Alltäglich sichtbare Schwächen liegen jetzt vor allem noch in der Verkrampfung, fehlendem gemeinsamem Erleben (ich habe halt relativ spät damit angefangen), limiertem Smalltalk / Scherzkommunikation und einer leichten Überforderung mit manchen reizintensiven und Multitaskingsituationen. Das kommt aber auch alles mit daher, dass ich als Jugendlicher so gut wie gar keine Peer-Group hatte und, wo doch Ansätze vorhanden waren, von den Lebenswelten nicht mal ein Zehntel des Normalen geteilt habe, das nie ausreichte, um mitzureden. Internet, das jetzt eine große Hilfe dabei ist, bekamen wir auch erst 1996...
Offizielle Therapien habe ich nach dem Abbruch der letzten, elterlich gesteuerten, wo ich den Drang verspürte, raus zu müssen, sporadisch mal angetestet . Ansonsten ist mein Leben eine Therapie. In Selbsthilfegruppen bin ich nur mehr reduziert, weil mir da zu viele Syndromlinge und Expertengläubige rumlaufen. Aspergergruppen meide ich schon gleich ganz; es tut mir in der Seele weh, wie bereitwillig die überwältigende Mehrheit der Asperger-Diagnostizierten ihre persönliche wie auch kulturelle Identität über den Asperger definieren statt über sich selber und viele von ihnen überdies dieses Denken hoch halten und verbreiten. Immer "Ich bin als Asperger" oder gar "Asperger sind", nicht "ich bin". Oder "Autistic Pride" statt "Ich bin stolz auf mich selbst". Auf Pharmazeutika habe ich bis auf Cola, nach dem Reinfall mit der "Tourette"-Medikation, ganz verzichtet . Dagegen recherchiere und lese ich viel eigenständig Fachtexte jeglicher Disizplinen über informelle Interaktion, die überwiegend autismusfremd sind, und bilde mir unter anderem mit deren Hilfe Strategien im täglichen Leben. Der Zug ist da sicher noch nicht abgefahren.
Zu Asperger: Die Frage stellt sich mir nicht, ob ich es habe. Ich behaupte, Asperger gibt es nicht, weil eine schlagende Gemeinsamkeit der Einzelfälle fehlt, die über ein sehr vages subjektives Beobachten und Deuten hinausgeht, wo wieder die (Ohnmacht-Kompensations-)Macht von Eltern und Institutionen im Spiel ist, die, wie schon gesagt, von sich ablenken wollen. Man hat nicht DEN Genort, DIE Gehirnregion, DIE Stoffwechselprozesse, was mir bei ADS schon etwas klarer scheint. Die Fälle jedoch wiederum gibt es meiner Meinung nach. Nur ist sehr wenig verstanden, was individuell oder fallgruppenmäßig jeweils dahinter steckt. Äußere Faktoren werden in überzogener Gegenreaktion auf frühere "Kühlschrankmutter"-(sic, auch noch Mutter)Diffamiererei sehr ausgeblendet. Wer das Herz auf dem rechten Fleck hat, sollte da aber immer auf das Gesamtbild schauen und ohne Anklage auch den Beitrag des Umfeldes sehen.
Und ja, Asperger ist meines Erachtens eine Modekrankheit.
Dass dem ein oder anderen durchaus mit (oder dank...) der Diagnose Asperger geholfen wird, das will ich auch nicht klein reden. Meiner Meinung nach hat da aber immer die persönliche Beziehung zwischen dem Diagnostizierten und dem/den entsprechenden Betreuern einen großen Anteil. Ich freilich habe mich durch den Asperger noch nie besser verstanden gefühlt, OK, es war eine Konstante in meinem Leben, die es mir zeitweise bequem gemacht, mich aber letzlich auch erdrückt hat. Ansonsten kamen da immer da so Computerhirn-Vorurteile, übertriebene Vorstellungen von meiner Wahrnehmungs- oder Veränderungsempfindlichkeit, Vernachlässigung meiner Gefühle, Unterschätzung meines Kontaktbedürfnisses, Vermischung mit meinen daneben bestehenden körperlichen Symptomen, unnatürliche Vorsicht rein schon durch das Krankheitsetikett...
Ich möchte deswegen hiermit deutlich sensibilisieren für den Missbrauch von Krankheitskategorien. Da warne ich eindringlich vor Konzepten wie Autismusspektrum oder Neurodiversität, nicht wegen der Krank-Gesund-Dichotomie, die mir viel zu aufgebauscht wird, sondern wegen der Verharmlosung von Schubladisierung, von Persönlichkeitskonzepten, auch von Konzepten, wie jemand wahrnimmt, durch so eine Es-geht-ja-alles-ineinander-über- und Jeder-hat-doch-ein-bisschen-was-davon-Weichspülpackung. Konkret z.B.: Jeder hat doch ein bisschen von einem Computerhirn, das alles durch das XY-System wahrnimmt und dessen mimische Verkrampfung ja auch Teil des Autismus ist... Das ähnelt in seiner Denkstruktur esoterischen Theorien, die auch extrem verschwurbelt und sich gerade dadurch schwer angreifbar machen und ebenso ein diffuses ur-menschliches Bedürfnis von Zusammengehörigkeit der Welt adressieren. Ich bin mir sicher, dass diese Problematik auch schon Leute erkannt haben, gerade viel lesen tue ich aber nicht davon.
Mir liegt es am Herzen, dass der Einzelne - ich natürlich auch - in seiner Besonderheit als solcher gewürdigt und nicht einfach als Teil einer Spektrumssauce oder als insgeheimer Schubladling in einer, ja ach so guten, Neurodiversität, verhackstückt.
Was Fachkompetenz von Betreuern angeht, so habe ich diese vielfach als Vorurteilskompetenz empfunden. Man muss dabei ja auch noch wissen, dass meine Mutter diverse Therapeuten in ihren ehelichen Konflikten instrumentalisiert hat und die das vielfach auch noch haben mit sich machen lassen. Überdies ist viel an Ängsten (Hunde...) rumkonditioniert worden, wo es vor allem darauf ankam, dass sie vor Dritten das Gesicht wahrt und sich nicht mit dem ängstlichen Kind blamiert (geprägt durch Dorfsozialisation, die sie in einer Großstadt mitschleppt...).
Vor einem Therapeuten, der mich mit fünf für nicht schul- und gruppenfähig befand, hat sie mich indes auch gerettet, das sei ihr zugute gehalten.
Wichtig ist mithin, dass Betreuung nicht zu Ungusten der Selbstentfaltung geht und nicht zum verlängerten Arm von Erziehungsberechtigten wird. Dafür kann, wiederum, keine Ausbildung garantieren.
Ich könnte noch so viel mehr anfügen. Ist auch manches etwas durcheinander.
So, der Oberirre hat sich geoutet. Ich hatte das Gefühl, ich musste in den sauren Apfel beißen. Für meine Nachfolger wird es nun hoffentlich leichter.
Darauf jetzt erst mal ne Cola :)....