auto. Ein Ordner hinderte Sie aber an der Weiterfahrt und ließ Sie nicht direkt am Stadion parken. Ich aber hatte Sie erkannt und sagte dem Mann „Mensch, das ist der Präsident von Hannover 96, den lassen Sie doch mal hier parken!“, worauf der Ordner Sie tatsächlich durchließ. Wir gewannen übrigens 1:0.


    Nun sind Sie schon sehr lange Präsident bei Hannover 96 und wir spielen schon eine ganze Zeit 1. Liga. Ich zweifele nicht daran, dass Sie daran einen großen Anteil haben. Ehrlich gesagt habe ich bis vor kurzem gedacht, dass Sie ein Glücksfall für meinen Verein sind. Dass Sie jemand sind, der wirtschaftlichen Sachverstand besitzt, Verantwortungsbewusstsein, lokale Bindung, dass Sie jemand sind, der regional enorm vernetzt ist und der noch dazu eine Führungspersönlichkeit ist.


    In den letzten Monaten und Jahren ist das Verhältnis von nicht ganz unwichtigen Teilen der Fans von Hannover 96, die zu einem Gutteil auch Vereinsmitglieder sind, zu Ihnen nicht nur abgekühlt, es ist in offenen Hass seitens dieser Fans umgeschlagen.


    Dieser Streit ist nunmehr so eskaliert, dass die eine Partei immer dann, wenn es nicht so laut ist im Stadion, „Kind muss weg!“ ruft. Das wirkt sich nicht nur schädlich auf die Mannschaft und deren Leistung aus, er spaltet die Fanszene in Hannover. Es kommt zu Beschimpfungen und Becherwürfen zwischen den Fans. Und der Streit beschränkt sich nicht mehr auf Hannover. Es gibt Solidarisierungen anderer Fans bei deren Spielen in Hannover. Die überregionale Presse nimmt sich der Sache an. Keiner weiß, wo das alles noch hinführt. Eines ist aber klar. Dem Verein nützt es nichts und der Mannschaft auch nicht.


    Herr Kind, ich will mit diesem Brief versuchen, Ihnen klarzumachen, warum Sie bei vielen Fans mittlerweile als rotes Tuch gelten. Ich schreibe das nicht, um Sie herabzuwürdigen, sondern weil ich glaube, dass ein großes Stück dieses Konflikts aus Verständnisproblemen herrührt. Und ich glaube, dass auch Sie manche Fans und vielleicht sogar das Fansein an sich nicht wirklich verstehen. Das ist auch nicht erstaunlich, ich versuche z.B. meiner Frau seit Jahren zu erklären, warum ich damals vor dem Fernseher wie ein angestochenes Schwein gequiekt habe „Mach ihn rein! Mach ihn rein!“ als Jan Schlaudraff seine Gegenspieler aus Sevilla umkurvte. Er hat ihn übrigens reingemacht.


    Wenn Sie, Herr Kind, über Hannover 96 sprechen, dann fallen fast nur Worte wie „Marke“ oder „Produkt“, „mittelfristige Ziele“ oder „wirtschaftliche Tragfähigkeit“. Viele Fans können mit dieser Sprache nichts anfangen. Für sie zählen andere Begriffe wie „Herzblut“, „Leidenschaft“, „Traditionsduell“ oder „alte Liebe“. Wer hat recht? Natürlich haben Sie recht, Herr Kind. Ohne wirtschaftliche Denkweise lässt sich heutzutage auch kein Verein zum Erfolg führen. Sie als erfolgreicher Unternehmer verkörpern daher diese Denkweise geradezu, aufgrund ihrer öffentlichen Auftritte kann man den Eindruck gewinnen, sie leben sie. Und genau das ist auch ein Teil des Problems. Denn natürlich ist Ihre Denkweise richtig, wenn es um die wirtschaftlichen Aspekte des Vereins geht, aber sie ist eben falsch, wenn es um das im Verein geht, was nicht in Zahlen auszudrücken ist. Ich habe den Eindruck, dass genau das aber Ihnen auch jetzt noch sehr fremd ist und sie dies, also das Fansein, ausschließlich als Faktor in einer Wirtschaftskalkulation betrachten, als wirtschaftlichen Negativfaktor, wenn es Strafen für Fanaktivitäten gibt, als positiven Wirtschaftsfaktor, wenn es um Merchandisingumsätze oder die Stimmung im Stadion geht.


    Ich glaube, dass die derzeitige Situation nur dann aufzulösen ist, wenn beide Seiten sich bemühen, den jeweils anderen dort abzuholen, wo er steht. Wenn ich Ihren Worten glaube („kein Blick zurück, nach vorne gucken“), dann sollte dieser Weg für Sie interessant sein.

    Einmal editiert, zuletzt von Holunder ()

  • Vielleicht erlauben Sie mir einmal, Herr Kind, Sie anhand weniger kleiner Geschichten in eine Welt mitzunehmen, die Ihnen offenbar fremd ist.

    Am Freitagnachmittag bin ich nach einem Auftrag in Lehrte nach Hannover Linden gefahren und hatte fast 2 Stunden Zeit bevor ich mich mit Freunden zum Spiel gegen Hertha verabredet hatte. Ich zögerte den Moment heraus, an dem ich wegen des schönen Wetters ein Hefeweizen trinken wollte und wanderte etwas um den Lindener Markplatz herum. Ohne Zeitdruck, ohne Termin besah ich mir die z.T. wunderschönen Häuser in den Seitenstraßen. Und dabei fielen sie mir wieder auf. Kleine Aufkleber, alles mit 96-Sprüchen, -farben, dem Logo. Das war keine Massenware, die Dinger kamen nicht aus dem Fanshop. Da hat jemand ein eigenes Design entwickelt, die Dinger auf eigene Kosten drucken lassen und dann überall einen Aufkleber hinterlassen, wo es ihm wichtig war. Und es war nicht ein Aufkleber, es waren dutzende verschiedene, manche uralt und schon verwittert, manche noch ganz neu. Und niemand von denen, der diese Aufkleber entworfen und bezahlt hat, hatte etwas anderes davon, als seinem Umfeld seine Leidenschaft mitzuteilen. Er erhält noch nicht einmal Anerkennung in der Gesellschaft, den er darf sich als Urheber gar nicht outen. Juristisch betrachtet ist so etwas nun einmal Sachbeschädigung. Rund um den Lindener Marktplatz habe ich noch viel mehr Verbundenheiten mit 96 entdeckt, als „nur“ die Aufkleber. Wenn man genau hinguckt, dann bekommt man den Eindruck, hier wird 96 gelebt. Der Stadtteil hat 96 aufgesogen wie ein Schwamm. Und das schon seit Generationen. Warum machen die das bloß?


    In seinem Roman „Fever Pitch“ beschreibt Nick Hornby wie seine Hauptfigur sein Herz an Arsenal London verliert und wie sehr ihn die Erfolge und Misserfolge seines Vereins im Alltag prägen. Wochen nach einer Niederlage sind furchtbar und führen zu ernsthaften Schwierigkeiten mit Mitmenschen, Siege bedeuten 7 Tage Sonnenschein und gehen einher mit der inneren Gelassenheit eines Buddhas. Sie mögen das für unproduktiv halten, Herr Kind, für irrational oder für wahnsinnig. Damit wären Sie einer Meinung mit meiner Frau. Trotzdem funktioniert so Fansein und keiner weiß, wie man zum Fan wird. Und noch etwas ist sehr wichtig: ein Fan ändert sein Fan-Objekt nicht. Bin ich Fan von Hannover 96, dann kann ich nicht Fan von Werder Bremen werden. Werder kann mir dann sympathisch sein oder ich kann sie respektieren. Aber ich kann sie niemals so lieben wie Hannover 96. Das ist keine Frage des Willens. Es geht schlicht nicht. Dass das überaus irrational ist, ist mir bewusst – dennoch respektiere ich diese Grundentscheidung bei jedem anderen Fan, weil ich weiß, er hat sich das nicht ausgesucht. Ich meine, der Satz stammt auch aus „Fever Pitch“: du suchst dir deinen Verein nicht aus, der Verein sucht dich aus. Und das tut er nicht durch Werbung, nicht durch Erfolge, auch nicht durch 3 Triples in Folge. Der Verein schleicht sich in dein Herz ein. Und dann geht er nicht mehr weg. Das ist wie Verliebtsein auf Dauer. Und einem Verliebten kann man auch nicht sagen, er möge sich doch in jemand anderes verlieben. Selbst einem Braunschweiger würde ich das nicht sagen. Obwohl der nun wirklich allen Grund dazu hätte.


    Dass diese Verrücktheit auch vor nüchternen Verwaltungen nicht haltmacht, Herr Kind, zeigt sehr schön, wie weit diese Narretei gesellschaftlich verbreitet ist. Noch einmal Linden: dort hatte irgend ein findiger Verliebter die Idee, die rote Farbe mit dem Logo von 96 auf sehr kluge Weise zu verbinden. Er ließ – wiederum in Eigenfinanzierung – das Logo auf kreisrunden durchsichtigen Aufklebern drucken und klebte sie – auf die roten Lichter von Verkehrsampeln! (Juristisch: möglicherweise Sachbeschädigung). Wo ist der Clou, fragen Sie? Ist ja hübsch, aber Aufkleber hatten Sie oben schon mal erwähnt, Herr Briefeschreiber! Stimmt. Nur dass hier die hannöversche Verwaltung auf Nachfrage, ob man das denn nicht abmachen müsse, geantwortet hat: so lange das niemanden stört… Es gibt diese Wahnsinnigen also sogar in der Verwaltung. Diese Leidenschaft ist das nicht in Zahlen auszudrückende Herzblut eines Fußballvereins. Und nun denken Sie mal bitte an die viel größeren Aufwendungen die die völlig Verrückten - in Eigenleistung – für den Verein im Stadion geleistet haben. Die Choreos, die Fahnen, die Gesänge. Natürlich kann hieraus niemand Rechte ableiten, aber man sollte ihm gegenüber einen gewissen Respekt aufbringen. Und dazu passen weder Kollektivstrafen noch schlechte Kommunikation.


    Nicht, dass wir uns falsch verstehen: wenn es um Pyrotechnik geht, etc. bin ich ganz bei Ihnen. Das hat meiner Meinung nach nichts im Stadion verloren. Ich war auch entsetzt, als ich von den Sprechchören gegen den Spieler Pogatetz in Wolfsburg hörte. Das macht man nicht. Das ist meine persönliche Meinung. Ich finde es also völlig richtig, dass Sie in bestimmten Punkten kein Entgegenkommen anbieten. Das darf aber nicht für jede gefühlte Verfehlung gelten. Es geht dabei auch nicht um die Frage, welches einzelne Verhalten des Vereins war ok und welches nicht, sondern um – wiederum – ein Gefühl: nämlich das Gefühl, dass mein Verein erst mal auf meiner Seite steht, mich nicht unter Generalverdacht stellt und permanent bemüht ist, durch vernünftige Strukturen mit der aktiven Fanszene im Gespräch zu bleiben. Es geht eben nicht nur darum, den Fans einen abschließbaren Container für Schwenkelemente zur Verfügung zu stellen, sondern darum, den Fans, die sich - zugegebenermaßen - auch manchmal sehr wichtig nehmen, im Grundsatz das Gefühl zu vermitteln, ihr seid uns wichtig, wir hören auf jeden Fall zu. Das ist offenbar seit längerem nicht mehr der Fall.


    Und für einen solchen Interessenausgleich ist es wichtig Herr Kind, dass Sie Ihre Sprache überdenken. Diese Wirtschaftssprache ist wichtig und richtig – wenn Sie mit Investoren sprechen, mit Banken oder mit Geschäftsfreunden. Mit Fans sollten Sie so nicht reden. Dann hat Hannover 96 bald zwar noch zahlende Zuschauer, aber mit Fußball hat das dann nichts mehr zu tun.


    Wenn Ihnen das alles sehr fremd ist, dann wäre es vielleicht eine Überlegung, dass Sie im Hintergrund mit Wirtschaftsleuten die Wirtschaftsgespräche führen und Sie jemanden anderen mit entsprechenden Kompetenzen ausstatten und beauftragen, die Außenkommunikation zu führen.


    Ich würde mir wünschen, dass die Mühe dieses Briefes nicht ganz umsonst ist und dass Sie Herr Kind, vielleicht den einen oder anderen Gedanken hierin finden, der Ihre bisherige Meinungen ein wenig verändert. Und wenn das gelingen sollte, besorge ich Ihnen auch beim nächsten Spiel in Osnabrück wieder einen Parkplatz.


    Versprochen."

  • Ich hatte beim Lesen gemischte Gefühle, einerseits Zustimmung, andererseits aber auch einige Dinge, die ich anders sehe. Aber so ist das, ein so langer Text kann und muss nicht jedem gefallen. Mir ist klar, dass dieser darauf abzielt, MK mitzuteilen, dass sein Wirtschaftsdenken beim Fan falsch ankommen, aber dann machst du doch den Bogen zu anderen Dingen.


    Das hier hat mir als Tipp am Besten gefallen:

    Wenn (...) Sie jemanden anderen mit entsprechenden Kompetenzen ausstatten und beauftragen, die Außenkommunikation zu führen


    :lookaround:

  • Man kann es auch kürzer sagen.


    Für Martin Kind sind Verein und Fans eigentlich nur Beiwerk und im Prinzip schaaßegal.


    Der macht nur sein eigenes Ding und benutzt den Klub 96 nur als Medienvehikel für sich selbst.


    Zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse, welche auch immer das sein mögen.


    Wenn ein professioneller Mensch die Außendarstellung des Klubs verbessern würde, dann wäre nur der Schein verändert, würde aber nix an dem ändern, was dahinter steckt.


    Im Grunde machen sich die Fans doch nur selber was vor, sie identifizieren sich nicht mehr mit dem eigenen Verein, der ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl darstellt, sondern sie laufen jetzt einem goldenen Kalb hinterher.

  • CR96
    +1


    Wenn sich Vereinsmitglieder in wichtigen Ämtern und viele Vereinsmitglieder in den Abteilungen nicht bald besinnen, tickt die Uhr unaufhörlich weiter - und sie tickt keine Jahre mehr, sondern nur noch Monate.


    Und dabei ist ja noch nicht einmal sicher, ob am Ende diejenigen, die sich schulterzuckend vom Verein verabschieden, weiter ihren Spass bei der Spielvereinigung Isernhagen KGaA haben werden - Paderborn lässt grüssen, man kann dazu ja mal Herrn Bakalorz fragen...

    3 Mal editiert, zuletzt von stscherer ()

  • Im Grunde machen sich die Fans doch nur selber was vor, sie identifizieren sich nicht mehr mit dem eigenen Verein, der ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl darstellt, sondern sie laufen jetzt einem goldenen Kalb hinterher.


    Richtig, nur gehoert zum Thread "Nein zum modernen Fußball".

  • Im Grunde machen sich die Fans doch nur selber was vor, sie identifizieren sich nicht mehr mit dem eigenen Verein, der ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl darstellt, sondern sie laufen jetzt einem goldenen Kalb hinterher.


    Richtig, nur gehoert zum Thread "Nein zum modernen Fußball".


    Stimmt so nicht, denn moderner Fußball wird auch in Gelsenkirchen oder Mainz gespielt.

  • Holunder, sehr schön, dass es Fans wie Dich gibt, die sich diese Mühe machen.


    Ein Versuch ist/war es wert, aber irgendwie wissen wir doch alle, dass er nicht verstanden hat.


    Im Gegenteil, ich könnte mir sogar vorstelllen, dass er sich den Inhalt lediglich vereinnahmt, um damit weiteren Profit schlagen zu können.

    Einmal editiert, zuletzt von P-King ()

  • Nein, ich habe den Brief damals nicht abgeschickt. Er enstand auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung mit den Fans. Dann kam die Einigung und plötzlich schien er mir zwar inhaltlich nicht überholt, aber der Zeitpunkt schien mir dann falsch.
    Es sollte ursprünglich ein offener Brief an MK sein. Ich bin aber nie davon ausgegangen, dass MK diesen Brief wirklich lesen würde. Naja, vielleicht wenn ihn einer seiner Vertrauten lesen, gutfinden und an ihn weiterreichen würde. Oder wenn jemand in der Presse den Brief abdrucken würde... aber auch daran habe ich nie ernsthaft gedacht.

  • Vlt wäre aber gerad jetzt der richtige Zeitpunkt. Ich würde mir echt wünschen, Du schickst ihn persönlich und nicht als offenen Brief.

  • @ Holunder:
    Sehr schöner Text und vor allem auch in Ton und Wortwahl sehr treffend und passend. Große Klasse!
    Schade, dass du ihn nicht abgeschickt hast.

  • Vlt wäre aber gerad jetzt der richtige Zeitpunkt. Ich würde mir echt wünschen, Du schickst ihn persönlich und nicht als offenen Brief.

    Gute Idee, aber da er schon hier im Forum bekanntgegeben wurde, wäre es kein persönlicher Brief mehr, sondern doch ein offener Brief.


    @Den Text finde ich übrigens sehr eindrucksvoll.