War neulich kurz in Zwolle. Lebendige Innenstadt, viele kleine Geschäfte in den Erdgeschossen kleiner Häuser, kaum Filialen. Da war alles Mögliche. Bäckerei, Gemüseladen, Kiosk, Haustierbedarf, Perücken, Imbißstuben, vier Zweiradläden für Fahrräder oder Mopeds und weiteres, was ich wieder vergessen habe. Alles fußläufig in zwei kleinen Straßen erreichbar. Es war nicht überlaufen, aber belebt. Viele Radfahrer, mehrere Fußgänger, wenig Autofahrer. War keine Fußgängerzone. (Auf den Hauptstraßen gab es den üblichen Autoverkehr mit Ampelstau, aber abseits der Hauptstraßen nicht.)
War auch neulich in Enschede. Fußgängerzone. Ähnliches Bild. Ja, ich hab einen H&M gesehen und noch einen Konsumklotz von Primark oder so, aber viel mehr kleine Geschäfte und ein reges Treiben. Eine Innenstadt zum Wohlfühlen. Übrigens mit einem überregional beliebten Wochenmarkt samstags. Wochenmärkte sind andernorts ja auch eher ein Relikt vergangener Zeiten. Mit allem, was einen Wochenmarkt so schön macht: Obst, Gemüse, Brotwaren, Wurst, Käse, Fisch, Imbiß, Klamotten und Tinnef.
Vielleicht sollte man den Fokus mehr auf Stadt- und Verkehrsplanung legen. Eine Innenstadt braucht eine Mischung aus Konsum, Wohnen, Kultur/Erholung, Plätzen und Verwaltung. Als Mittelpunkt eines Ortes wird die Innenstadt immer eine Attraktivität haben. Wenn man auf überdimensionierte Phallusbauten, Konsumzwang und Autoverkehr verzichtet, ist das schon die halbe Miete.
Man weiß heute alles, was es für eine erfolgreiche Stadt braucht. Ist alles hinreichend erforscht und studiert. Man weiß, wie groß oder klein ein öffentlicher Platz idealerweise ist. Ein Platz zum Verweilen, für den Wochenmarkt, für eine Kundgebung, für ein Konzert. Ohne daß man sich von der Dimension eingeschüchtert oder verloren fühlt. Man weiß, wie Häuser und Straßen idealerweise dimensioniert sein sollten. Man weiß um die Mischnutzung. Man weiß um die Wichtigkeit von Begrünung und Solardächern. Man weiß um den third place (der erste Ort zum Wohnen, der zweite zum Arbeiten, der dritte für die Freizeit/Geselligkeit). Man weiß, daß um 1950 herum alle Stadtplaner zu technikbegeistert gewesen sind. Na und, 1950 ist vorbei. Man weiß, wie Ghettos und gated communities entstehen. Es braucht keiner so zu tun, als müsse man darauf warten bis das Rad erfunden wird. Menschen bauen seit 7.000 Jahren Städte. Es ist bereits alles ausprobiert worden. Mit allen Erfolgen und Mißerfolgen. Zur Kenntnis nehmen und Schlüsse ziehen wäre angesagt. Nicht im Fanmag, wir schnacken hier nur 'n bißchen, sondern in den Entscheidungsgremien.
Im übrigen teile ich überhaupt nicht die These, der Konsument steuere mit seinem Verhalten maßgeblich die Geschicke. Der Konsument kann nur nachfragen, was angeboten wird. Der Konsument wurde vor 60 Jahren nicht gefragt, ob er fürs Kükenschreddern wäre. Ob er für Massentierhaltung wäre. Ob er für Plastikmüllberge wäre. Ob er für hochverarbeitete Lebensmittel wäre. Ob er für Nähkäfige in Südostasien wäre. Ob er für Kinderarbeit auf Kakaoplantagen wäre. Ob er für Monokultur im Regenwaldgebiet wäre. Ob er dafür wäre, daß eine Jeanshose 50.000 km gereist sein muß, um zwischendurch eine Umweltsauerei anzurichten, die nur noch in zwei Ländern der Welt erlaubt ist, und zum Schluß den Knopf in Bulgarien angenäht bekommt fürs Made in EU-Siegel. Überhaupt der Siegelwahnsinn. Alles kriegt ein eigenes Gütesiegel, gesetzlich, freiwillig und kommerziell. Wer will sich denn da reinfuchsen?
Als wenn der Konsument hauptberuflich ein highly involved customer in allen Branchen wäre, ein bestens recherchierter Experte. Nein, ist er nicht. Er ist mit niedrigen Preisen vom Tante-Emma-Laden in diese damals neuartigen Supermärkte gelockt worden. 99 Pfennig werden immer attraktiver sein als 2 Mark. Fernsehwerbung und eine bunte Verpackung dazu, schon werden die Kunden erzogen. Nur Dussels gehen noch zu Eisen Karl, Fiffis hingegen gehen zur großen Kette. Da arbeiten zwar meist nur Angelernte, aber es ist billiger! Nur Dussels kochen noch selbst, Fiffis hingegen nehmen rotes Pulver aus der gelben Tüte für die Nudelsauce.
Die Marktwirtschaft mit Gewinnorientierung und Monopolisierungstendenzen braucht immer gewisse Schranken.