Bei der Kommerz-WM spielen die deutschen Ultras nicht mit
Was die "echten" Fans vom Mega-Ereignis fern hält
München - Am Abend wird der FC Bayern spielen, Champions League; es ist erst nachmittags, aber Simon Müller, 24, hat sich schon hergerichtet fürs Stadion. "Fußball", erklärt er, "ist für mich mehr als die 90 Minuten, Fußball ist für mich der ganze Tag". Müller ist Fan, ein besonderer, ein "echter Fan", wie er sagt. Müller ist ein Ultra.
Ultra - der Begriff setzt gleichermaßen Faszination und Schrecken frei. Im Block der Ultras herrscht das pralle bunte Stimmungsleben, doch Ultra steht auch für Konflikte und Polizeieinsätze. Die Öffentlichkeit tut sich schwer mit Einschätzungen und Differenzierungen. Sind Ultras rechts, sind Ultras gewalttätig?
Zur Verteidigung: Gewalt nicht ausgeschlossen
"Ultras sind im Grunde extreme Fans, in dem Sinne, dass sie ihr Team unterstützen - liga- und erfolgsunabhängig" - so definiert Simon Müller die Bewegung, die aus Italien kommt, "wo einige Ultra-Gruppierungen bis zu 30 000 Mitgliedern haben". Ultras gehe es auch darum, die Anfeuerung ihrer Mannschaft zu gestalten und zu organisieren, mit Blockfahnen, mit Choreographien.
Die politische Ausrichtung? "Fußball ist immer ein Spiegelbild der Gesellschaft", sagt Müller. Ja, in Italien gebe es rechtsgerichtete Gruppen, "aber dort können Sie an fast jedem Kiosk auch einen Mussolini-Kalender kaufen" - doch in Italien wurden auch die "Mondiali antirazzisti" ausgetragen, die antirassistischen Spiele der Ultras. Die deutsche Szene sei eher unpolitisch. Simon Müller vertritt den Münchner Club "Schickeria" (600 Mitglieder) - mit der Tendenz: "50 Prozent eher links, 50 Prozent kritische Mitte." Müller studiert an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität Politik, Soziologie und Volkswirtschaft, abends beim Fußball wird er seinen Afrika-Schal tragen, den ein Freund mitgebracht hat, der als Entwicklungshelfer auf dem schwarzen Kontinent gearbeitet hat.
Das klingt alles friedfertig, doch es gibt Bilder von Auseinandersetzungen, und Ultras sind drauf. Sind Ultras Hooligans? "Für Hooligans", sagt Simon Müller, "ist Gewalt Sinn und Ziel des Ganzen, für Ultras ist Gewalt ein Mittel, um sich zu verteidigen". Gegen Hooligans, gegen die Polizei.
Klar ist: Bei der Weltmeisterschaft wird man auf deutsche Ultras nicht treffen. Ultra-Gruppen werden zwar erwartet aus Italien und Südost-Europa, doch in der deutschen Szene herrscht Anti-WM-Stimmung. "Es fehlt der Bezug zur Nationalmannschaft - und was soll ich mit Leuten in der Kurve stehen, mit denen ich sonst Rivalität pflege?", sagt der Münchner Simon Müller. Außerdem wenden sich die Ultras gegen Kommerzialisierung und Repression - voriges Jahr während des Confederations Cups hat es darum eine große Fan-Demonstration gegeben.
Man glaubt, die bevorstehende WM habe die Lage für die Hardcore-Fans gravierend verschlechtert. DFB, Polizei, Behörden würden auf saubere Stadien hinarbeiten. Ein heißes Thema sind Stadionverbote und die Datei "Gewalttäter Sport". Bündnisse wie "Profans" und "BAFF" sowie einzelne Fan-Gruppen fordern eine Ombudsstelle, die sich dieser Problematiken annimmt, in der Fan-Projekte, Polizei, Vereine, Datenschützer vertreten sind.
Ultras beklagen die Willkürlichkeit von Stadionverboten. Wenn man Simon Müller von der Münchner "Schickeria" um ein Beispiel bittet, kann er das eigene Erleben anführen: "In Mönchengladbach wurden auf der Toilette Aufkleber der Schickeria angebracht - und ich hatte welche in der Tasche." Die Indizien genügten - Müller bekam ein bundesweit für Bundes- bis Regionalliga gültiges Stadionverbot. Der Klub, der Hausrecht hat, kann es aussprechen, die anderen Vereine müssen es übernehmen - ohne das Einverständnis zu dieser Regelung würden sie keine Lizenz erhalten. Müller, beim FC Bayern Inhaber einer der seltenen "Auswärts-Dauerkarten" (von denen gibt es nur 500 Stück), intervenierte nach Studium der Gesetzeslage und erreichte die Umwandlung in ein halbjähriges örtliches Stadionverbot. Nicht bewahrt hat ihn das aber vor einer Aufnahme in die Gewalttäter-Sport-Datei. Weil er darin verzeichnet ist, weiß er, "würde es gar keinen Sinn machen, dass ich mich um WM-Tickets bewerbe". Er würde sie nicht bekommen.
In Fan-Bündnissen wie "BAFF" oder "ProFans" werden die Kriterien für die Aufnahme in die "GS-Datei" kritisiert. Nicht nur tatsächliche Gewalttäter werden gespeichert, sondern oft auch friedliche Fans. "Pro-Fans" hat solche Situationen aufgelistet: "Wenn man aufgrund seiner Fankleidung ins Stadion eskortiert wird. Wenn beispielsweise ein Zug voller Fans kontrolliert wird. Wenn man am Stadion zufällig in der Nähe einer polizeibekannten Person steht". Gerechtfertigt wird die Personalienaufnahme durch die Polizei durch die Formulierung: ". . . wenn bestimmte Tatsachen die Annahmen rechtfertigen, dass sich diese Personen zukünftig im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen an Straftaten von erheblicher Bedeutung beteiligen werden."
10 000 Personen sollen in der "Gewalttäter Sport"-Datei gespeichert sein. Doch gibt es so viele potenzielle Fußball-Gewalttäter in Deutschland? Die Ultras verweisen auf die seit Jahren rückgängigen Fälle von Gewalt in den Stadien. "In den 80er-, 90er-Jahren", argumentiert Müller, "wurde ein Sicherheitsapparat aufgebaut - jetzt braucht er seine Existenzberechtigung."
Vor der Choreografie steht die Bürokratie
Ultra-Gruppen führen ein Leben im Zwiespalt. Aufgrund ihrer Treue zu den Vereinen sind sie privilegierte Fans - doch zugleich die größten Kritiker der Klubs. Sie sind gegen die Event-Kultur in den Stadien - und tragen doch dazu bei, "indem wir uns zum Affen fürs Publikum machen", wie Müller sagt. Der Aufwand ist immens. Neulich hat die "Schickeria" in der Allianz Arena eine Blockfahne aufgezogen, 75 mal 25 Meter, der vierstellige Betrag für die Anschaffung wurde durch T-Shirt-Verkäufe erlöst. Der Sekunden-Demonstration ging wochenlange Bürokratie voraus - bei Feuerwehr (Müller: "Es musste ein Spezialstoff sein, nicht brennbar"), Polizei, Kreisverwaltungsreferat, beim Verein, der Stadion GmbH. Vierzig, fünfzig Leute mussten die zusammengerollte Blockfahne tragen, und es musste ein Raum im Stadion beantragt werden zur Aufbewahrung des Teils.
Zum Ultra-Spektakel würden auch bunter Rauch und bengalische Fackeln gehören - man kennt die Bilder aus Italien. "Wir würden es wegen des optischen Effekts gerne machen", so Simon Müller, "aber wir verzichten darauf - nicht, weil uns die Argumente überzeugen, sondern wegen der Strafe, der Repression." Und er fügt noch an: "Sieht man es im Fernsehen aus südlichen Ländern, sagt man: Toll. Bei uns aber ist es ein Verbrechen." Dabei sind Bengalen-Fackeln legal zu kaufen - sie sind Seenotsignale.
Feuriges Spektakel wird es bei der WM also nicht zu sehen geben. Die Initiative "Pro-Fans" gibt für die WM die Prognose ab, dass die Ausgrenzung der echten Fans dazu führen werde, "dass das Ziel einer weltoffenen, freundschaftlich-sportlichen, friedlichen und festlichen Atmosphäre kaum erreichbar" sein wird.
GÜNTER KLEIN
Quelle: Merkur Online 2.3.2006