Ok, entgegen meiner Ankündigung noch einmal eine lange Antwort. Um es klar zu stellen: Meine Haltung in diesem Konflikt ist neutral, meine Sympathien gelten all denjenigen, die eine friedliche und faire Lösung für eine Koexistenz von Israelis und Palästinensern ehrlich anstreben.
1. Ja, aber das Auflisten wollte ich genau vermeiden, weil es zu nichts führt. Man könnte auch sagen, dass die Araber seit 1948 mehr Opfer zu beklagen hatten. Das führt aber ebenso zu nichts: Jedes Opfer ist eines zuviel, egal ob Israeli oder Palästinenser. Auf beiden Seiten sterben regelmäßig Kinder. Wie soll man das ernsthaft gegeneinander aufrechnen? Es ist müßig, nach dem zu suchen, der angefangen hat, weil es den Konflikt nicht löst.
2. Ich habe bewusst Beispiele für von Arabern wie Israelis begangenes Unrecht genannt. Du hast aber in Deiner Antwort, die ich sehr wohl auf mich bezogen verstanden habe, mit keinem Satz durchblicken lassen, dass ich mich um eine ausgewogene Darstellung des von beiden Seiten begangenen Unrechts bemüht habe. Das ist bei mir ein Grundprinzip, mit dem ich z.B. auch bei kroatischen Bekannten regelmäßig anecke. Natürlich haben serbische Milizen den Balkankrieg begonnen. Das heißt aber nicht, dass Kroaten nicht auch großes Unrecht begangen hätten. Ähnlich sehe ich es in Palästina. Im Übrigen hat auch 1948 eine Vorgeschichte gehabt; es ist schließlich Fakt, dass das Gebiet über viele Jahrhunderte vor allem von Arabern besiedelt war. Dass die sich nicht über die Gründung Israels gefreut haben, ist wohl auch klar. Dass sie deshalb einen Krieg begonnen haben, bleibt trotzdem Unrecht. (Ist vereinfacht dargestellt, ich weiß, aber ich wollte nicht die ganze Geschichte vor 1948 aufrollen, von wegen britisches Mandat, Osmanisches Reich, usw. usf.)
3. Israel versteht sich als Rechtsstaat und Demokratie westlicher Prägung, soweit ich weiß. Insofern wäre es die PFLICHT dieses Landes, ordentliche und faire Verfahren zu garantieren, auch wenn es angesichts der Situation schwer fällt. Im Übrigen gebe ich das Kompliment mit der Naivität gerne zurück: Kurzfristig mag es naiv erscheinen, wenn man nicht die Sprache des Stärkeren spricht und nicht zu sehr drastischen Maßnahmen greift. (Was nicht heißt, dass Israel kein Recht hätte, Täter und Hintermänner dingfest zu machen -- Tötung ohne Verfahren bleibt aber nach israelischen wie internationalen Rechtsgrundsätzen sehr bedenklich und macht Israel moralisch sehr angreifbar.) Langfristig aber verspricht eine den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit verpflichtete Variante mehr Erfolg, schon allein, weil man nur so Vertrauen aufbauen und Hasspredigern das Wasser abgraben kann. Sowas braucht aber ZEIT: drei bis vier Generationen. Siehe im Übrigen das Beispiel Frankreich/Deutschland, nach 1918 und nach 1945. Ich kann Dir keine Antwort geben, welche Alternativen es für Palästina geben könnte, halte den jetzigen Weg aber dennoch für falsch, zumal er regelmäßig Märtyrer schafft und damit kontraproduktiv ist.
4. Wieso starkes Stück? Erwiesenermaßen stehen viele Selbstmordattentäter unter Drogen, wenn sie sich in Linienbussen in die Luft sprengen. Auf jeden Fall sind sie entsprechend indoktriniert und fanatisiert worden. Die Art israelischer Angriffe macht es den Hasspredigern dabei leider sehr einfach. Ist ist auch völlig egal, ob sie es unter Drogen tun oder nicht: Dieses als Taktik anzuwenden, ist trotzdem Unrecht, fertig aus. Dafür gibt es keine Entschuldigungen und auch keine Rechtfertigung. Unrecht kann man nicht mit Unrecht vergelten. Das laste ich der arabischen Seite auch entsprechend an.
5. Von wem gingen so gut wie alle Aggressionen aus? Sicher, den ersten, dritten und vierten arabisch-israelischen Krieg haben die arabischen Staaten begonnen. Und Kompromisse? Sind Ägypten und Jordanien etwa nicht in der Lage gewesen, Kompromisse einzugehen? Selbst die PLO hat mittlerweile das Existenzrecht Israels anerkannt (wenn auch zähneknirschend und unter internationalem Druck). Und was ist mit israelischen Schikanen gegen Palästinenser in deren Alltagsleben? Das mag keine großen Schlagzeilen produzieren, ist aber in gewisser Weise ebenfalls eine Aggression. Ebenso wie die Tatsache, dass viele Diplomaten der Ansicht sind, dass Israel angesichts seiner militärischen Überlegenheit nicht in Augenhöhe verhandelt. Auch das ist eine Form der Aggression, so nachvollziehbar es auch sein mag.
Ich jedenfalls als beinahe fertiger Historiker denke in Zeiträumen von 50, 100 und mehr Jahren. Mit der derzeitigen Politik beider Seiten könnte der Konflikt mit seinen vielen Opfern entweder in den kommenden Jahrzehnten so weiter gehen, oder man ändert etwas mit Blick darauf, dass in hundert Jahren möglicherweise Frieden herrschen könnte. Einen anderen Weg sehe ich jedenfalls nicht, und kurzfristige Lösungen wird es nicht geben können. Mit der derzeitigen Politik allerdings sind aber auch langfristige Lösungen ausgeschlossen. Insofern wäre es einen Versuch wert, scheinbar naive Lösungen zu versuchen.