Politischer Zoff-Thread oder so

  • In Sachen Autoindustrie liegt das Ganze aber vielleicht etwas differenzierter. Man schaue sich nur mal auf unseren Straßen um, da gibt es kaum alte Autos. Und wenn man mal überlegt wie viele Autohäuser so in den letzten Jahren Konkurs gegangen sind, war eigentlich klar dass diese Industrie in naher Zukunft schön durchgeschüttelt wird. Natürlich mit fatalen Folgen für die Gesamtwirtschaft, aber eben recht unabhängig von einer globalen Finanzkrise.

  • Zitat

    Original von Stephan635
    Die öffentlichen Aussaugen Steibrücks zur britischen Finanzpolitik sind mehr als unangebracht!




    Aber inhaltlich richtig!
    Nur weil die meisten anderen etwas anders sehen wird es nicht richtiger. Mitm der Masse mitgehen könne Lemminge auch ganz gut.


    Gerade dieses Mitgehen mit dem Mainstream hat doch aber in den letzten Jahren einige Probleme gebracht, wie sich jetzt nach und nach raus stellt.


    Ob eine USt.-Senkung was bringt, darüber kann man streiten. Einfach nichts für die Konjunktur tun ist lächerlich. Diese Meinung wurde übrigens von vielen schon immer vertreten. Das jetzt auch "der Mainstream" seine Meinung ändert und Konjunkturprogramme fordert ist eigentlich erfreulich.


    Steinbrück ist ein arroganter Zyniker, der viel zu einzelwirtschaftlich denkt.

    • Offizieller Beitrag

    Ach bitte!
    Für mich klingt das ein bißchen nach: mit den Wölfen heulen.


    Konjunkturprogramm ist ein schönes Wort, aber wie soll das denn sinnvoll aussehen? Die Frage nach dem Sinn einer Senkung der Umsatzsteuer finde ich nicht weit hergeholt.
    "Nichts machen ist lächerlich", sagts Du. Sicherlich, das kann man so sagen. Aber "irgendwas" machen ist blinder Aktionismus.
    Wie sollte denn ein sinnvolles Konjunkturprogramm aussehen? So, wie es die BILD fordert: "Senkt endlich die Steuern"?

  • Man sollte den Binnenmarkt stärken und die Ausgaben des Staates erhöhen. Dafür muss man natürlich an einigen Stellen Steuern erhöhen, um die Verschuldung in Grenzen zu halten. Z. B. dort, wo in den letzten Jahren immense Vermögen angehäuft wurden. Woanders ist nichts zu holen.


    Es geht auch gar nicht nur um die aktuelle Lage. Sondern eher um einen Ideologiewechsel. Da scheint man derzeit in anderen Ländern schneller wandlungsfähig. Deutschland ist "ruhige Hand", "das haben wir schon immer so gemacht" etc. Man denkt eben NICHT langfristig, wenn man nicht antizyklisch handelt, sondern verstärkt die Krise.


    Im Grunde genommen muss Europa gemeinsam handeln. Zusammen mit der EZB. Es scheint ja auch langsam zu werden. Deutschland wird dann zu Spitzengesprächen nicht mehr eingeladen.

  • Man kann in Europa nicht gemeinsam handeln, man müsste sich ja sonst dem Irrsin der Franzosen anschließen.


    Schneppes Aussage ist mal sehr interessant.
    Wirklich stabile Unternehmen würden durch die Finanzkrise nicht bis zur Insolvenz wanken.


    Von daher muss man einfach feststellen, dass Opel kein gesundes Unternehmen ist und die Automobilbranche über ihren Verhältnisssen gearbeitet hattet.


    Den volkswirtschaftlichen Schaden bei einer Insolvenz von Opel, schätze ich wahrlich als nicht so groß sein.


    Was ist eigentlich ein Konjunkturprogramm?


    Hier möchte ich mal wieder Teilen zwischen wirtschaftlichen Agieren des Staates und steuerpolitischen Maßnahmen.


    Ersteres sollte der Staat nicht übermäßig, das zweitere ist sein Instrument, denn Steuern steuern.


    Es geht hier auch um psychologische Effekte und der ist bei einem volleren Portmonnaie durchaus sehr groß.


    Also dem Bürger Geld in die Hand geben und auf die private Nachfrage vertrauen. Umsetzung dabei durch Senkung der Lohnnebenkosten und Einkommenssteuer. Refinanzierung erfolgt, wie schon ein paar Seiten zuvor genannt, durch die Mehreinnahmen aufgrund des besseren Konjunktur.


    Nachfrage ist die Grundlage, private und betriebliche dabei aber immer eher als staatliche.



    Guter Beitrag im Spiegel. :lookaround:
    http://www.spiegel.de/politik/…and/0,1518,596229,00.html


    Zitat

    Der Hauptgeschäftsführer des Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Martin Wansleben, warnte vor Aktionismus. "Wir brauchen zwar kluge Reformen, aber keine Schnellschüsse nach dem Motto: Koste es, was es wolle." Bis Anfang Januar müsse über ein "gutes Maßnahmenbündel"


    Zitat

    Der Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, empfahl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Politik der ruhigen Hand. "Die Regierung sollte sich nicht verrückt machen lassen und ihr Konjunkturprogramm mit Ruhe und Sorgfalt für das nächste Jahr planen." Deutschland stehe erst am Beginn einer langen Abschwungphase. "Wir können nicht die gesamte Flaute mit staatlichen Ausgabenprogrammen gegenfinanzieren",


    Falls jemand bei wiwi.online oder odww angemeldet ist, habe ich da einen sehr guten Artikel.


    Die 5 Seiten sprengen leider den Umfang eines Postings.


    Einige Auszüge


    Zitat

    "Der Rückzug des Staates von überkommenen Aufgabenfeldern bei gleichzeitiger Konzentration auf seine staatlichen Kernaufgaben wie Sicherheits-, Ordnung- und Bildungspolitik, führt über einzel- wie auch gesamtwirtschaftliche Effizienzsteigerungen zu einem absoluten Wohlfahrtsanstieg".


    Zitat

    Obgleich auf administrativer Seite die Befürworter einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik die Meinung vertreten, dass die hohe Arbeitslosigkeit und die schwache Konjunktur auf den Nachfragemangel zurückzuführen sei, bleibt das Kernproblem der effizienten Nachfragesteuerung bislang ungeachtet. Die Gründe für die Nachfrageschwäche liegen eindeutig im Steuer- und Abgabensektor verborgen, die zum Einflussbereich des Finanzministeriums gehören. Somit und unter Berücksichtigung der Theorie der rationalen Erwartungen kann eben nicht die Geldpolitik, sondern vornehmlich die Fiskalpolitik als zweite Säule des konjunkturpolitischen Instrumentariums für neue wachstums- und wohlstandsfördernde Impulse sorgen.


    Zitat

    Im Rahmen einer nachfragepolitischen Orientierung muss die wichtige Rolle der privaten Konsumnachfrage ebenso wie die Investitionsneigung der Unternehmen - unternehmerische Entscheidungen sind zukunftsorientiert, stark von rationalen Gewinnerwartungen bestimmt und eher zinsunelastisch - stärker betont werden. Einerseits muss eine weitreichende Steuerreform zu deutlichen Nettoentlastungen für den Unternehmensbereich und die Privathaushalte führen. Andererseits sollte die Wirtschaft durch eine beschäftigungsorientierte Tarif- und Sozialversicherungspolitik entlastet werden, so dass die Reduzierung der Arbeitskosten und eine arbeitgeberfreundliche Gewerkschaftsarbeit eine wirkliche Strukturveränderung einleiten kann.


    Zitat

    Die wirtschaftspolitischen Forderungen des reziproken Haavelmo-Theorems lassen sich eindeutig definieren: „Der Staat muss seine Ausgaben konsequent kürzen, längst obsolete Subventionen streichen und somit auf Wohltaten, wie beispielsweise der heroischen "Holzmann-Rettung" verzichten, und letztendlich mehr auf die Eigenverantwortung der privaten Wirtschaftssubjekte setzen“.

    5 Mal editiert, zuletzt von aschi ()


  • Bezüglich ersterem natürlich wieder brilliant argumentiert.


    Habe es mir gespart den Rest zu lesen. Möchte in dem Zusammenhang nur auf Frau Schavan hinweisen. Das Land als ganzes sollte nach einer Staatsintervention schon besser dastehen als vorher.


    Also investieren ja, aber keinen blinden Aktionismus, sondern zielgerichtet in Zukunftsbereiche. Das heißt eben nicht "Hunder-Euro-Schecks" für irgendwelche Neuwagen, oder Ausklammern besonders energieintensiver Bereiche beim Klimaschutz.

  • Hat Merkel wirklich sowas in Richtung "...Steuersenkungen brauche ich noch für die Wahl." verlauten lassen? Habe sowas in die Richtung gelesen heute morgen. Allerdings in einem Kommentar (was ja Interpretation sein kann).


    Wenn sie das gesagt haben sollte, wäre das schon eine ziemliche Frechheit.

  • Zitat

    aschi mutmaßte
    Den volkswirtschaftlichen Schaden bei einer Insolvenz von Opel, schätze ich wahrlich als nicht so groß sein.


    bis dahin bin ich gekommen, wirklich gewillt, es mir durchzulesen.

  • nee, nee, war schon perfekt formuliert.
    schliesslich trägt deine argumentation die unverkennbare handschrift deiner bis dato perfekten entwicklung.


    ach, da fällt mir eine frage ein, die zu stellen ich letztens leider vergaß:
    wie erkennt man (s)eine perfekt verlaufende entwicklung?
    gibt's von gott eine ehrenurkunde, oder (-> für atheisten) fühlt man das einfach?
    wie geht man mit dem gedanken um, dass bei einer anders verlaufenden weichenstellung im leben (lottogewinn, wahl zum heimsprecher, längerer dödel, etc.) das perfekte dasein noch perfekter gewesen sein könnte?
    also kurz: wie toppt man 100%?

  • Man bewertet nicht in Prozent, sondern in einer nach oben offenen Skala.
    Die einzelnen Punktspannen sind betitelt.


    Ab einer Grenze X kommt man in den Bereich perfekt.


    Da kann man dann X+2 oder X+5 haben. ;)

  • Ein Kommentar zur "Entmachtung", "Degradierung" der Staatsanwältin Lichtinghagen, die z. B. Zumwinkel am Schlawittchen hatte. Besorgnis erregend, wenn es stimmt, dass einige Fälle (z. B. bei Subventionsbetrug) ruhen gelassen werden sollen. Wer dann doch dagegen vorgehen will, wird abgesägt.


    http://www.ftd.de/koepfe/:Agen…eg/451510.html?mode=print


    Dossier Staatsanwältin im Krieg
    von Jens Brambusch (Hamburg)


    Sie hat Post-Chef Klaus Zumwinkel verhaften lassen - nun soll kurz vor Beginn des Prozesses Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen strafversetzt werden. Der Steuerfall des Jahres verkommt zu einem Schmierenstück aus Mobbing und Intrigen.


    Jugenddezernat! Am Dienstagmittag vergangener Woche bricht für die Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen eine Welt zusammen. Sie, die leitende Ermittlerin in den Verfahren um die Liechtensteiner Steuersünder, soll nur wenige Wochen vor dem spektakulären Prozessauftakt gegen den ehemaligen Post-Chef Klaus Zumwinkel von ihren Fällen abgezogen werden. Deutschlands prominenteste Wirtschaftsstaatsanwältin - abgeschoben ins Jugendstrafrecht. Zu einem Zeitpunkt, da die Aufarbeitung der Liechtenstein-Affäre gerade ins Rollen kommt und Hunderte weitere Verfahren anstehen. Was ist da los? Warum opfert die Bochumer Staatsanwaltschaft ihre Dame, bevor das Schachspiel richtig losgeht?


    Lichtinghagens Chefs stützen ihre Exekution auf zwei eher schwammige Argumente: "Ungebührliches Verhalten" und Hinterhältigkeit" werfen sie ihrer Staranwältin am Dienstag vor. Die fühlt sich gemobbt und schaltet das Justizministerium in Düsseldorf ein. Die Ministerin konstatiert ein "zerrüttetes Verhältnis" zwischen Lichtinghagen und ihren Chefs - und schlägt am Freitag vor, Lichtinghagen solle mitsamt ihren Fällen zur Staatsanwaltschaft Köln umsiedeln. Eine schallende Ohrfeige für die Bochumer Behördenspitze.


    Also laden die ihre Geschütze nach. Lichtinghagens Vorgesetzte wollen um jeden Preis verhindern, dass die Staatsanwältin die Liechtensteiner Steuerfälle weiter betreut. Die Vorwürfe werden konkreter - und drastischer: Lichtinghagen soll bei Geldzuweisungen gemauschelt haben, verlautet am Freitag aus dem Bochumer Umfeld. Das sichere Karriere-Ende für einen Ermittler - falls die Vorwürfe stimmen.


    Die Causa Lichtinghagen ist symptomatisch für das Klima, das in der Behörde herrscht. In der Öffentlichkeit genießt die Schwerpunktabteilung 35 für Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität einen legendären Ruf. "Harte Hunde" werden sie genannt, eine "Mentalität von Großwildjägern" wird ihnen nachgesagt, schnell lande auch mal ein Manager in Untersuchungshaft, um gefügig gemacht zu werden, so die Mär. In Berlin blickt man stolz auf die Staatsanwälte, die bereits Hunderte Millionen Euro in die Staatskassen gespült haben.


    Doch der vermeintliche Eindruck trügt, hat mit der Realität schon lange nichts mehr zu tun. Im Haus herrsche "Krieg", sagt einer, der die Zustände bestens kennt. Mobbing, Durchstechereien und ein Kasernenhofton vergiften das Klima in der vermeintlichen Vorzeigebehörde. Hoch qualifizierte Mitarbeiter vegetieren in einer Art künstlichem Koma und ducken sich resigniert weg. Die meisten haben Angst, sind zerbrochen an dem System, das das Haus beherrscht. "Wissen Sie, wie viele hier an der Flasche hängen, weil sie mit dem Mobbing nicht fertig werden?", fragt ein Mitarbeiter. Erwachsene Männer brechen am Telefon in Tränen aus.


    "Die letzten großen Fälle hat alle Frau Lichtinghagen an Land gezogen. Sonst war da nichts mehr", sagt ein ehemaliger Staatsanwalt der Behörde. Dass die streitbare Staatsanwältin jetzt abgesägt werden soll, wundert ihn nicht. "In Bochum arbeiten nur noch im Windkanal erprobte Leute. Querdenker werden rausgemobbt."


    Ein Sprecher des Justizministeriums in Nordrhein-Westfalen spricht nebulös von "hohen Interessen", die bei solchen Ermittlungen dahinter stehen. "Da wird alles versucht." Bis spätestens Dienstag will das Ressort klären, was hinter den Anschuldigungen gegen Lichtinghagen wirklich steckt.


    An persönlichen Animositäten zwischen Lichtinghagen und der Behördenspitze allein kann die versuchte Absetzung nicht liegen. Zu brisant der Fall, zu heikel der Zeitpunkt, zu intelligent die Beteiligten. Kurz vor der Eröffnung des mit Spannung erwarteten Zumwinkel-Prozesses am 22. Januar wäre eine solche Personalentscheidung medialer Selbstmord. Da muss unheimlich Druck hinter sein", sagt ein Steuerfahnder.


    130 Verfahren sind erst abgeschlossen. Hunderte laufen noch auf Hochtouren. Zumwinkel ist zwar der prominenteste Name, aber die Summe, um die es geht, ist vergleichsweise gering", sagt ein Steuerfahnder. Es werde gegen mehrere Firmen ermittelt. Dabei gehe man auch dem Verdacht nach, dass Geld aus den Liechtensteiner Stiftungen für Korruption verwendet wird. Steuerfahnder fürchten "eine Katastrophe", wenn die Staatsanwältin abgezogen werden sollte. Sie sehen sich um die Mühen ihrer Arbeit gebracht, glauben, dass einige der Verfahren im Sande verlaufen werden. Lichtinghagen, sagen sie, sei die Einzige, die das komplexe Steuerverfahren leiten könne.


    Ein Staatsanwalt sieht in der geplanten Entmachtung ein Zeichen an die Zunft: "Wer bestimmte Fälle nicht ruhen lässt, der wird gehängt." Selbst Anwälte der Gegenseite schütteln den Kopf, können nicht glauben, was da in Bochum vor sich geht.


    So sehr Lichtinghagen ihre Klienten manchmal nervt, die Advokaten respektieren die Dame. Lichtinghagen wirkt getrieben, wie ein Motor, der ein bisschen zu hochtourig läuft. Aber sie hat Mut. Während andere Staatsanwälte noch zögern, leitet sie schon Verfahren ein. Das Wort Kompromiss muss sie im Wörterbuch nachschlagen. Deals? Gibt es nicht! Als ein Anwalt ihr vorschlägt, man könne ja aufeinander zugehen, herrscht sie ihn an. "Hören Sie auf, sonst gehen Sie gleich mit in den Knast."

    2 Mal editiert, zuletzt von CR1896 ()

  • Teil 2:


    Verhärtete Fronten


    Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm wird von Manfred Proyer geführt. Bis zu seiner Beförderung leitete er die Staatsanwaltschaft in Bochum und kennt die Verhältnisse dort gut. Es heißt, er halte seine schützende Hand über die Leiter seiner ehemaligen Wirkungsstätte.


    Behördenleiter Oberstaatsanwalt Bernd Schulte ist der Leiter der Bochumer Behörde, zu der auch die Schwerpunktabteilung 35 gehört. Er will Lichtinghagen die Fälle in der Liechtensteiner Steueraffäre entziehen. Mitarbeiter sprechen von einem "System des Mobbings" in der Behörde.


    Ermittler Oberstaatsanwalt Hans-Ulrich Krück leitet die Schwerpunktabteilung 35 für Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Bochum. Seit 30 Jahren arbeitet er in der Behörde. Rechtsanwälte haben sich über sein Verhalten im Umgang mit Lichtinghagen beschwert.


    Ministerin Die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter hat im Rechtsausschuss des Landtags Staatsanwältin Lichtinghagen den Rücken gestärkt. Die Verfahren seien bei ihr in guten Händen. Bis Dienstag will sie entscheiden, ob Lichtinghagen nach Köln wechselt.


    Ein Gesicht bekommt der Name Margrit Lichtinghagen am 14. Februar 2008. Schwarz gekleidet, auffällig geschminkt, mit Seidenschal um den Hals verlässt die 54-Jährige das Anwesen in dem Kölner Nobelvorort Marienburg. Vor ihr der Anwalt Hanns W. Feigen, neben ihr Klaus Zumwinkel. Der Post-Chef soll den Staat geprellt haben. Steuerhinterziehung lautet die Anklage. Es geht um 1,18 Mio. Euro, die Zumwinkel in den Jahren 2001 bis 2006 hinterzogen haben soll. Ein erst wenige Tage altes Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs sieht für Steuerhinterziehungen über der Millionenmarke eine Freiheitsstrafe vor.


    Mittlerweile ist die Schadenssumme bei Zumwinkel unter die wichtige Millionengrenze geschrumpft. Das Jahr 2001 gilt als verjährt. Eine Schlamperei ist schuld: Der Durchsuchungsbeschluss für Zumwinkels Villa schlummerte 14 Tage bei dem zuständigen Richter vom Amtsgericht Bochum. Erst zehn Stunden nach Ablauf einer möglichen Verjährungsfrist für das Jahr 2001 wurde das Dokument unterzeichnet. Zumwinkels Anwalt pocht auf Verjährung. Es bestehen verschiedene Auffassungen. Das Gericht gibt dem Anwalt recht, die Staatsanwaltschaft Bochum verzichtet auf Rechtsmittel. Zum Entsetzen von Lichtinghagen. Die ist gerade auf Steuersünderjagd in München und erfährt von dem Rechtsmittelverzicht ihrer Vorgesetzten im Nachhinein.


    Zumwinkel ist nur einer von vielen in der Liechtenstein-Steueraffäre. Ein Mitarbeiter der Liechtensteinischen Fürstenbank (LGT) hatte Bankdaten von 800 Konten an den Bundesnachrichtendienst verkauft. Die Steuerfahndung Wuppertal wertet die Daten aus, die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Bochum wird mit den Verfahren betraut.


    In Margrit Lichtinghagen wissen die Steuerfahnder eine kompetente Staatsanwältin. Sie war selbst eine Steuerfahnderin, bevor sie 1993 zur Staatsanwaltschaft wechselte. Auch wenn in Bochum kaum einer der Fälle angesiedelt ist, wird der bundesweite Feldzug von dort aus organisiert. Denn aus Sicht der Steuerfahndung ergibt nur eine Bündelung Sinn - zu komplex, zu verwoben die Fälle.


    Nun sind die Steuerfahnder besorgt. Schon vor der Personalie Lichtinghagen machte das Gerücht die Runde, dass die Staatsanwaltschaft Bochum die Fälle abgeben will. Nicht an eine andere Schwerpunktstaatsanwaltschaft, sondern an die regional zuständigen Staatsanwaltschaften. Ein Anwalt, dessen Mandanten in die LGT-Affäre verstrickt sind, hält die Bündelung in Bochum für sehr sinnvoll", auch wenn es ihm die Verteidigung erschwere. Das Liechtensteiner Stiftungsrecht sei sehr komplex. Es umfasst das Außensteuergesetz, das Außeninvestmentgesetz, wegen der Zugehörigkeit Liechtensteins zum Europäischen Wirtschaftsraum auch EU-Recht und eine Handvoll anderer Gesetze. Einem normalen Staatsanwalt ohne Spezialisierung lege ein Fachanwalt so viele Fallstricke, "dass das Verfahren schnell gegen ein geringes Bußgeld eingestellt wird".


    Was sind das für Behördenchefs, die Lichtinghagen entmachten wollen? Die Strippenzieher heißen Bernd Schulte und Hans-Ulrich Krück. Schulte leitet die Bochumer Staatsanwaltschaft, Krück ist der Oberstaatsanwalt, der der Schwerpunktabteilung 35 vorsteht. Rückendeckung bekommen die Herren von Generalstaatsanwalt Manfred Proyer aus Hamm, Vorgänger von Schulte in Bochum.


    Als Lichtinghagen sich der Versetzung am vergangenen Mittwoch widersetzt, einen Anwalt nimmt und das Justizministerium einschaltet, wird die Gangart noch ruppiger. Die Justizministerin von Nordrhein-Westfalen, Roswitha Müller-Piepenkötter, schlägt vor, die Staatsanwältin mitsamt ihren Fällen nach Köln zu versetzen. Für Proyer ein Affront. Ohnehin heißt es, er und die Justizministerin seien sich nicht sonderlich sympathisch. Erst vergangene Woche hatte die Ministerin im Rechtsausschuss des Landtags Lichtinghagen das Vertrauen ausgesprochen, als es um die Panne mit der Verjährungsfrist ging. Mit der Demontage Lichtinghagens wird auch die Ministerin bloßgestellt.


    Proyer und Schulte kochen vor Wut, als die Ministerin diese Lösung vorschlägt. Eigentlich hätten sie diesem Vorschlag zustimmen müssen. Die ungemütliche Staatsanwältin wären sie los. Doch stattdessen werden "schwerwiegende Vorwürfe" gegen die Staatsanwältin erhoben, wie das Ministerium in einer Pressemitteilung schreibt. Ein Ministeriumssprecher spricht von Geldzuweisungen, die ein Geschmäckle hätten. Bis spätestens Dienstag will das Ministerium die Vorwürfe klären. Erst dann werde eine Entscheidung getroffen. Die Zukunft von Lichtinghagen hängt ebenso von der Entscheidung ab wie die Zukunft der Verfahren. Sowohl die Staatsanwaltschaft in Bochum wie die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm wollen sich öffentlich zu dem Fall nicht äußern. "Das ist eine Personalentscheidung. Wir geben keinen Kommentar ab", heißt es bei beiden.


    Lichtinghagen, so der Vorwurf, soll in drei Fällen Institutionen Gelder zugewiesen haben, zu denen sie eine Beziehung hat. Werden Verfahren gegen Bußgelder eingestellt, kann der Staatsanwalt bestimmen, welchen gemeinnützigen Einrichtungen sie zufließen. Als Staatsanwältin hat Lichtinghagen bereits Hunderte Millionen Euro an gemeinnützige Stiftungen vergeben. Die Beträge, um die es bei den Vorwürfen geht, sind dagegen gering. Ein ehemaliger Staatsanwalt kommentiert diese Zusammenhänge als "konstruiert".


    Geld floss an eine Krebsklinik in Witten/Herdecke. Eine der beiden Töchter von Lichtinghagen war einmal selbst an Krebs erkrankt, lag in der Ambulanz dieser Klinik. Zeitlich hängen die beiden Fälle nicht zusammen. Die beiden anderen Anweisungen gingen an Rechtswissenschaftliche Institute. Im Gegenzug dazu soll der Rechtsanwalt Jörg-Andreas Lohr, der an der Universität Köln als Honorarprofessor unterrichtet, einen Brief an das Justizministerium geschrieben haben, in dem er das Verhalten von Oberstaatsanwalt Krück im Umgang mit Lichtinghagen kritisiert. Lohr hat am Wochenende angekündigt, gegen Schulte eine Anzeige wegen Verleumdung zu stellen.


    Der Beschwerdebrief von Lohr an das Justizministerium ist kein Einzelfall. Weitere Rechtsanwälte haben in der Vergangenheit das Ministerium über den Umgang in der Behörde informiert. Ein Sprecher des Ministeriums bestätigte den Eingang der Briefe.


    "Führung durch Mobbing" beschreibt ein Mitarbeiter der Behörde das Betriebsklima. Allein sieben Wirtschaftsreferenten bekämen seit Jahren keine Arbeit mehr zugeteilt. Intern würde von der "Muppet Show" geredet, davon, "sich den ganzen Tag die Eier zu schaukeln". Mitarbeiter brächten ihre privaten Laptops mit und würden den ganzen Tag spielen. Von "Psychokrieg" ist die Rede, von gebrochenen Menschen. Grund für die Abstrafung durch Nichtstun sei Engagement in Fällen gewesen, die ruhen sollten, so der Mitarbeiter. "Von Leichen im Keller" ist die Rede, von Verfahren, bei denen es um Subventionsbetrug in dreistelliger Millionenhöhe gehe, denen nie mehr nachgegangen wurde. Von Fällen, die man "gegen die Wand laufen lässt". Kritische Mitarbeiter lasse man doppelt arbeiten, an Fällen, die nie zur Anklage kommen, an denen nichts dran ist. Wenn einer die Fälle durchgearbeitet habe, dann bekomme sie der nächste. Wir reden hier von 180 Aktenordnern. "Wir reden hier von einem System, um die Leute kaputt zu machen. Und wir reden von Steuergeldverschwendung."


    Ein anderer Mitarbeiter erzählt von Fällen, in denen Behördenleiter Schulte mit Personen, gegen die ein Ermittlungsverfahren wegen Korruption lief, Tennis spielte und Kontakte über den Rotary-Club unterhält. Er erzählt davon, dass es eine erhebliche Beweislast gegeben habe, das Verfahren aber eingestellt wurde. Dass der ermittelnde Staatsanwalt weggemobbt wurde.


    Die Vorwürfe gegen Lichtinghagen, so ein Steuerfahnder, zeigen, wie verzweifelt versucht würde, die Fälle ins Leere laufen zu lassen. Dabei könnten sich diese Vorwürfe als Bumerang erweisen. Schulte selbst habe Lichtinghagen einen Kontakt zu einem Herrn vermittelt, der ein gemeinnütziges Projekt vorstellte und um Förderung bat. Es ging um den Wiederaufbau der Rokokokirche in Berka vor dem Hainich. Auch dafür gab es Geldzuweisungen - mehrere Hunderttausend Euro. Zeugen haben gehört, wie Lichtinghagen sich aufregte, als sie später erfuhr, dass der Kirchenaufbau ein Projekt des Rotary-Club Lüdenscheids ist. Das macht das Projekt nicht schlechter. Aber Mitglied im Rotary-Club Lüdenscheid ist Schulte.

    Einmal editiert, zuletzt von CR1896 ()