Leitartikel der HAZ vom 2. März:
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Die Politiker sind wieder einmal dabei, die Leute für dumm zu verkaufen. Um das Zuwanderungsgesetz wird gefochten, als gehe es um Sein oder Nichtsein. Niemand blickt mehr durch. Aber das ist sicher kein Zufall, sondern Absicht.
In unserem Land leben mehr als sieben Millionen Ausländer. Dazu muss man noch Millionen Aussiedler rechnen, die aus Osteuropa zugewandert sind. Vor Jahrzehnten sind vorwiegend Menschen gekommen, die in Kasachstan, Polen oder Rumänien als Deutsche angesehen und unter Druck gesetzt worden waren. Sie sprachen deutsch, und ihre Eingliederung in unsere Gesellschaft war kein großes Problem. Das hat sich geändert.
Absurderweise haben wir uns in den zurückliegenden Jahrzehnten gestritten, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei oder nicht. Die Unionsparteien beharrten darauf, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, und nahmen sehenden Auges hin, dass aus aller Welt Millionen Menschen zugezogen sind. Für angebliche Deutsche aus Osteuropa, die nicht einmal mehr deutsch sprechen konnten, stand das Tor sogar sperrangelweit offen.
Auf dem anderen politischen Flügel stritten die Grünen und ihnen Nahestehende vehement dafür, dass es möglichst wenig Zugangsbeschränkungen für die Einwanderung von Ausländern geben dürfe. Alle beschworen die Moral. Die einen befürchteten eine Überfremdung des eigenen Volkes, den anderen war das eigene Volk egal. Während alle sich um das offene Eingangstor scharten, kümmerte sich keiner um die Menschen, die tatsächlich alljährlich zu Hunderttausenden eingewandert sind. Die Moral galt nur dem Prinzip, den Menschen galt sie nicht.
Pisa-Studie deckt Missstände auf
Die Versäumnisse aus Jahrzehnten rächen sich nun. Auch nach Jahren sprechen viele Ausländer nicht oder nur gebrochen deutsch. Inzwischen gibt es geschlossene türkische oder russische Bevölkerungsgruppen. Ihre Kinder wachsen nicht mit der deutschen Sprache auf. Sie haben Probleme in der Schule, und Mitschüler oder Lehrer haben Probleme mit ihnen. Insbesondere in den Ballungszentren ist unser Schulsystem auf die immensen Herausforderungen durch fremdsprachige Bevölkerungsgruppen überhaupt nicht eingerichtet. Der Pisa-Studie sei Dank, dass die Missstände jetzt öffentlich erörtert werden dürfen, ohne dass man sofort als Ausländerfeind oder Nazi abgestempelt wird.
Wir haben für ungelernte Ausländer mit mangelhaften Sprachkenntnissen keine Arbeitsplätze. Es gibt in Deutschland auch so schon vier Millionen Arbeitslose, und niemandem fällt etwas Vernünftiges ein, wie alle sinnvoll beschäftigt werden können. Wer angesichts dieser Situation über Personalmangel in Pflegeberufen jammert und zusätzliche Einwanderung fordert, statt Arbeitslose für einfache Dienstleistungen zu qualifizieren und zu motivieren, macht sich lächerlich.
Die Warnungen vor der demographischen Entwicklung helfen uns heute nicht weiter. Das müsste erst recht ein Grund sein, die Kinder der Ausländer ganz schnell in unser Bildungssystem zu integrieren. Sonst wird nicht nur die Generation der Eingewanderten, sondern werden auch ihre Kinder und Kindeskinder im gesellschaftlichen Abseits bleiben. Niemand darf sich wundern, wenn in wurzellosen Randgruppen, die keine Lebensperspektive haben, die Kriminalität zunimmt.
Wir haben uns an diesen Menschen versündigt, indem wir sie fast ungehindert in unser Land ließen, ohne uns darum zu kümmern, ob sie in der komplizierten Wirtschaft und differenzierten Gesellschaft Fuß fassen. Wir haben uns an unserem Volk versündigt, in dem vor allem die Schwächeren mit der Konkurrenz von Ausländern nicht klarkommen.
Integration hat Vorrang
Es geht nicht um Öffnung der Grenzen oder Bremsen des Zuzugs. Einwanderung ist nicht gleich Einwanderung. Es ist unstrittig, dass unser immer noch reiches Land ein rettender Hafen für die sein muss, die Asyl begehren, weil sie in ihrer Heimat verfolgt werden und um ihr Leben fürchten müssen. Es ist unstrittig, dass sich unsere europäischen Mitbürger hier niederlassen können. Und es ist unstrittig, dass wir jeden willkommen heißen, dessen Sachverstand und Können wir benötigen. Diese Ausländer integrieren sich in kürzester Zeit. Dass über Green Cards für Ingenieure und Computerfachleute gestritten wird, ist nicht zu fassen.
Aber ansonsten lasst uns innehalten. Wir sollten nicht noch mehr Menschen ins Land lassen, die hier keine Chancen haben, im Beruf oder in der Gesellschaft anzukommen – weder Ausländer noch Aussiedler. Wir müssen jetzt alle Kräfte darauf konzentrieren, diejenigen, die hier sind, zu integrieren und ihnen Perspektiven zu eröffnen. Dazu müssen die Ausländer allerdings auch bereit sein. Sonst sollten sie lieber wieder in ihre Heimat zurückkehren – notfalls mit deutscher Hilfe. Die Integration muss gelingen, sonst nimmt die Gesellschaft dauerhaft Schaden.
Jetzt gibt es endlich einen Gesetzentwurf, mit dem Einwanderung und Integration erstmals geregelt werden. Dem Entwurf haften alle Elemente eines Kompromisses an. Die Koalition von Rot und Grün hat ihre inneren Gegensätze nur notdürftig verkleistert. Der Bundeskanzler und seine SPD möchten die Einwanderung lieber bremsen, weil sie Angst vor ihren Wählern haben, bei denen der Zuzug von noch mehr Ausländern sehr unpopulär ist. Die Grünen würden am liebsten noch Jugendliche mit 18 und weitere Gruppen von Verfolgten und Benachteiligten einreisen lassen.
Es wäre so einfach
Die CDU hat ein Einwanderungsgesetz ursprünglich selbst gefordert. Jetzt lehnt sie den Entwurf ab, weil angeblich die Einwanderung gefördert werde. Wenn das Gesetz aber nicht zustande kommt, dann bleibt es bei dem gegenwärtigen Zustand. Es gibt weiterhin eine ungeregelte Einwanderung – so wie zu den Zeiten, als die Union noch im Bund regierte und behauptete, Deutschland sei kein Einwanderungsland.
Eigentlich wäre alles ganz einfach: CDU und SPD tun sich zusammen und verständigen sich auf den ursprünglichen Entwurf von Bundesinnenminister Otto Schily. Dann hätten wir im Bundestag und im Bundesrat eine große Mehrheit. Und die überwältigende Mehrheit der Wähler wäre auch noch einverstanden. Schade, dass es in der Politik nicht so einfach zugeht. Es sieht so aus, als bliebe wieder eine wichtige Reform auf der Strecke.
Ich persönlich finde, dass der Autor in einigen Punkten etwas zu weit geht. Aber seine kritische Ansicht der Problematik ist vermutlich deutlich dichter an der Realität als viele Meinungen - ich nehme da meine nicht aus - , die hier geäußert wurden.