Bergsteigen/Hochtouren etc.

  • Fortsetzung folgt[/quote]


    So, hier nun der Rest meiner Eindrücke.....


    Als wir die knapp 1.700 HM vom Camp Berlin zum Plaza de Mulas abgestiegen waren (da war es Samstag) und beim Abendbrot saßen kam die Nachricht, dass spätestens am kommenden Dienstag das Wetter umschlägt und einen Aufstieg für mehrere Tage unmöglich machen würde. Da wir feste Rückflüge und Hotels in Santiago gebucht hatten saßen wir vor der Frage, was nun zu tun sei. Entweder sofortiger Wiederaufstieg mit Gipfelsturm am Montag, oder abwarten und das Risiko eingehen, gar nicht mehr hoch zu kommen.


    Ihr könnt Euch die Diskussionen im Camp vorstellen, in den anderen Zelten bei den anderen Teams sah es nicht besser aus. Die Lage im gesamten Camp war extrem angespannt.


    Wir haben uns dann entschieden, am kommenden Tag direkt wieder zum Camp Berlin aufzusteigen, wohlwissend dass das soviel Körner zieht, und es eigentlich einen weiteren Ruhetag dringend erforderlich machen würde. Am Sonntag also um 07.30 gefrühstückt, und um 08.30 aufgebrochen.


    In der Nacht hatte es geschneit, sodass der Aufstieg zusätzlich erschwert wurde. Wir haben für die 1.700 HM den ganzen Tag gebraucht und sind erst sehr spät im Camp Berlin eingetroffen. Dort oben lag dann ca. ein halber Meter Schnee.


    Unter normalen Umständen startet man um 02.00 Uhr, spätestens um 03.00 Uhr zum Gipfel. Der Point of return ist unter Idealbedingungen am frühen Nachmittag, sodass man ca. 9 Stunden Zeit für den Aufstieg hat. Der Berg hat eine weitere Besonderheit, das ist die sog. Canaletta unterhalb des Gipfels. Die Canaletta ist praktisch wie ein Schornstein, der zwischen 2 Felsen fast senkrecht den Berg hochgeht und die letzten 300 Höhemmeter markiert. Für diese letzte Passage sollte man 3 volle Stunden einplanen.


    Aufgrund der Erschöpfung des Teams haben wir entschieden (klassische Pest/Cholera Situation), dass wir erst um 05.00 Uhr starten wollten. Die Nacht war relativ ruhig, es hat kaum geschneit. An Schlaf ist in dieser Höhe nicht mehr zu denken, auch regeneriert der Organismus kaum noch.


    Aufgrund von diversen individuellen Fehlern konnten wir erst um 05.45 Uhr starten, da war mir zumindest bereits klar, dass es fast unmöglich werden wird den Gipfel zu erreichen. Nach ca. 150 Höhenmetern schlug mein persönliches risk/reward Pendel massiv ins negative aus und ich entschied mich, zunächst noch einmal abzusteigen und es eine Stunde später noch einmal auf eigene Faust (eigener Rhythmus, eigenes Tempo....) zu versuchen.


    Ich habe mich dann in mein Zelt gelegt, und bin dann zu meiner eigenen Überraschung eingeschlafen und erst nach 1 1/2 Stunden wieder aufgewacht. :sauer:


    Ich habe mich dann wieder heraus gequält, inzwischen war es hell und die Sonne schien. Mein Aufstieg ging zügig voran, ich habe in drei Stunden die 6.500 Meter Marke erreicht. Sehr zu meiner Überraschung kamen mir dort bereits die ersten Teammitglieder entgegen, die an der Canaletta aufgeben mussten. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt ganz deutlich, dass ich den Gipfel auch nicht mehr erreichen kann. Ich ging dennoch weiter, allerdings sah ich nicht mehr auf den Höhehmmesser. Es kamen immer mehr Teammates herunter.


    Bei geschätzten 6.600 +- HM hörte ich plötzlich ein Grollen, das den Berg heraufzog. In dieser Sekunde war nach oben geblickt noch blauer Himmel, der Gipfel quasi in Griffweite. Ich drehte mich um und sah eine dunkle Wolkenfront den Berg hinaufrollen, ein Anblick wie ich ihn in den Alpen noch nie gesehen habe. Ich wendete mich dann wieder dem Gipfel zu, und binnen 15 Sekunden rollten nun auch von oben die Wolken herunter.


    In dieser Sekunde hatte ich zwei Gedanken; was ist mit meinen Buddys, die noch oben waren, und was soll ich nun tun? Ich setzte mich in den Schnee und überlegte. Eine Minute, zwei Minuten, 5 Minuten. Ich erinnerte mich an das Versprechen, dass ich zuhause abgeben musste, nämlich kein unnötiges Risiko einzugehen. Den Gipfel konnte ich mir eh abschminken, und die Schmach saß tief.


    Ich entschied mich umzudrehen, was die klar beste Idee war, die ich an diesem Tag hatte. Ob ich nun bei 6.600 scheitere, oder bei 6.800, das macht keinen Unterschied. Es fing innerhalb weniger Minuten heftig an zu schneien, und ich habe es der Skibrille meines Nachbarn zu verdanken, dass ich überhaupt noch etwas sehen konnte. Mit einer normalen Sonnenbrille wäre ich verloren gewesen....


    Ich habe dann recht zügig Camp Berlin erreicht, wo ein Teil der bereits zurückgekehrten Buddys wartete und mich stürmisch begrüßte. Ich zählte kurz durch, aber es fehlten 2 Jungs.......was nun? Noch einmal hochgehen oder hoffen, dass die anderen sie auf ihrem Rückweg einsammeln? Wir hatten die Vermutung, dass sie falsch abgebogen und im Camp Colera gelandet sind, was sich später über Funk auch bestätigte.


    Die letzten 4 kamen gegen 18.00 Uhr ins Camp zurück, die Höllenhunde waren wirklich oben auf dem Gipfel. Der Preis war allerdings, dass sie a.) komplett im Arsch waren, b.) das Team zu einer weiteren Nacht auf 6.000 Metern verurteilt hatten und c.) auf dem Gipfel keine Freude hatten, da Null Sicht herrschte.


    In dieser Sekunde befanden wir uns in akuter Gefahr, denn wir hatten kaum noch Nahrung, die Gaskartuschen waren fast aufgebraucht und keiner wusste, wie die kommende Nacht werden würde. Niemand machte auch nur ein Auge zu, wir lauschten jedem Geräusch, jedem Windstoß. Zum Glück beruhigte sich das Wetter, der Sturm ließ nach und es hörte auf zu schneien.


    Ich war dann in der Nacht mehrmal draußen. Der Sternenhimmel in dieser Höhe ist unvergleichlich. Bei Sonnenaufgang bauten wir das Camp ab und machten uns auf den Abstieg bereit. Das war noch einmal eine wahrlich ambitionierte Veranstaltung, da keinerlei Pfade mehr erkennbar waren. So mussten wir unseren eigenen Wege spuren, und das mit all dem Gepäck auf dem Rücken, bei locker einem halben Meter Schnee. Der Abstieg war um ein Vielfaches schwieriger als der Aufstieg.


    Die Gruppe zog sich immer weiter auseinander. Da es mir und 3 anderen relativ gut ging haben wir uns an das Ende gesetzt um sicherzustellen, dass alle herunter kommen. Auf ca. 5.000 Höhenmeter sammelten wir einen Kollegen ein, der kurz vor einem Kollaps stand und bereits leicht halluzinierte. Wir haben ihm zwei Power-Gels eingetrichtert, dann ging es langsam weiter. Die letzten 400 Höhenmeter mussten wir ihn fast tragen, ich habe seinen Rucksack genommen, die anderen haben ihn eingehakt. So sind wir 2 Stunden später als die anderen im Plaza de Mulas eingetroffen.


    Im Zelt hatten wir dann heftige Diskussionen.


    Am nächsten Tag haben wir dann bei gutem Wetter unsere Sachen gepackt und uns ausgeruht. Am Nachmittag schneite es wieder, zum Abend klarte es aber zum Glück wieder auf.


    Am Donnerstag sind wir dann die 35 Kilometer bis zum Parkausgang in einem Stück abgestiegen, das war noch mal harte Arbeit.


    Wir kehrten dann nach Los Penitentes zurück, hatten dort einen feuchtfröhlichen Abend und fuhren am nächsten Tag mit dem Bus über einen Andenpass nach Santiago de Chile. Der Grenzübertritt hat mich an die frühere innerdeutsche Grenze erinnert, man wird dort komplett zerlegt. Die ganze Prozedur dauerte 2.5 Stunden.


    Mit jedem Höhenmeter, den es nun bergab ging stiegen die Temperaturen, in Santiago hatten wir dann nette 25 Grad. Das Hotel war mitten in der City, an der Plaza de Armas, einem großen Platz mit der zentralen Kathedrale von Santiago. Da der Papst im Land war wurde dort bereits alles abgesperrt.


    Wir haben dann noch ein paar erholsame Tage verbracht, ich bin vorab am Sonntag zurückgeflogen.


    Anekdote am Rande; in Südamerika hat alles (Transfers, Flüge, Hotels etc.) wie am Schnürchen geklappt. In Deutschland angekommen folgende Situation: Der gebuchte ICE fiel aus, der Ersatz IC hatte eine knappe Stunde Verspätung, alle Reservierungen waren gecancelt. GEiLOMAT!!!


    Zum Glück bin ich am Flughafen eingestiegen, am Frankfurter Hbf war dann Schluss mit lustig.... :kichern:


    Später schreibe ich noch ein bisschen zu meinem ganz persönlichen Fazit der ganzen Reise.....

  • Locke, größten Respekt! Ich musste die ganze Zeit an den Film "Everest" denken.


    Respekt für die körperliche Leistung. Aber noch viel mehr Respekt dafür, dass du im entscheidenen Moment an deinem Versprechen fest gehalten und die Vernunft hast walten lassen..


    Ich denke, darin liegt auch eine Größe.

  • Ich weiß schon, warum ich soviel Respekt vor diesen großen Steinen habe, die sich Berge nennen. Und warum ich da dennoch so gerne bin. Und auch von mir Respekt fürs Umdrehen. Gerade die Bergtouristen, die viel Geld bezahlen, um einmal auf so einen Berg zu steigen, klammern sich sicherlich viel zu oft zu sehr an diese eine Chance und gehen dabei oft zuviel Risiko. Umso bemerkenswerter, wenn man das nicht tut.

  • Eine durch und durch tolle Schilderung - da will ich auch ausnahmsweise mal keinen blöden Spruch machen, sondern sage nur: Großartig, locke!

  • Fetten Respekt und Annerkennung für Locke. Vor allem das du die richtige Entscheidung getroffen hast und umgekehrt bist. Hammer


  • Im Zelt hatten wir dann heftige Diskussionen.


    Kannst du hierzu mehr Details liefern? :lookaround:


    Ich stelle mir das sehr temperamentvoll und emotional vor, weil es da auch um Menschleben geht.

  • locke, wirklich sehr sehr beeindruckend. Großartig, dass du nicht dem Sportlerdrang nachgegeben hast, doch noch unbedingt auf den Gipfel zu müssen. Auf dem Gipfel waren schon viele - zu Erkennen, wann es nicht sinnvoll ist und das Versprechen gegenüber der Familie hochzuhalten, ist die wahre Größe.


  • Im Zelt hatten wir dann heftige Diskussionen.


    Kannst du hierzu mehr Details liefern? :lookaround:


    Ich stelle mir das sehr temperamentvoll und emotional vor, weil es da auch um Menschleben geht.



    Solche Dinge bleiben am Berg........aber Du bist schon auf der richtigen Spur. Es war laut und emotional.

  • Stelle mir das in etwa vor wie eine JHV bei 96. Irgendwann, wenn eigentlich alle die Schnauze voll haben, fängt dann auch noch einer an Happy Birthday zu singen...

  • Krasser Typ! Respekt Locke, sowohl vor dem Versuch, als auch vor der Größe umzukehren. Gerade als Extremsport-"Spinner" muss das extrem schwer sein.
    Wie kommt man denn an so eine Expedition ran? Wird dafür auf DAV-Hütten getindert, kanntest du einen der anderen Expeditionsteilnehmer vorher? Vielleicht hast du ja bei Gelegenheit Lust deine Vorbereitung etwas ausführen?! Gehört deine Alpenrennerei letzten Sommer schon dazu oder hat dich die erst angefixt?