Die Welt: "Wir sind nicht zu langsam"

  • "Wir sind nicht langsam"
    Abwehrchef Mertesacker über die Kritik an der Defensive, seine prominenten Vorgänger und den Rückhalt der Familie
    von Ralf Köttker




    Beim letzten Test vor der Weltmeisterschaft steht heute gegen Kolumbien vor allem die nach dem 2:2 gegen Japan heftig kritisierte Abwehr der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im Fokus. Mit dem 21jährigen Per Mertesacker trägt der jüngste Abwehrchef der deutschen WM-Geschichte die größte Verantwortung in der Viererkette.


    Die Welt: Herr Mertesacker, wie fühlen Sie sich vor dem Spiel?


    Mertesacker: Ganz gut, warum?


    Welt: Das Ausland macht sich lustig über die deutsche Abwehr.


    Mertesacker: Egal. Wir sprechen intern über unsere Leistungen, und dort wird zum Glück nicht immer nur die Abwehr kritisch beurteilt.


    Welt: Ärgert es Sie nicht, daß der Japaner Takahara gelästert hat, die deutschen Abwehrspieler seien "groß, aber nicht schnell".


    Mertesacker: Takahara hat zwei schöne Tore gemacht, aber zu dieser Äußerung fällt mir nichts ein. Ich weiß, wir sind nicht langsam.


    Welt: Überzeugt hat die Abwehr die Fans bisher noch nicht.


    Mertesacker: Jeder von uns gibt das Beste. Und wir wissen, daß die Fans hinter uns stehen. Es ist wichtig, was vor einem Turnier passiert, aber beurteilen sollte man uns erst während der WM.


    Welt: Wer sind für Sie die besten Innenverteidiger der Welt?


    Mertesacker: Da brauche ich nicht weit zu gucken. Die Topvereine der Bundesliga haben starke Innenverteidiger, wie die Bayern mit Lucio.


    Welt: Und wo stehen Mertesacker/Metzelder im Vergleich?


    Mertesacker: Wir sind jung und hoffen, durch die WM einen höheren Stellenwert zu bekommen. Es war ja wegen Verletzungen lange nicht klar, wer spielen kann. Aber wir sind jetzt mit Metzelder, Huth, Nowotny und mir gut besetzt.


    Welt: Nowotny sollte den jungen Spielern Sicherheit geben, ist aber selbst in die Kritik geraten.


    Mertesacker: Wenn einer sein erstes Länderspiel seit langem macht, sollte man Fehler verzeihen können. Er hat viel Erfahrung, strahlt Ruhe aus. Jens ist sich für nichts zu schade, und ich kann viel von ihm lernen.


    Welt: Sie wirken mit 21 Jahren abgeklärt. Ist das nur Fassade?


    Mertesacker: So bin ich groß geworden. Ich habe schon in der Schule nicht viel gesagt und war schriftlich stärker. In meiner Jugend mußte ich nie den Larry raushängen lassen.


    Welt: Was geht in Ihnen vor, wenn Sie wie in Düsseldorf vor 42 500 Zuschauern trainieren?


    Mertesacker: Als ich ins Stadion kam, hab ich mich gefragt: "Was ist denn hier los?" Es war unbeschreiblich schön. Man merkt, daß es eine Ehre ist, das deutsche Trikot zu tragen. Solche Momente sind wie Hallo-wach-Effekte.


    Welt: Haben Sie schon realisiert, was in den nächsten Wochen auf Sie zukommt?


    Mertesacker: Nicht wirklich, aber das muß man jetzt auch noch nicht. Ich freue mich auf die Momente. An die werde ich mich mein Leben zurückerinnern können.


    Welt: Sie sind 21 Jahre und stehen als Abwehrchef einer deutschen WM-Mannschaft in einer Reihe mit Beckenbauer und Matthäus. Haben Sie mit den prominenten Vorgängern gesprochen?


    Mertesacker: Ich habe noch nie mit ihnen geredet, aber schon mal ihre Hand geschüttelt. Es sind einfach zu große Namen, um mich mit ihnen in einer Reihe zu sehen.


    Welt: Als Zivildienstleistender haben Sie sich in einer psychiatrischen Anstalt um Menschen gekümmert, die keine Verantwortung übernehmen können.


    Mertesacker: Ich habe sehr gern in einer geschlossenen Anstalt gearbeitet. Dort hat mich niemand gekannt. Mit Menschen umzugehen, die kaum wahrnehmen, was in der Außenwelt passiert, war ein Ausgleich zur Fußballwelt.


    Welt: Helfen Ihnen diese Erfahrungen, den Rummel um die WM und Ihre Person richtig einzuordnen?


    Mertesacker: Viele Menschen wissen gar nicht, wie das ist, anderen einfach zu helfen, sich zu engagieren hilft, die eigene Welt zu erweitern und offener zu sein. Einem wird stärker bewußt, daß es noch wichtigere Dinge gibt als Fußball. Es gibt viele, denen es schlechter geht als uns. Wir können jubeln und trauern, viele Menschen können das nicht mehr. Sie haben nicht den Lebensspielraum, den wir haben. Das relativiert vieles.


    Welt: Der deutsche Abwehrchef wohnt noch bei seiner Mutter. Ist das Bequemlichkeit?


    Mertesacker: Ich möchte schon ausziehen, um mich auch dort weiterzuentwickeln. Aber bisher hat die Zeit gefehlt. Und wenn ich zu Hause bin, ist es schön, daß die Familie um mich ist. Das ist für mich ein Rückhalt.


    Welt: Sie haben nach dem Kolumbien-Spiel zwei freie Tage. Was machen Sie?


    Mertesacker: Nach Hause fahren, ausruhen. Ich hoffe, daß Mutter meine Sachen wäscht und nicht sagt: "Du kannst das auch mal allein machen!"


    Welt: Und was machen Sie am 9. Juli, dem Endspieltag?


    Mertesacker: Ich hoffe, ich werde bei den Nationalhymnen auf dem Platz stehen.



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