• Ich habe sehr sehr große Vorbehalte dabei, so etwas abzufeiern. Kehlich (Vorsitzender drr SPD-Ratsfraktion) wird heute in der HAZ dahingehend zitiert, dass es sich um einen "Fauxpas" des OB handele (was ich noch harmlos ausgedrückt finde), und das aus dem Aktionen der Letzten Generation "Demokratieverachtung" spräche, konkret bezogen auf die Störung der Sitzung der Regionsversammlung diese Woche. Ich füge hinzu, dass auch die Forderung nach einem sog Gesellschaftsrat, verbunden mit dem Verlangen an die Exekutive, dessen Ergebnisse ins Parlament einbringen zu müssen (!), nichts mehr mit repräsentativer parlamentarischer Demokratie zu tun hat. Anders, als das hier im Einzelfall darzustellen versucht wurde.


    Der OB hat gerade diesen Punkt zwar abgeschwächt, trotzdem darf er sich mMn nicht im Ansatz damit gemein machen.

  • Ja, man kann halt entweder in einen konstruktiven Dialog treten (bei dem ich aktuell übrigens absolut gar nicht sehe, dass dadurch demokratische Strukturen umgangen werden) oder die Sorgen der Aktivisten weiter mit Mißachtung strafen, die Menschen als Terroristen diffamieren und sich dann täglich beschweren, dass die so destruktiv und nutzlos den schönen Straßenverkehr behindern. Ganz wie man mag.

  • Dann könnte man auch folgern, dass man auch mit anderen Leuten, die mit ganz anderen Zielsetzungen (die Beispiele spare ich mir) mit Blockaden auf die Straße gehen oder die Sitzungen demokratisch gewählter Gremien stören, immer schön in einen konstruktiven Dialog treten sollte.

  • Von gestörten Sitzungen habe ich ehrlich gesagt überhaupt nichts gehört. Sowas finde ich natürlich grundsätzlich auch falsch. Aber Demonstrationen auf der Straße sind doch das Normalste was eine Demokratie zu bieten hat. Klar kann man sich über Ziel und Zweck der Demo aufregen, aber doch nicht über die Demo selbst.

  • Wird die Demo, denn auch immer im Vorfeld der Versammlungsbehörde angezeigt?

    Irgendwie doch nicht so ganz normal.

  • Du meinst, sie informieren die Öffentlichkeit vorher darüber, aber nicht die Ordnungsbehörden?

    Kann es sein, dass du dir dafür jetzt was aus den Fingern saugen musstest?

  • Demonstrationrecht ist Grundrecht mit "Spielregeln ". Sie müssen vorher angemeldet werden, idR 48 Stunden vorher. Da kann man halt nicht "spontan" auf eine Kreuzung oder Straße laufen und diese innerhalb von Sekunden ohne "Vorwarnung " blockieren. Aber klar, wenn man das vorher anmeldet, mindert es natürlich die Zielsetzung der Störung der Alltagsabläufe. Da liegt in meiner Wahrnehmung auch ein erheblicher Unterschied von der LG zu FFF, auch in Bezug auf die Akzeptanz.

    Zeitdieb : Die Störung der RV war am vergangenen Dienstag.

  • Du meinst, sie informieren die Öffentlichkeit vorher darüber, aber nicht die Ordnungsbehörden?

    Kann es sein, dass du dir dafür jetzt was aus den Fingern saugen musstest?

    Ach, ist dem so? Warum konnte ich denn nie davon in der Haz im Vorfeld der Aktionen lesen, wo und wann die Straßen gesperrt werden?

  • Ach, ich wusste nicht, das die Ordnungsbehörden verpflichtet sind, dich im Vorfeld über ein Medium wie die HAZ zu informieren....

  • Du meinst, sie informieren die Öffentlichkeit vorher darüber, aber nicht die Ordnungsbehörden?

    Kann es sein, dass du dir dafür jetzt was aus den Fingern saugen musstest?

    Einfach mal googeln. ZB hilft die HP des Nds. Innenministeriums weiter.

  • Jetzt muss ich mich heute doch noch einmal melden:


    Zu Spontandemonstrationen im Freien: diese natürlich nicht anzumeldenden Demonstrationen stehen ebenfalls und selbstverständlich unter dem ausdrücklichen Schutz des Art.8 Abs.1 GG. Solche sind erlaubt, genau so wie die Teilnahme daran, man darf sie nur nicht organisieren oder leiten. Dabei ist es am Staat und seinen Organisationen, nachzuweisen, dass es sich im Einzelfall um keine Spontandemonstrationen handelt.


    Natürlich gehen die AktivistInnen da an die Grenze des Rechts, denn eine grundsätzliche Organisation im Hintergrund kann man durchaus vermuten, aber tatsächlich dürfte es sich bei den Klimaprotesten durch Ankleben trotzdem um spontane Aktionen handeln und dann sind diese Demonstrationen nach meiner Einschätzung verfassungsrechtlich geschützt - und ich befürworte das ausdrücklich.


    Aufgelöst werden dürfen sie nur, wenn sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden. Das sind dann interessante Fallfragen, angefangen damit, ob die Fahrt ins Fitnessstudio schon ein öffentliches Interesse darstellt, oder erst die Fahrt zur Arbeit oder gar erst die Fahrt eines Rettungswagens.


    Sinn und Zweck der Demonstrationen ist jedenfalls die Aufnahme des Dialogs mit "den Handelnden" und dem Ziel der möglichst weiten Umsetzung der eigenen Ziele. Das nennt man dann demokratische Willens- und Konsensbildung. Und genau dafür ist das Demonstrationsrecht ein sehr wichtiges Instrument im demokratischen Prozess, weswegen es durch das Verfassungsrecht geschützt ist und eben im Freien auch grundsätzlich keiner Genehmigung und Anmeldung bedarf.


    Zum angeblich undemokratischen Ansatz eines "Klimarates": Dass eine Selbstbindung der EXEKUTIVE gegen demokratische Prinzipien verstossen würde, sehe ich nicht so, denn eigentlich ist eine solche (Selbst-)bindung der Exekutive nicht unüblich. Klassischer Fall: Koalitionsvertrag. Und auch sonst sollte es in der Exekutive im Idealfall so funktionieren: es wird ein zu lösendes gesellschaftliches Problem erkannt bzw. ein gesellschaftlich wünschenswertes Ziel. Dann erteilt die Legislative der Exekutive den Auftrag, hierfür eine Lösung zu finden - wenn sie diese nicht selbst erarbeiten will oder wenn die Exekutive nicht von sich aus Handlungsbedarf sieht. Dann zieht die Exekutive Fachleute (extern oder intern) hinzu, die Fachleute erarbeiten einen Lösungsvorschlag und dieser Lösungsvorschlag wird zu einem Gesetzesentwurf durch die Exekutive, der ins Parlament eingebracht wird. Und genau dann, nämlich mit der Einbringung des Gesetzesvorschlags in die Legislative, beginnt der eigentliche demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozess... und bei dem würde ich viel eher mal über eine Gefährdung der demokratischen Prozesse ansetzen, zB. beim Stichwort "Fraktionszwang".


    Was ist nun anders bei dem Vorschlag der Letzten Genration? Erstens soll sich die EXEKUTIVE aufgrund eines Dialogs mit gesellschaftlichen Gruppen dazu verpflichten, einen solchen Prozess bis zum Gesetzesentwurf auszulösen und zu begleiten... nichts, was demokratisch anrüchig wäre. Und es soll neben einem reinen "Expertenrat" noch einen die Gesellschaft repräsentierenden Rat geben... etwas, was eine frühzeitige Partizipation der Gesamtgesellschaft ermöglicht und damit nach meiner Einschätzung alles Andere als demokratiefeindlich ist.


    Die Aussagen hier, solche Gremien (Expertenrat oder Gesellschaftsrat) wären dann irgendwie einseitig besetzt, sind für mich nicht nachvollziehbar: ein Rat, der repräsentativ die Gesellschaft abbildet und deren Mitglieder durch Los aus ihrer jeweiligen Gruppe bestimmt werden und daher weder vorher wissen, ob sie in den Rat kommen, noch wiedergewählt werden können, hat eine weit unterdurschschnittliche Gefahr der Profilierung und wird deswegen einseitig ausgesuchte ExpertInnengruppen ablehnen. Das bringt die Natur der Sache mit sich. Derzeit sieht die Praxis jedenfalls völlig anders aus. Diskutieren wir doch mal, woran das wohl liegt.


    Insgesamt halte ich diesen Vorschlag gerade unter demokratischen und staatsorganisatorischen Gesichtspunkten für extrem schlau. Er greift auf der Seite der Exekutive, ohne die vom Souverän gewählte Legislative zu einzuschränken, er enthält basisdemokratische Kriterien, die zu grosser Transparenz und Akzeptanz führen können und er verhindert die Übernahme durch Lobbygruppen und Profilierungssüchtige. Tatsächlich hat er zwei Nachteile: es stellt sich die Frage, ob er konkret bezogen auf ein ganzes Land organisatorisch so umgesetzt werden kann, dass er auch hinreichend arbeitsfähig ist - und er kann zu wenig von PolitikerInnen und LobbyistInnen beeinflusst werden, deren VertreterInnen ja jetzt schon in dunklen Hinterzimmern oder in Vorstandsetagen ausgekungelt werden. Vielleicht ist gerade Letzteres der Grund, dass ein solcher Rat und der durch diesen Rat initiierte Entscheidungsprozess vielen so fremd ist und abwegig erscheint: wir sind es zu sehr gewohnt, dass gesellschaftliche Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse überwiegend durch Eigennutz, Vetternwirtschaft und Lobbyinteressen gesteuert werden.


    Aber nun Feuer frei und sucht fröhlich weiter nach Argumenten, warum die Letzte Generation und ihre Vorschläge böse sind. Am Ende hilft dann immer noch "B-A-L-I" oder "Ich komme nicht rechtzeitig zur Arbeit".


    Meine letzten 04 Cent zu dem Thema

    Einmal editiert, zuletzt von stscherer () aus folgendem Grund: Besser so

  • Nur noch drei Anmerkungen von mir:


    Hinsichtlich der Zulässigkeit sind wir in einer rechtlichen Grauzone, da stimme ich dir zu. Ich neige aber eher zur Unzulässigkeit, weil man aufgrund der Vielzahl der gleich- oder ähnlich gelagerten Aktionen an verschiedenen Orten schon von einer Organisation im Hintergrund ausgehen kann. Sei es drum, sollen notfalls Gerichte entscheiden.


    Das das Auflösen nicht so ohne weiteres geht, ist mE klar, hat aber auch niemand hier gefordert.


    Zum Klimarat: alles schön formuliert, ich gehe da demokratisch aber trotzdem nicht mit. Ich sehe kein demokratisches Prinzip in einem Losverfahren, dass im Ergebnis ein Gremium aus Repräsentanten aller gesellschaftlichen Gruppen abbilden soll. Allein die Frage, wer warum zu welcher gesellschaftlichen Gruppe gerechnet wird ... sorry, da sträubt sich bei mir alles.

  • Wir sollten auf jeden Fall erstmal ausgiebig die Rahmenbedingungen von Protest und Dialog diskutieren. Das Klima können wir auch noch später retten.

  • Ich finde, der Name "Letzte Generation" ist schlecht gewählt, weil es bereits die "Erste Generation" ist, die mit dem Klimawandel komplett klarkommen muß. Den Protestgrund kann ich hingegen vollends nachvollziehen. Bei der Wahl der Mittel bin ich wieder skeptischer, weil nun alle von Kleber oder Blockade sprechen, aber immer noch nicht über Klimaschutz.


    Jede Zusammenarbeit der Politik mit der Letzten Generation ist zu begrüßen. Ulrike Hermann hat in der taz mal einen treffenden Kommentar geschrieben:

    Die Letzte Generation nimmt buchstäblich ernst, was Gesetzeslage ist. Damit stellt sie die Politik bloß, die darauf panisch und absurd reagiert. [...]