Zweitvertretungen in Zukunft Auffangbecken für Fankultur?

  • Schaut man die letzte Zeit aus Frust über die derzeitige Situation zwischen den 96-Gesellschaften (oder auf Verein, siehe Farbendiskussion) über den eigenen Tellerrand hinaus um zu sehen wie es anderswo läuft, stellt man fest das die Probleme flächendeckend zunehmen und Überhand nehmen.


    In Frankfurt z.B. ist das Bild der Kurve derzeit bei der dortigen U23 weitaus überzeugender und frohmutiger als in der heimischen Bundesligakurve. Grund dafür ist der Beschluss der Gruppe Ultras Frankfurt, sich in der Bundesliga nicht mehr aktiv zu präsentieren und zur Zweitvertretung "auswanderte".


    Die Ultras von Leverkusen ziehen es aufgrund staaltlicher Repression und Androhungen vor, kommendes Wochenende auf Bundesliga auswärts in Mainz zu verzichten und dafür ebenfalls ihre Zweitvertretung supporten.


    Die Schickeria München verzichten seit über einem halben Jahr auf den Großteil ihrer Fanutensilien um mit ihrer "Ausgesperrte immer bei uns"-Zaunfahne auf ihre mit langjährigen Stadionverboten Gruppenmitglieder hinzuweisen.


    Die Ultras Fürth gaben den Kampf gegen die Verfremdung des eigenen Vereins und ihr bei Polizei und Staat übertrieben schlechtes Image auf und lösten ihre Gruppe auf.


    Wenn man dann zurück auf unseren Verein blickt und sich die Gesamtsituation zu Bilde führt muss man schon beim Wort "Verein" inne halten.


    Seit der Ausgliederung der 1. Mannschaft und Gründung der Schwestergesellschaften Sales&Service und Stadion, hat Hannover 96 grundsätzlich nicht mehr viel mit dem Wort Verein (e.V. im eigentlichen Sinne) gemeinsam. Nämlich ein Stammbaumartiges Prinzip in dem demokratisch entschieden wird und Verantwortungen ent- oder nicht entlastet werden können. Quasi eine Grundidee mit festen Strukturen die nur eine Mehrheit verändern können. Die Gesellschaften die heute die Geschicke lenken, von denen wir heute Fans sind, haben nahezu ein Alleinherrscherrecht. Sie funktionieren nach dem Wirtschaftsprinzip. Sie verfügen über Gesellschafter, die Eigenkapital stellen, dass sie in kurz-, mittel-, oder langfristiger Sicht für ihr privates Ego vervielfältigen möchten. Da sie dieses nicht blauäugig tun, gibt es Wirtschaftsprinzipien wie Marktstatistiken, Forschung und Marketing. Oft kommen diese Leute aber nicht aus dem Bereich Fußball und Drumherum und können den emotionalen Sport und die freie harte Marktwirtschaft selten unterscheiden.
    So wird, wie bei uns geschehen mal eben ausgewertet, was eine Erfrischung des alten Vereinslogos verkaufstechnisch bewirken würde. Alternativ wird sich eben Gedanken gemacht, ob der Hannover 96 - Die Roten - sich mit schwarz-weiß-grünen Farben weiter, schlechter, besser verkaufen lässt. Eigentlich kann Hannover 96 als Firma machen was sie will. Wenn die Fans unkritisch und still sind, kann auch ein Sponsor kommen , der viel zahlt und deshalb beim traditionellen Fußballfan unangenehme Ansprüche stellen (Trikot den Sponsorfarben anpassen, das Stadion dementsprechend verändern, sein Produkt in die Köpfe des Publikums bringen)


    Ich frage mich an dieser Stelle die letzten Monate oft, von wem und was ich derzeit noch Fan bin.


    Es ist natürlich keine plötzliche Veränderung passiert, es war eher ein manchmal still, manchmal lauter schleichender Prozess über viele Jahre.
    Ich mach ihn für meine Person an verschiedenen Dingen fest, unabhängig der drei verschiedenen Ligen die ich mit 96 kennen lernen durfte.


    Der Verein: Früher reiner e.V. mit Sitz in einer unmodernen viel zu kleinen Geschäftsstelle. Die Jahreshauptversammlungen endeten oft im Chaos, die 1.Vorsitzenden oft Profilneurotiker ohne Sachverstand, die Organisation nervenaufreibend (zu merken an 100 m langen Schlagen in der Clausewitzstraße bei Topspielen)
    Heute bestehen drei Gesellschaften, das System der Organisation im Vergleich zu anderen Städten noch nicht ausgereift, aber viel aufgebaut (neue Geschäftsstelle, Fanshop etc.)
    Das Stadion: An gleicher Stelle wie früher, aber zu 3/4 verändert, neu, hochmodern, zum Glück besser als viele andere sterile Glaspaläste im Land.
    Das Vereinslogo wurde oft geändert von schlicht schwarz auf weiß, über schwarz-weiß-grün mit Lichteffekt zu heute mit roter Banderole und "Die Roten".
    Die Trikots haben sich glücklicherweise noch nicht verändert zu früher, im Gegensatz zu Biermarke(früher gab es Gilde heut nur noch Hasseröder), Bratwurst, und Bezahlart (unsägliche Karten)
    Freiheiten in der Kurve sind eingeschränkt wie nie zuvor. Jedes Spruchband muss angemeldet werden, kritisches verboten, heile Welt gewünscht.
    Es gibt Fahnenpässe, Hühnerstangen (könnte ja irgendwann einmal wieder ein internationales Spiel stattfinden), Dauerbeschallung in Überlautstärke vor und nach dem Spiel, Show-Moderator statt Stadionsprecher wie früher (saß in seinem Kabuff im Turm und las das wichtigste war. Punkt.) Sponsoren bekommen Tui-Days, Conti-Days etc und dürfen im Umfeld der Spiele das Publikum nerven.


    Das Publikum ist lang nicht mehr so enthusiastisch. Siege werden zwar gefeiert, sind aber schon auf dem Nachhauseweg wieder vergessen. Die Fanszene oft uneinig, europäische Ultra-Welle mit all ihrer Vor- und Nachteile, Internetfans, Kutten (kaum mehr). Naja, ich schweife ab.
    Jedenfalls hat sich so viel verändert, dass man sich hinterfragen muss, wovon man noch Fan ist heutzutage.
    Für mich war es früher ganz sicher nicht der Verein, es war ein Chaosclub den jeder merk-, aber kaum liebenswürdig finden konnte. Die Mannschaft und der Stab verändern sich regelmäßig, tauschte sich immer wieder komplett aus, das konnte es auch nicht sein. Fan einer Firma kann man nicht sein.
    Ich weiß aber was ich toll fand: Eine Symbiose aus Chaosclub, Erfahrungen (in Herzlake über Gütersloh, Ulm nach München), Erfolgen und schließlich der Atmosphäre, den Gleichgesinnten, der Stimmung, im Alten wie auch im neuen Stadion und das ist der Grundstein weshalb ich 96 Fan bin.
    Wenn man aber wie heutzutage Woche für Woche den Boden unter den Füßen wegbröckeln sieht, man erkennt wie machtlos man dem Verfall des Fußballs im Spiel der Konzerne zusehen muss, dann kann ich gut verstehen wenn sich ganze Fangruppen Stück für Stück davon verabschieden, einsehen, dass es nicht mehr "echt" ist und in der Zweitvertretung, quasi ersten Mannschaft des wirklichen e.V. ihre neue aber heile Fan-Welt suchen. Ich selbst glaube, wenn der Trend sich erhärtet und der Weg des modernen Fußballs als Show/Event fortgesetzt wird, ist es nur noch eine Frage der Zeit bis sich viele auch in Hannover Gedanken machen werden ob es nicht sinnvoller erscheint dieses Spektakel zu verlassen um den sich zum Ende neigenden Weg zu verlassen um auf neuem Pfad von vorne anzufangen. Ohne gekünstelte Show, aber mit günstigen Eintrittspreisen, Bier, Bratwurst und Tribüne. Mit Freiheiten, Spaß, Fahnen, Mitgestaltung und trotzdem gutem Fußball.
    Was denkt ihr?

  • Super Beitrag! Kann dem fast komplett zustimmen.


    Mal die Frage an mich, wie bin ich fan geworden?


    Das erste Spiel an das ich mich erinnern kann war 1989 ein 0:0 gegen die Kickers aus Stuttgart. Zweitligafußball vor kaum mehr als 5.000 Zuschauer. Ich war mit meinem älteren Cousin da und war fasziniert von dem einzigem vollen block im Stadion: H31 - wenige Jahre später (ab dem Pokalsieg 1992) durfte ich alleine ins Stadion. War bei fast jedem Heimspiel in H31, rauchte dort heimlich meine erste kippe und so und wurde zu einem leidenschaftlichem Fan - ganz ohne Komerz aber aus vollster Überzeugung wurde der Verein ein Mittelpunkt meines lebens.


    Dann der Abstieg in die Regionalliga, wo Tränen flossen. Gerade hatten wir 4:0 gewonnen und der ganze H31-Block stürmte zum Spielfeld. Die Rechnung hatten wir dabei ohne den Wirt gemacht. Der Verein war nach dem Pokalsieg endgültig zu einem Chaosverein mutiert, die zeitungen schrieben nichts gutes mehr - ich kaufte aus Protest meine erste eigene Dauerkarte.
    So ging es damals doch vielen von uns. Der Verein lag am Boden, die Fanszene lag am Boden und es wuchs glorreiches wie Phönix aus der Asche. Ich fuhr ohne Erlaubnis mit meinem 14-jährigem Bruder zu den ersten Auswärtsspielen, lernte neue Leute kennen, regelmäßig waren weit über 10.000 Zuschauer im Stadion. Fußball war nur geil - ohne jeglichen Komerz. Fans hatten Freiräume ohne Ende (manchmal denke ich fast zu viel) und hatten in Celle, Nordhorn, Göttingen und wo auch immer Spaß.


    Von diesem Spaß ist immer mehr verloren gegangen. Heute muss man mit so einer komischen Karte in einer Arena bezahlen(hab ich bisher fast jnie gemacht, und werde es auch fasst nie machen), wo man seine GmbH anfeuert. Dort wo früher im Block über Fußball gestritten wurde versteht man heute sein eigenes Wort nicht mehr. Der 'Fan of the Match' ist meist irgend so ein Clown, der gar nicht weiß, was Fanleidenschaft bedeudet.


    Ich kann mir sehr gut vorstellen irgendwann wieder in einem alten Stadion (aus dem Niedersachsenstadion wird das Eilenriedestadion) bei bar bezahltem Bier und Bratwurst meinen Verein zu unterstützen. Wie heißt es so schön: Es muss ja nicht die Bundesliga sein ...


    Trotzdem gebe ich die Hoffnung vorerst nicht auf, dass sich der Verein / die GmbH wieder seinen Wurzeln entsinnt und einen Schritt auf uns Fans zugeht.


    Wenn nicht bleibe ich im herzen ein Roter, der seinen schwarz-weiß-grünen Verein auf ewig treu bleibt und diese Leidenschaft jede Woche bei dem Oberligateam lebt.

  • Ich glaube nicht, dass der Verzicht auf die Profimannschaft durch den regelmäßigen Besuch bei der "Zweiten" wirklich erzetzt werden kann. Klar, es ist dann immer noch 96, einige Freunde sind mit im Stadion und das Bier kann sogar mit Bargeld bezahlt werden, aber irgendwie fehlt dann doch etwas, oder?


    Mein 96-Interesse ist wieder gestiegen, seit ich nicht mehr zu den Spielen hingehen kann. Als ich noch in Hannover gewohnt habe, war es eine unmögliche Vorstellung einfach aus Unlust an dem ganzen Kommerztrubel zu Hause zu bleiben, obwohl sich 96 für mich immer mehr verfremdete. AWD-Arena, Chipkarte, [die roten], etc... alles das mochte ich nicht. Als ich im August mal wieder bei einem Heimspiel war, gefiel mir das auch nicht so recht, das war für mich nicht das "Zuhause", auswärts fand ich es aber klasse.


    Ich habe jetzt jedes Wochenende wieder das alte "Fußballglück". Marode Stadien, fast frei von Kommerz, ganz viel Fankultur und das reine Spiel, nur Bier gibt es leider nicht. Für einen Verein kann ich mich inzwischen so richtig begeistern, aber trotzdem schaue ich zu allererst, was die Profis von 96 machen.

    2 Mal editiert, zuletzt von Florian ()

  • Gedanken, die ich mir so oder so ähnlich auch schon gemacht habe. Aber dafür ist mir der Verein (Kapitalgesellschaft) doch nocht nicht entfremdet genug. Ich schaue auch auf die Ergebnisse der Amateure und ärgere mich wenn sie verlieren und freue mich, wenn sie gewinnen, aber das ganze ist bei den Profis jeweils etwa um den Faktor 1000 stärker. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht weil ich mich gerne mit Freunden und Bekannten "messe", die Fans von Bremen, Bielefeld oder Hamburg sind. Ich kenne nun mal keinen aus Cloppenburg.


    Bei den Amateuren habe ich einfach nicht das Gefühl, daß ich mit der Vorgängerelf in der Regionalliga zugejubelt habe, auch wenn sie dieser vielleicht sehr viel näher kommt, als die heutige. Word-Bild-Marken und Zeugs können das Bild zwar trüben, aber noch lange nicht zerstören, da gehören schon schwerere Geschütze dazu (Umbenennung ala Österreich z.B.).

  • gehören die amas nicht auch schon zur "firma"? auf der seite liest sich das irgendwie so:


    Zitat


    GB 2: Amateure und Nachwuchs
    Wie der Name schon sagt, geht es hier um die Förderung des Nachwuchses von Hannover 96. Eine besondere Rolle spielt dabei der Aufbau der Talente, die perspektivisch eine Chance auf einen Platz im Profikader haben. Diese Abteilung gehört ebenso wie die Profiabteilung zur Hannover 96 GmbH & Co KGaA.
    [URL=http://www.hannover96.de/CDA/struktur,649,0,,de.html]quelle[/URL]

  • Ich will jetzt hier nicht anfangen zu erzählen, wie ich Fan geworden bin oder irgendwas in der Art. Dafür gibt es andere Threads...
    Ich will einfach mal deinen Beitrag würdigen, Lasse.
    Mich persönlich nervt es natürlich auch dieses ganze Event-Zeug und Kommerz ohne Ende, aber die Frage, wovon ich eigentlich noch Fan bin, habe ich mir, so in der Form, noch nicht gestellt. Darüber werde ich wohl in nächster Zeit öfters mal nachdenken.
    Danke für diesen Denkanstoß und diesen sehr sehr sehr gelungenen Beitrag :respekt::anbeten:

  • lasse


    Du hast sicherlich mit vielem von dem Recht, was Du da schreibst.


    Das Problem an der Sache ist, um es philosophisch zu machen ...


    ... wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen.


    Viele der Veränderungen, die Du ansprichst, nehme ich ebenso wahr, einiges sehe ich etwas bis deutlich unkritischer, anderes stellt sich für mich ebenso wie für Dich als Kröte dar, die man einfach schlucken muss(te), weil man eh keine andere Wahl hat(te).


    Man ist mit dem Verein aufgewachsen, ich bewusst seit etwa 1987 und man hängt einfach daran, ohne groß beschreiben zu können, wie diese Liebe zu 96 eigentlich entstanden und gewachsen ist.


    Das Chaos, Auf- und Abstiege, Spiele vor wenigen tausend Zuschauern im Nds-Stadion, Tränen, Freude etc. ... jeder kennt das, egal wie alt er/sie ist, wenn man sich dem Verein unwiderruflich verbunden fühlt.


    Die Frage, welche ich mir stelle ist, inwieweit die Veränderungen noch fortdauern werden und wie sie sich tatsächlich auswirken.


    Der schleichende Prozess den Du bezgl. der Ultras in den verschiedenen Vereinen beschreibst zeigt doch eines ganz deutlich:


    Die Ultras brauchen den Fussball ... pur, unverfälscht.


    Da bin ich noch ein Stück komfortabler aufgehoben, ich brauche Hannover 96. Möglichst pur und unverfälscht.


    Selbst das ist aber bereits eine wesentliche Unterscheidung zu Deiner Person.


    Aber braucht Hannover 96 eigentlich seine Ultras und wie verhält es sich bei den anderen Vereinen im Profifussball ?


    Da befindet sich doch der Haken, denn Kommanditgesellschaften, ausgegliederte Profiabteilungen und börsengeführte Unternehmen brauchen keine Ultras.


    Sie haben aus Ultrasicht doch eigentlich auch schon ohnehin das verloren, was sie vorher als Verein noch hatten, nämlich ihre Seele.


    Als Seelenersatz taugt vielleicht noch ganz gut die Mannschaft, aber das Angesprochende ist ja leider nicht das einzige Problem, was die Ultraszene hat.


    Ich erlaube mir eine Vermutung:


    Obwohl mir die Übersicht in dieser Thematik eigentlich fehlt, scheint mir halt doch eines offensichtlich ... die Ultras sind satt.


    Es waren einfach zuviele Spruchbänder, Demonstrationen und Proteste gegen die Entwicklung, die aber letztendlich die Vereine auf ihren Weg in den Kommerz ohne große Bindung zur Tradition nicht sonderlich groß aufgehalten haben.


    Kleinere aber durchaus achtbare Erfolge wurden dennoch erzielt, insbesondere wenn die restliche Fanszene, die sich sonst etwas mehr zurückhält, ebenso mobilisiert werden konnte, in Hannover beispielsweise bei dem Widerstand gegen die blauen Trikots.


    Wirklich mürbe gemacht wird die Szene derzeit aber vor allem durch die restriktive Handhabung bei Stadionverboten, Gefährderansprachen, Meldepflichten und aufgrund der ihr widerfahrenden Behandlung durch die Sicherheitskräfte an Spieltagen ... inklusive der latenten Gefahr, für wenig bis nix von solchen (... prinzipiell und rechtmäßig einwandfrei angewandt, sicherlich sinnvollen...) Maßnahmen betroffen zu sein.


    Auch untereinander scheint es (zumindest für Außenstehende ist dies zu vermuten) einiges an Zwist gegeben zu haben, der in der gemeinsamen Sache wohl niemanden so recht voran gebracht hat.


    Wie auch immer ... ohne weitere Mutmaßungen anzustellen, bleibt immer noch die Frage offen, wie es weitergeht.


    Ich habe inzwischen einen Bengel zu Hause, der sich etwa in dem Alter befindet, in welchem ich auch angefangen habe, ins Niedersachsenstadion zu pilgern.


    Wie lernt er Fussball eigentlich kennen, wie Hannover 96 und die Kurve?


    Sicher, Schal- oder Doppelhalterparaden mit einem DH in den eigenen Händen (wenn sie ausgeteilt werden), sind eine große Sache für ihn.


    Aber das Niedersachsenstadion kennen er und seine Alterskameraden schon als AWD-Arena, ich befürchte Hasseröder wird demnächst seine bevorzugte Marke und den Verein als Verein lernt er schon mal gar nicht kennen.


    Während mir aus der damaligen Zeit heute noch in jeder Halbzeitpause lediglich die lieblos gebrüllte Werbebotschaft von "Nashua Kopierer- und Faxgeräten" durch die Rübe schwirrt,l so lernen er und die anderen Steppkes immer mehr das "Event" kennen, ohne daß man dieses selbst groß verhindern kann.


    Seine Erfahrungen sind halt andere, die Kurve hat sich verändert, die Zuschauer, das gesamte Erscheinungsbild.


    Ultras findet er aber toll ... ohne zu begreifen, was jetzt eigentlich so genau "Ultra" ist.


    Außerhalb der Bedeutung merkt er, daß man sich irgendwie nochmal vom Rest der Kurve hervorhebt und den Namen "von dem Typen auf dem Zaun" wollte er gleich am ersten Tag wissen. Er hat ihn bis heute behalten, auch wenn der Name sich zwischenzeitlich verändert hat.


    Wo ist die Seele eigentlich geblieben, die mich/uns so geprägt hat, wenn es einem Großteil der Kinder heute aber schon nicht mehr schwer fällt, jährlich bis wöchentlich und je nach Erfolgsgrad der "Lieblingsmannschaft" die Farben zu wechseln, als wenn man vor einer Spielkonsole sitzt ?


    Vielleicht sogar ein Stück in der Kurve selbst !?


    Und was also würde es für meinen Junior und andere Kinder seine Alters bedeuten, wenn ein organisierter und somit wesentlicher Bestandteil der Kurve wegbricht, wenn keine Ultras mehr da sind und damit ein Stück Fankultur (wenn auch der zweifelsfrei jüngeren Kultur) die Segel streicht ?


    Der größte Teil würde es wahrscheinlich gar nicht merken, die Fankultur würde sich halt anders entwickeln und die Ultras würden sich selbst, auch wenn es hart klingt, zur Modeerscheinung deklarieren.


    Ob das egal ist, oder gar gut ?


    Ich denke eben nicht, denn die Entwicklung der Fankultur würde sich sicherlich mit den kommenden Generationen noch weiter in die Kundenecke verschieben, die Tendenz dazu hat sich in den letzten zehn Jahren sowieso schon rasant entwickelt.


    Für Hannover gesprochen, wir brauchen eine funktionierende Fankultur, in der die Ultras weiterhin einen verlässlichen und festen Bestandteil ausmachen.


    Auch und gerade im Hinblick auf die Veränderungen, die sich innerhalb ihrer eigenen Strukturen und aufgrund des Generationenwechsels in der Fanszene insgesamt ergeben.


    Ansonsten dürfte es zukünftig noch deutlich schwieriger werden, an den Stellen wo Widerstand angezeigt ist, diesen auch zu organisieren und durchzuführen ... mal ganz unabhängig davon, daß die Kurve nicht nur an Farbe verlieren würde.


    Schon heute kann man nämlich teilweise beobachten, was geschieht, wenn nach dem Verein nun auch noch die Fanszene beginnt, ihre Seele zu verlieren.


    Animateure, Clowns und weibliche Damenakrobatik mit dämlichen Maskottchen sind noch der harmlose Teil eines Events. Viel beängstigender ist Stille, die sich in den Stadien zwischen den Unterhaltungsteilen, also während des Spiels, weiter breit machen würde.


    Wie auch immer ... klar ist für mich auch, daß weitere Abstriche (auch in Reihen der Ultras) notwendig sind und somit vielleicht noch einige Kröten geschluckt werden müssen.


    Ziele sollten bereits unter Erreichung von Kompromisslösungen bzw. unter Einbeziehung der gesamten Fans im Vorfeld formuliert werden, um eben die Fanszene zu einer mächtigeren Stimme vereinen zu können.


    Abseits des Ultragedankens gibt es noch genug andere, die den Fussball und seine Entwicklung mindestens ebenso kritisch sehen, aber vielleicht an einigen Stellen nicht ganz so extrem sind und sich somit auch nicht ganz so sehr aufreiben.


    Die Ultras alleine stehen jedoch da, wo sie jetzt sind, beinahe schon am Anfang vom Ende ... Deinem Eingangsstatement nach nämlich bei der Sinnfrage an sich.

  • Ein großes Problem ist wohl, dass sich die Ultras in Deutschland zu einer falschen Zeit konstituierten (zu spät). Mitte oder Ende der 90er war ein Prozeß bereits gewaltig im Gange, der zum Event und totalen Kommerz hinführte und den man nicht mehr aufhalten konnte, höchstens mal verlangsamen konnte. Zunächst war man ein kleines eher unbedeutendes Häufchen in der Kurve, oft sogar gar nicht im Fanblock sondern bewusst abseits von den klassischen Fans positioniert. Das war keine gute Voraussetzung von anderen Fans akzeptiert zu werden und mit diesen über Ziele und Werte in die Diskussion zu treten. Es gab sicherlich gute Gründe für etwas komplett neues auch einen neuen Standort zu suchen, aber diesen gewaltigen Nachteil kann man nicht leugnen. Letzlich sind ja auch alle Gruppen wieder in ihren Fankurven zurück und wirken nicht mehr abseits vom elementaren Fanblock, ihr eigenes Süppchen kochend.
    Die Gruppen wuchsen und gerade junge Fans konnten sich begeistern für die Ultras, aber insgesamt waren sie vielerorts trotzdem zu labil und zu klein um für ihre Freiheiten und ihren Stil erfolgreich zu kämpfen. Über allem drohend auch noch das Damoklesschwert WM 2006. Übrigens glaubten nicht wenige führende Ultras aus diversen Szenen vor fünf, sechs Jahren, dass die Ultrabewegung die WM gar nicht erst überleben werde. Zum Glück ein Trugschluss, aber einfach war es nicht. Die Maßnahmen die einst zur (erfolgreichen) Eindämmung der Hooligangewalt entwickelt worden, ließen sich auch prima auf Ultras anwenden. Dabei wäre (und vor allem ist immer noch) eine Überarbeitung des repressiven Maßnahmenkataloges auf die "Bedrohung Ultra" ganz dringend notwendig gewesen. DFB, DFL und der Rest der Funktionärswelt hörte bisher aber leider nur auf die Polizei und einen selbsternannten alternden Fanforscher, der von der realen Lebenswelt der Ultras mit seinen Schreibtischthesen soweit entfernt ist wie Pluto von der Sonne.
    Mit Stadionverboten, Einträgen in die Datei Gewalttäter Sport, Meldeauflagen, präventiven Ingewahrsamnahmen ganzer Busladungen von Ultras etc. ist es allerdings gelungen die Ultrabewegung massiv zu schwächen, zu kriminalisieren und auch in Zukunft nach Gutdünken kontrollieren zu können. Gruppen wie die Ultras Fürth lösen sich unter dem Druck der Polizei auf, obwohl diese mitnichten ein Sicherheitsrisiko für den Fußball darstellten, Leverkusener entschließen sich auf ein Spiel in Mainz zu verzichten weil viele ihrer Leute ohne je etwas verbrochen zu haben von vorneherein vom Spiel ausgeschlossen werden und die noch Fahrenden bei ihrer Reise auch wieder massive Schikane zu befürchten haben. Viele Gruppen sind durch Stadionverbote massiv geschwächt (Frankfurt, München) und andere Gruppen (wir in Hannover zum Beispiel) stehen auch wieder vor harten Prüfungen. Wenn eine Gruppe irgendwann erkennt dass die Kapitalgesellschaft und der Fußball dem sie zujubeln kein Stück mehr mit ihen Werten zu vereinbaren ist, ist es nur ehrlich dann den eingeschlagenen Weg zu verlassen und einen neuen zu gehen. Ultras wurden oft als Selbstdarsteller verschrien, denen es nur um Action, Pyro und die Macht in der Kurve geht oder ging. Darum eine große Show vor großem Publikum abzuziehen. Genau das wird widerlegt wenn man bewusst die große Bühne Bundesliga verlässt, um anderswo ehrlich seinen Weg zu gehen.

  • Zitat

    Original von WDJ_Lasse
    Ich selbst glaube, wenn der Trend sich erhärtet und der Weg des modernen Fußballs als Show/Event fortgesetzt wird, ist es nur noch eine Frage der Zeit bis sich viele auch in Hannover Gedanken machen werden ob es nicht sinnvoller erscheint dieses Spektakel zu verlassen um den sich zum Ende neigenden Weg zu verlassen um auf neuem Pfad von vorne anzufangen. Ohne gekünstelte Show, aber mit günstigen Eintrittspreisen, Bier, Bratwurst und Tribüne. Mit Freiheiten, Spaß, Fahnen, Mitgestaltung und trotzdem gutem Fußball.
    Was denkt ihr?


    Ich möchte mal nicht auf die Problematik eingehen, was die Fanszenen und die Unzufriedenheit der Ultras angeht, sondern einige andere Punkte nennen.


    Ich sehe auf Dauer es als überhaupt keine Lösung an (für mich) sich einer Zweiten Mannschaft anzuschließen. Für mich sind die sogenannten Zweiten Mannschaften in der Regionalliga ein absolutes Ärgernis. Seltsamerweise erntet man in Hannover mit so einer Meinung oftmals nur Ablehnung. Ich bin mir absolut sicher, wenn wir als Traditionsverein in dieser Liga spielen sollten, würde es in der Fanszene ganz anders aussehen, was diesen Punkt betrifft. Sie bringen keine großen Gruppierungen an Fans zu Auswärtsspielen. Wenn es parallel ihre erste Vertretung spielt, ist absolut tote Hose angesagt auf den Rängen. Da würde es auch nicht helfen oder sich nichts ändern, wenn sich 1-2 Gruppierugen den 2. Mannscaften anschließen würden. Dann kann ma sich auf Auswärtsfahrten zwar schön den ganzen Tag selbst feiern und sich als Elite sehen, aber die Wirksamkeit einer größeren Masse erreicht man niemals. Da ich seit meinem Umzug nach Münster mir oftmals diese bescheidenen Ausgaben von Bielefeld, Leverkusen, Hamburg etc. angucken musste, weiß ich wovon ich rede. Da freut man sich wochenlang auf ein Spiel gegen Düsseldorf. Lev II will keine Sau sehen.


    Daran schließt sich das zweite große Problem an, was ich sehe. Hannovers Mannschaft spielt momentan in der Oberliga und wenn man mal absolut ehrlich ist, ist das Niveau grausam. (Ich kenne zwar nur Oberliga Westfalen, und die 96 II Spiele vor einigen Jahren, aber glaube nicht, dass es sich großartig verbessert hat). Da kann man tausendmal kommen mit ehrlichem Fussball etc. Es ist einfach teilweise ein unterirdisches Niveau. Bei den größeren Clubs in der Oberliga spielen irgendwelche ausgemusterten Altstars, die mal 43 Spiele in der zweiten Liga gemacht haben, als Opa noch jung war. Im Enddefekt sind wir ja alle doch Fussballfans, (auch wenn ich glaube, dass einige nur noch zum FuBa gehen um sich selbst darzustellen), und haben ein Interesse an einem guten Fussballspiel. Dieses wird man in der Oberliga nur in seltensten Fällen sehen. Und auch in der Regionalliga sind die Mannschaften, die gegen den Abstieg kämpfen rein vom fussballerischen her nur sehr schwer anzuschauen, wenn man nicht Augenkrebs kriegen will.


    Ich glaube über die Probleme, wie sie oben genannt werden kann man vortrefflich diskutieren und muss man auch. Ich kann auch den Ansatz von Lasses Gedanken verstehen.
    Allerdings glaube ich nicht, dass die II. Mannschaften die Lösung auf Dauer sind. Wirkliche Fussballfans werden sich nicht mehr als 1-2 Jahre mit diesem Niveau zufriedengeben und vielleicht auch erkennen, dass eine 3. LIga mit II Mannschaften einfach nur grober Unfug ist.

    • Offizieller Beitrag

    Fußball und Stimmung im Stadion gab es auch schon vor den Ultras!
    Ich meine, man muss das hier trennen: ich will niemandem zu nahe treten und ich will es auch nicht verallgemeinern, aber die Ultras sind nicht die "besseren Fans" zu denen sie sich gerne selbst machen.
    Wir haben Stimmung auch ohne Fandiktatur gemacht.
    Wie gesagt: bitte nicht falsch verstehen: was da teilweise von Vereinsseite gemacht wird ist unter aller Kanone! Und "heute ihr, morgen wir" ist immer noch gültig. Aber die Fankultur in Hannover geht ohne Euch nicht den Bach runter. Sie wird halt weiterleben, weitermachen. Denn wie gesagt: Fußball und Stimmung gab es früher ja auch ohne Euch.

  • Unter anderen Voraussetzungen. Ob für diese Fankultur wie sie vor den Ultras in Deutschland vorherrschte in Zukunft noch Platz ist, ist ja nicht selbstverständlich.

  • WDJ_Lasse hat in seiner beschreibung zwar größtenteils Recht, nur frage ich mich ob die zweite Mannschaft wirklich die richtige Lösung ist. Letztlich gehört die zweite Mannschaft genauso zu dem was Lasse kritisiert, nur macht sich das halt im Eilenriedestadion nicht so bemerkbar, aber auch nur weil für die paar Zuschauer halt nicht so ein großer Aufwand betrieben wird wie in der ersten Liga. Was ich damit sagen will: Wenn man damit, wie man von 96 behandelt wird, endgültig nicht mehr zufrieden ist, wäre es logischer, überhaupt nicht mehr zu 96 zu gehen, egal ob es nun die erste Mannschaft oder deren Reservetam ist.

  • Diskussionswürdig wären meiner Meinung nach noch Neugründungen oder eine Fußballmannschaft die noch unter den Fittichen des e.V. ist (3.Herren). Aber ich sehe den Punkt noch nicht erreicht, dass dies in Erwägung gezogen werden muss.

  • Zitat

    Original von 96Maniac
    WDJ_Lasse hat in seiner beschreibung zwar größtenteils Recht, nur frage ich mich ob die zweite Mannschaft wirklich die richtige Lösung ist. Letztlich gehört die zweite Mannschaft genauso zu dem was Lasse kritisiert, nur macht sich das halt im Eilenriedestadion nicht so bemerkbar, aber auch nur weil für die paar Zuschauer halt nicht so ein großer Aufwand betrieben wird wie in der ersten Liga. Was ich damit sagen will: Wenn man damit, wie man von 96 behandelt wird, endgültig nicht mehr zufrieden ist, wäre es logischer, überhaupt nicht mehr zu 96 zu gehen, egal ob es nun die erste Mannschaft oder deren Reservetam ist.


    Der konsequente Weg wäre der des FC United of Manchester.


    Ansonsten ist hier in ausführlichen Argumentationen schon das geschrieben worden, was ich auch schreiben würde. Svennypenny und Huan31 drücken das aus, was auch ich denke.


    Und Lasse kann ich ebenfalls verstehen, die Konsequenz wäre allerdings oben genannter Weg! Ich würde ihn wahrscheinlich nicht mitgehen.

  • @All


    Starker Thread, rhetorisch wie sachlich excellentes Niveau - eine Wohltat.


    Zu Lasse's These:


    Es ist nachvollziehbar, dass sich viele Fans solchen Gedanken hingeben. Ich allerdings gehöre dann doch eher zu denjenigen, die einen erheblichen Leidensdruck entwickeln und die gravierenden Veränderungen, die nicht weg zu diskutieren sind, noch ertragen werden. Weil es immer noch um die Mannschaft von Hannover 96 geht, für die mein Herz bereits seit Ende der 70er Jahre schlägt.


    Sollte ich irgendwann das Gefühl haben, das ganze drumherum nicht mehr ertragen zu können, werde ich tendenziell eher ganz fernbleiben. Allerdings wird man auch älter und gesetzter, vieles relativiert sich dann ohnehin.


    Das ich die gesamte Entwicklung der letzten Jahre dennoch zutiefst bedaure, steht auf einem anderen Blatt.

  • Zitat

    Original von Teppichmesser
    Diskussionswürdig wären meiner Meinung nach noch Neugründungen oder eine Fußballmannschaft die noch unter den Fittichen des e.V. ist (3.Herren). Aber ich sehe den Punkt noch nicht erreicht, dass dies in Erwägung gezogen werden muss.


    ich würde das "noch" mit einem "nur" austauschen. denn machen wir uns nichts vor, 96 II ist nichts anderes als 96 I.


    die ü-mannschaften oder bei den ganz kleinen zuschauen vielleicht noch.


    96 III ist eigentlich eine meiner liebsten beschäftigungen, allerdings sieht man auch bei denen, dass die mannschaft halt vom namen lebt. vor jeder saison wollen alle hin und zur halbserie will die halbe mannschaft weg.