Politischer Zoff-Thread oder so

  • Wie soll man die "sich nach einem starken Mann sehnenden Menschen" denn erreichen?


    Wie willst Du denn jemand erreichen, der die ganze Zeit vollgequarkt wird, aber trotzdem ist sein Alltag, dass diese Gesellschaft immer mehr Reichtum anhäuft, während er unter immer mehr Druck gerät und die Zukunftsaussichten seiner Kinder lausig sind? Jemand, der marginalisiert ist?


    Das ist das Problem. Mag er auch komisches Zeug reden, er hat valide Gründe, sich ausgeschlossen zu fühlen und nur mit Gerede wird sich da gar nichts ändern, weil er, wenn Du ihn überzeugen würdest, ja wieder über den Tisch gezogen wird, solange sich nichts ändert. D.h. eigentlich bleibt ihm, wenn der politische Diskurs, egal, wie genau, nur seine Ausbeutung fortsetzt, eben nur der Diskursabbruch und zunehmend wirre, vielleicht auch irrationale Erklärungen.

  • Ja, oder gar nicht zu wählen, gelle?


    Wir wissen ja, was viele im Herbst wählen werden. Und wir sehen, wie das in England, in den USA und andernorts gelaufen ist.


    Ich denke, es ist nicht zuviel gesagt, dass die Problematik die Frage nach dem System aufwirft. Wobei für mich selber eine offene Frage ist, wie weit Änderungen gehen müssten, sollten, whatever.

  • Dann soll er halt links von der Mitte wählen.
    Der Lafontaine rennt jetzt seit knapp 10 Jahren wie ein Bescheuerter durch dieses Land und kein Mensch hört dem zu. Stattdessen kommt die Revolte von rechts. Das ist so dumm, da kannst Du nicht einmal pol Kabarett von machen.


    Edit: Knapp 20 Jahre, also von 1998 (oder wann er aus der SPD raus ist)

    Einmal editiert, zuletzt von Oststadt ()

  • Nach der Devise von Bertolt Brecht: Das Volk suchen wir uns aus, wenn es nicht so wählt wie wir, dann suchen wir dann ein neues Volk.
    Das kann nicht der richtige bzw. Korrekte Maßstab sein.
    Was mich stört und maßlos ärgert sind Abgeordnete, sie würden ja gerne anders wählen, aber sie trauen sich nicht aus Angst, das Mandat zu verlieren oder in der Partei nicht mehr geliebt zu werden; also Gruppenzwang in der Politik/Partei.

  • Der Lafontaine rennt jetzt seit knapp 10 Jahren wie ein Bescheuerter durch dieses Land und kein Mensch hört dem zu. Stattdessen kommt die Revolte von rechts. Das ist so dumm, da kannst Du nicht einmal pol Kabarett von machen.


    "Jeder Aufstieg des Faschismus zeugt von einer gescheiterten Revolution." Walter Benjamin, frei zitiert.


    "Ihr wollt nicht im Ernst Politik gegen die Märkte machen?" Joschka Fischer, zu Heiner Flassbeck, als dieser noch Staatssekretär in Lafontaines Finanzministerium war, frei zitiert nach Flassbeck.


    Irgendwie scheint das alles nicht so einfach zu sein.

  • Ich denke schon, dass der Wahlkampf vor der Bundestagswahl es in sich haben wird. Unter anderem deshalb, weil der Gegensatz Merkel/Schulz wesentlich größer ist, als zuletzt Merkel/Steinbrück.
    Daneben gibt es noch 4 weitere Parteien, die realistische Chancen haben einzuziehen. Drei davon dürften sich Hoffnung machen in einer Koalition dabeizusein (FDP grüne Linke).
    Schmierentheater droht meiner Meinung nach nur von Seiten CDU/CSU, die rein aus wahltaktischen Gründen, ihre Differenzen totschweigen. Falls die in der Opposition landen knallt es dann hinterher umso mehr.


    Ich freue mich auf einen spannenden (hoffentlich weitgehend fairen) Wahlkampf mit den richtigen Siegern.

    Ich bin wohl etwas weniger unzufrieden als valentine. Ich denke, dass in Anbetracht der momentanen Situation in der bundesdeutschen Politik, der größte gemeinsame Nenner gefunden wurde. Eine Lösung, in der alle zufrieden sind wird es nicht geben. D.h. Die große Koalition trifft wohl alles/alle ein bisschen und das wird in September genauso weitergehen; nur mit mehr Druck von rechts, leider

  • Ja, oder gar nicht zu wählen, gelle?


    Wir wissen ja, was viele im Herbst wählen werden.

    Zur Zeit gehen die Umfragewerte für die AfD ziemlich deutlich zurück (sie liegen mittlerweile bundesweit bei 11 bzw. 10 Prozent). Das liegt einerseits an der deutlicheren Hinwendung hin zum Rechtsextremismus (Höcke-Rede usw.), aber auch daran, dass mit dem SPD-Kanzlerkandidaten Schulz einige AfD-Anhänger zumindest kurzfristig wieder zur SPD zurückwandern.


    Edit: Und heute hat der AfD-Kandidat über die AfD-Vertreter hinaus nur acht Stimmen mehr bekommen. Über 100 CDU-Leute haben sich enthalten, aber eben nicht den AfD-Mann gewählt.


    Edit2: Politische Beobachter in Berlin nehmen an, dass es zumeist CDU/CSU-Leute waren.

    2 Mal editiert, zuletzt von Dahl ()

  • Edit: Und heute hat der AfD-Kandidat über die AfD-Vertreter hinaus nur acht Stimmen mehr bekommen.


    Ich finde es besorgniserregend, dass sich da acht Leute gefunden haben, die definitiv nicht der AfD angehören.

  • Über 100 CDU-Leute haben sich enthalten


    Über einhundert Enthaltungen. Von welcher Fraktion die kamen - das weiß keiner. Und wie viele CDUler den AfD-Typen wählten weiß auch keiner.

    Danke. Worum es mir ging, war, dass man zunächst befürchtet hatte, dass sich gewisser Frust in Stimmen für den AfD-Mann umwandeln würde. Das ist jedenfalls nur sehr begrenzt geschehen, obwohl die Wahl geheim war.

  • Wenn jahrelang medial den Menschen eingeimpft wird, dass die Linke uns in den Abgrund stürzt, "Liberale" Journalisten (Poschardt und Co.) über das Verhalten Deutscher, die gegen Flüchtlinge sind, schimpfen und gleichzeitig jeden, der Freihandelsverträge kritisiert (auch unter Hinweis auf deren Auswirkungen auf die Armen und unsere Demokratie) als mehr oder weniger geistig nicht auf der Höhe darstellen, Spiegel Online und Co. uns so sinnvolle Frage stellen, ob wir zu den Reichen gehören oder uns vollpumpen mit Bildern, wie schön es sich als Reicher lebt, dann erwarte ich nicht mehr, dass sich irgendwas zum Besseren ändert.


    Das alles empfinde ich persönlich als gelungene Indoktrination.


    Für mich ist diese Gesellschaft so unendlich bigott.
    Alle Werte veraten sie. Und jammern rum, wenn es der kleine Bürger ebenso tut.


    Ich wünsche mir jemanden mit dem Format eines Schirrmachers zurück. Der ist leider wirklich viel zu früh gestorben.


    Ja, ich stelle unser gesamtes System in Frage, weil die die, die es in erster Linie formen, es für sich nutzen. Ich will von den kein Rumgejammere hören, ich erwarte Ehrlichkeit, auch sich selbst gegenüber.

  • Über 100 CDU-Leute haben sich enthalten


    Über einhundert Enthaltungen. Von welcher Fraktion die kamen - das weiß keiner. Und wie viele CDUler den AfD-Typen wählten weiß auch keiner.

    Danke. Worum es mir ging, war, dass man zunächst befürchtet hatte, dass sich gewisser Frust in Stimmen für den AfD-Mann umwandeln würde. Das ist jedenfalls nur sehr begrenzt geschehen, obwohl die Wahl geheim war.


    Welcher dieser auserwählten Wahlberechtigten sollte denn da frustiert sein?

  • Über Schulz habe ich seit seiner Kanzlerkandidatur nicht viel gelesen. Laut Artikel-Überschriften stellt er die soziale Frage und stellt sich (weiterhin) grundsätzlich hinter die Agenda 2010. Das ist erstmal wasch mich, aber mach mich nicht naß. Als höherer EU-Repräsentant hat er die Eurokrise und die Kürzungspolitik im Süden mitmoderiert. Das läßt mir zwei Interpretationsmöglichkeiten offen: Entweder ist sein Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit nur vorgeschoben, um Umfragewerte kurzzeitig zu erhöhen. Oder er weiß nicht, daß man beim Waschen naß wird. Mag sein, daß der Gegensatz Merkel/Schulz größer ist als zwischen (edit: Korrektur, da stand Merkel/Schulz) Merkel/Gabriel. Groß ist aber nicht.


    2012 bediente er sich zum Beispiel der populären Formel: "Sparen ist nötig, Sparen ist zwingend erforderlich, die Reduzierung von Staatsschulden vor allen Dingen ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit." (zu Griechenland; dradio.de) Mit so einer Aussage kann man im Radio nichts falsch machen. Klingt vertraut, klingt vernünftig, kommste seriös rüber mit. Trotzdem leider sachlich falsch. Das alte Mikro- und Makro-Dilemma. Der Satz danach lautete: "Ich möchte nicht, dass meine Kinder und deren Kinder meinen Lebensstandard noch finanzieren müssen, das ist klar." Und da kommt das Dilemma schon halb zum Vorschein. Die Kinder erben nicht nur die verdammten Schulden, sondern auch das, was damit gebaut worden ist. Straßen, Schulen, Energiewende, stabile Gesellschaft. Und manche Kinder erben zusätzlich noch die Schulden, nämlich in Form von Wertpapieren. Nennt man dann Ersparnisse. Klingt netter. Umschreibt aber denselben Sachverhalt.


    Dat is wie mit Tor und Gegentor. Is dasselbe. Passiert gleichzeitig. Es gibt das eine nur zusammen mit dem anderen. Es ist nur eine Frage der Perspektive. Er (und nicht nur er!) wollen den Fußball allgemein besser machen, indem sie die Zahl der Tore erhöhen und die Zahl der Gegentore senken. Nicht für einen einzelnen Verein. Nein, für den Fußball allgemein. Die wollen das eine Tor größer machen, das andere Tor kleiner. Mit Seitenwechsel zur Halbzeit natürlich.


    Der Absatz 2012 über Griechenland ging noch weiter: "Aber auf Dauer wird sich - da muss man kein Professor der Volkswirtschaft sein, um das zu verstehen - kein Haushalt sanieren lassen, wenn es kein Wachstum und keine Beschäftigung gibt. Und deshalb Investition in Wachstum und Beschäftigung, die werden kommen als Ergänzung zur Sparpolitik. Und wenn ich die Äußerung von Bundeskanzlerin Merkel und der deutschen Regierung aus den letzten Tagen richtig verstehe, dann geht ja auch Frau Merkel davon aus - ich treffe die Frau Merkel morgen, werde das auch mit ihr diskutieren -, geht sie auch davon aus, dass wir Ende Juni einen EU-Gipfel zu Wachstum und Beschäftigung haben werden. Von daher, da kommt es zu einer Richtungsänderung."


    Dasselbe Problem. Er steckt im argumentativen Dilemma. Er beschreibt dort, wie man sich waschen wird, ohne naß zu werden. Es muß also Kürzungspolitik gemacht werden (die die Nachfrage auf dem die griechische Wirtschaft dominierenden Binnenmarkt sofort senken wird, damit eventuell und hoffentlich der klitzekleine Exportsektor künftig ein bißchen größer wird -> drei Schritte jetzt garnantiert zurück für hoffentlich einen Schritt irgendwann später mal vor -> Wachstum dreht ins Minus und Arbeitslosigkeit wird steigen -> Aus Sparabsicht folgt kein Sparerfolg). Und das soll kombiniert werden mit Investition in Wachstum und Beschäftigung. Sparen *und* mehr ausgeben. Vielleicht meinte er private statt öffentliche Investitionen. Nach Privatisierungen. Sowas wie: Die schon lukrativen Flughäfen werden an FraPort verhökert, auf den anderen bleibt GR sitzen. Oder sowas wie den Verkauf der gewinnbringenden staatlichen Lottogesellschaft, kurz nachdem das Sportwettenmonopol nochmal verlängert worden war. Zu dem Verkauf waren sie gezwungen, weil in einem Formular Privatisierungserlöse eingetragen werden mußten für die Freigabe der nächsten Kreditrate. Ja, das hörte sich damals schon gut an. Und genauso gut hat das dann funktioniert.


    Und überhaupt: Wer erinnert sich nicht an die Richtungsänderung in der Europa-/Wirtschaftspolitik von 2012/13/14. Gab's nicht. Da hat er ein bißchen links geblinkt, links abgebogen ist hingegen keiner in Deutschland oder der EU. Die Griechen sind links abgebogen. Haben nach den korrupten Sozen und den korrupten Konservativen einfach wen anderes gewählt. Syriza. Mal kucken, wie sich dat nu wieder entwickelt hat.


    2012 ist ja Schnee von vorgestern. Mal kucken, was gestern war. 2015 zum Beispiel. Interview in der Welt über GR: "Dass die Leute [=die Deutschen von den Griechen, die Brüssel zum Narren halten sollen] sich veräppelt und an der Nase herumgeführt fühlen, kann ich nachvollziehen. Die Deutschen sind damit nicht allein. Das ist in vielen Ländern Europas so. Es gibt aber gleichwohl Verständnis dafür, dass die fantasielose und einseitige Sparpolitik der vergangenen Jahre gescheitert ist, weil sie zu schlimmen sozialen Verwerfungen geführt hat. Da haben die Griechen einen Punkt, und deshalb haben sich Jean-Claude Junker und ich auch so sehr für ein nachhaltiges Investitionsprogramm für Griechenland eingesetzt. Wir dürfen das Land nicht kaputt sparen."


    Nachdem das Land also kaputt gespart worden ist, wird wieder mit dem linken Blinker gezuckt. Verständnis. Investitionsprogramm. Also diesmal wirklich Investitionsprogramm. Und weiter sparen. Also diesmal wirklich sparen. Wieder ein souveränes Interview. Kann man nix falsch mit machen. Der Satzbau ist unfallfrei, klingt alles oberflächlich gesehen vernünftig. Bloß der Inhalt, der ist halt nix.


    Nee, nee. Schulz mag ein geübter Verhandlungsführer in Sitzungsmarathons sein. Mir reicht das leider nicht. Da muß Sachkenntnis her. Und wer die nicht mitbringt, der soll sich gefälligst beraten lassen. Und zwar umfassend statt einseitig. Über Sachfragen. Nicht nur über den Verhandlungsablauf mit Tagesordnungspunkten, Instanzen und all das politische Handwerkszeug. Er muß doch wissen, was er bauen will mit dem Werkzeug. Schwadroniert stattdessen rum, wie er mit einer Schere etwas zusammenbauen will. Und wenn's nach drei Jahren auseinandergeschnitten ist, will er weiterschnippeln, um es zusammenzubauen.


    Deswegen lese ich nicht so viel über Schulz seit seiner Kanzlerkandidatur.

    Einmal editiert, zuletzt von Pokalheld () aus folgendem Grund: letzten Satz im ersten Absatz begradigt