www.welt.de: Goldgräberstimmung in Hannover

  • 3:0 gegen Bochum, fünfter Sieg - und ein Ende der Serie ist nicht abzusehen



    Hannover - Bei Hannover 96 nehmen sie mittlerweile Anteil am Gram des Gegners. So war es nach dem Heimspiel gegen den VfL Bochum Stürmer Thomas Christiansen, der Mitgefühl entwickelte. Sein Tor zum 1:0, räumte er also ein, tue ihm schon leid. Es war sein erster Saisontreffer, ausgerechnet gegen seinen Ex-Klub. Ein Zufall, aber eben ein blöder, sagte Christiansen.



    Mitleid mit den Widersachern kann sich 96 mittlerweile leisten. Der Sieg über Bochum war der fünfte in Folge, bedeutete Vereinsrekord und führte den vor vier Wochen noch auf dem letzten Platz stehenden Klub auf Rang vier der Tabelle. "Derartige Erfolge schweißen einen Verein auf lange Zeit zusammen", sagte Manager Ilja Kaenzig, "aber ich habe mir nicht einmal erträumt, daß so etwas möglich ist." Ein Zufallsprodukt wie das Tor von Christiansen, soviel steht spätestens nach dem Auftritt gegen Bochum fest, ist die Siegesserie indes nicht. Eher schon ein abgeschlossener Reifeprozeß, der die Mannschaft zu einem Anwärter auf einen Platz im UEFA-Cup werden läßt.



    "Viele Spieler haben sich am Anfang der Saison nicht so verhalten, wie ich es wollte", sagte Trainer Ewald Lienen. Akteure wie Christiansen oder Nebojsa Krupnikovic verweigerten ihrem Übungsleiter die bedingungslose Gefolgschaft, der wiederum berief sie zur Strafe nicht in die Stammelf. Erst als sie spurten, zeigte sich Lienen gnädig.



    Der Zeitpunkt war gut gewählt, es war vor vier Wochen in Rostock, und es war so etwas wie ein Schicksalsspiel. Wenn Lienen dort nicht gewonnen hätte, hätte er nur noch wenige Freunde in Hannover gehabt. Insbesondere Krupnikovic war es schließlich, der das Team zum 3:1 führte und Lienen das Arbeiten fortan erleichterte. Der Trainer setzte weiter auf ihn sowie auf Christiansen. Es war eine Vernunftehe, und Hannover verlor kein einziges Spiel mehr. "Wir haben mit Krupnikovic einen Spielmacher gefunden, den wir brauchten", sagte Lienen. Auch die Erfolgsformel war gefunden: Selbstvertrauen durch Siege. Vor der Partie bei Hansa kamen die Niedersachsen auf fünf Treffer in sechs Spielen, in den vergangenen fünf Begegnungen schoß die nunmehr wesentlich offensiver ausgerichtete Formation allein 14 Tore. Gegen Bochum besserten neben Christiansen noch Daniel Stendel (64.) und Leandro (88.) das Torkonto auf. Dadurch gewann nicht nur das Team Punkte, sondern Lienen auch Sympathien beim Publikum. Vor einen Monat forderte es noch seine Entlassung, nunmehr wird er gefeiert.



    Daß es so lange dauerte, daß es erst eines verpatzten Saisonstarts bedurfte, um zum Höhenflug anzusetzen, führte Lienen auch auf die Bedingungen zu Beginn der Spielzeit zurück: "Wir konnten einfach keinen Rhythmus entwickeln." Die AWD-Arena war nicht fertiggestellt, der Klub mußte zunächst auf Heimspiele verzichten. DFB-Pokal und Länderspielpause standen an. Erst Mitte September konnte Hannover das erste Heimspiel austragen - und steckte da bereits im Schlamassel.



    "Wir haben gut daran getan, nicht auf den kurzfristigen Erfolg zu setzen", sagte Präsident Martin Kind. Er setzte auf das Gegenmodell zu den Konkurrenten aus Gelsenkirchen, Hamburg und Mönchengladbach, die ihre Trainer mangels Erfolg entließen. "Uns", frohlockte Kind, "hat das einen goldenen Oktober beschert." Patrick Krull