Der älteste Feldspieler der Fußball-Bundesliga
„Das Schwierigste war, meine Frau zu überzeugen“
„Man lebt und ernährt sich einfach bewusster”
31. Januar 2008 Michael Tarnat spielte beim MSV Duisburg, Karlsruher SC, bei Bayern München, Manchester City und steht seit 2004 in den Reihen von Hannover 96. Mit 38 Jahren ist er der älteste Feldspieler der Fußball-Bundesliga. Im Dezember verlängerte er seinen Vertrag in Hannover um eine weitere Saison. Es wird das 19. Profijahr seiner Karriere. Der Fußball-Senior im Interview.
Die Vorbereitungsphase gilt als schlimmste Zeit des Jahres für einen Fußballprofi. Dreimal am Tag wird trainiert, morgens um sieben Uhr das erste Mal gelaufen. Haben Sie schon mal bereut, dass Sie sich zur Fortsetzung Ihrer Karriere entschieden haben?
Gott sei Dank hatten wir dieses Jahr humane Zeiten im Trainingslager auf Teneriffa. Wir durften bis halb neun schlafen. Aber selbst wenn man morgens um sieben durch die Dünen läuft, weiß man ja, wozu das gut ist. Noch macht mir das nichts aus. Noch kann ich mit den jungen Hüpfern gut mithalten.
Sie sind mit Bayern München deutscher Meister geworden, haben die Champions League gewonnen und im Ausland gespielt. Man könnte meinen, Sie haben als Fußballer alles erreicht. Was treibt Sie noch an mit 38 Jahren?
Das lässt sich einfach sagen: der Spaß am Fußball. Das ist meine Motivation, jeden Tag zum Training zu fahren und mich jeden Samstag mit anderen zu messen. Außerdem habe ich einen fußballverrückten Sohn. Der ist stolz darauf, seinen Papa jede Woche auf dem Rasen zu sehen. Er sagt mir immer: „Oooh, du spielst gegen Ribéry, Klose, Diego oder van der Vaart.“ Auch das ist für mich ein Ansporn, weiterzumachen.
Dabei war in den Tagen rund um Ihre Vertragsverlängerung zu lesen, dass Sie Ihre Familie erst mühsam von diesem Schritt überzeugen mussten.
Das Schwierigste war, meine Frau zu überzeugen. Für uns war immer klar, dass wir nach dem Ende meiner Laufbahn nach München zurückgehen. Und in Bayern ist das Schulsystem ein bisschen härter als woanders. Mein Sohn ist jetzt in dem Alter, in dem er auf eine weiterführende Schule kommt, da hatten wir die Befürchtung, dass er Probleme kriegt, wenn er die fünfte Klasse hier besucht und ein Jahr später nach München wechselt. Deshalb war meine Frau dafür, schon in diesem Jahr zurückzugehen. Aber der Kleine hat uns gesagt: „Kein Problem, ich schaffe das.“ So kamen wir zum Entschluss, dass ich noch ein Jahr weiterspiele.
Noch ein Jahr weiterspielen - das haben Sie schon häufiger gesagt.
Stimmt. Eigentlich wollte ich schon vor drei Jahren meine letzte Saison spielen. Aber ich merke bis heute, dass ich Spaß habe und mithalten kann.
Leben oder trainieren Sie mit 38 Jahren heute anders als früher?
Sicherlich. Ich merke ja nach jedem Bundesligaspiel, dass ich ein, zwei Tage länger brauche als früher, um mich zu regenerieren. Als jüngerer Spieler spürt man ein Wehwehchen und denkt sich, das verschwindet nach ein, zwei Tagen schon wieder. Als älterer Spieler horcht man deutlich mehr hinein in seinen Körper. Ich achte darauf, mich regelmäßig pflegen zu lassen, zur Massage und in die Sauna zu gehen und viel zu schlafen. Man lebt und ernährt sich einfach bewusster. Ich glaube nicht, dass sich viele junge Spieler darüber Gedanken machen, dass sie eine Verantwortung für ihren Körper haben.
Ist dieses Bewusstsein bei Ihnen auch erst mit der Zeit gekommen, oder war Ihnen das schon als Jungprofi klar?
Mir war das schon relativ früh klar. Ich erinnere mich immer an die Zeit zurück, in der ich 20 war. Mittwochs oder donnerstags wurden die ersten Kumpels von mir unruhig und sagten: „Los, lass uns in die Stadt gehen und ein bisschen feiern.“ Ich habe ihnen aber immer abgesagt, weil man es im Training noch zwei Tage später spürt, wenn man mal zu lange weg war. Bei mir hat es in dieser Hinsicht sehr früh „klick“ gemacht. Ich habe mir gesagt, ich will das Bestmögliche in meinem Beruf erreichen. So ehrgeizig war ich früher schon, und so bin ich es heute noch.
Ist das also die Erfahrung, die Sie nach 17 Profijahren weitergeben können: Wenn man in der Bundesliga Karriere machen möchte, kommt es eher auf Selbstdisziplin an als auf Talent?
Das denke ich schon. Man muss einfach wissen, dass man auf vieles zu verzichten hat, wenn man diesen Weg einschlägt. Das durchzuhalten ist enorm wichtig, das gebe ich jungen Spielern immer wieder mit auf den Weg.
Sie haben die Chance auf diesen Beruf erst sehr spät bekommen, ohne jemals in der Jugendmannschaft eines großen Klubs gespielt zu haben. Stimmt es, dass Sie Ihre Karriere schon abgehakt hatten, bevor sie überhaupt begann?
Das kann man so sagen. Mein Traum war zwar immer, Fußballprofi zu werden, aber als ich 18 oder 19 war, dachte ich eigentlich, du schaffst es nicht mehr. Mit 12 oder 13 hatte ich mal ein Angebot, bei Fortuna Düsseldorf in der Jugend zu spielen, aber danach kam nichts mehr. Also wollte ich nicht ewig auf eine Chance warten und habe eine Lehre als Elektroinstallateur begonnen. Parallel spielte ich weiter beim SV Hilden-Nord, und mein Glück war, dass ein Duisburger Journalist dem damaligen MSV-Trainer Willibert Kremer den Tipp gab zu dem Talent, das er sich mal anschauen sollte. An dem Tag, an dem er dann zuguckte, habe ich auch noch gut gespielt. Danach fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, nach Duisburg zu kommen. Meine Lehre habe ich später abgebrochen.
Eine andere Geschichte über Sie besagt, dass Sie seitdem die Trikots Ihrer Gegenspieler sammeln.
Ich habe mit dem Sammeln richtig angefangen, als mein Sohn begriffen hatte, dass ich Fußballprofi bin. Früher habe ich nur nach Champions-League-Spielen gegen Madrid oder Barcelona zugesehen, ein Trikot zu bekommen. Heute fragt mich mein Sohn vor jedem Spiel, ob ich ihm das Trikot von dem oder dem besorgen kann. So sind mit der Zeit rund 250 Stück zusammengekommen.
Welche davon würden Sie nicht mehr hergeben?
Die wertvollsten hat mein Sohn, das sind die von Nedved, Ronaldinho, Beckham oder Seaman. Ein großes Andenken für mich persönlich ist ein Trikot der brasilianischen Nationalmannschaft, das ich mir 1998 nach einem Länderspiel von Cafu besorgt habe. Gegen die hatten wir vor der WM gespielt.
Mit wem würden Sie gern noch das Trikot tauschen?
Mein Sohn möchte gern das von Ribéry haben. Darum muss ich kämpfen, wenn wir im Februar gegen die Bayern spielen.
Wohin führt Sie Ihr Weg nach dem Ende der Karriere?
Ich glaube schon, dass ich mich im Fußball auskenne und dem Fußball treu bleibe. Wir werden auf jeden Fall nach München zurückgehen, und mein Wunschgedanke ist, beim FC Bayern als Scout im Jugendbereich zu arbeiten. Trainer zu werden kam nie in Frage für mich, dem Druck möchte ich mich nicht aussetzen. Da sichte ich lieber Talente für den Verein. Uli Hoeneß hat mir gesagt: „Spiel, solange es geht, und wenn du zurück bist, freuen wir uns, dass du da bist, und werden etwas finden.“
Das Gespräch führte Sebastian Stiekel.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 27.01.2008, Nr. 4 / Seite 17
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Michael Tarnat spielte beim MSV Duisburg, Karlsruher SC, bei Bayern München, Manchester City und steht seit 2004 in den Reihen von Hannover 96. Mit den Bayern wurde er viermal deutscher Meister, dreimal Pokalsieger und gewann 2001 die Champions League. Sein Markenzeichen: ein außergewöhnlich fester Schuss. Der gebürtige Hildener bestritt 19 Länderspiele und nahm 1998 an der WM in Frankreich teil.