11Freunde: Das Experiment

  • Das Experiment


    Hanke, Balitsch, Fahrenhorst, Brdaric, Schulz, Lauth, jetzt auch Schlaudraff und vielleicht sogar Owomoyela – Hannover 96 ist ein Auffangbecken der Fast-Nationalspieler. Doch dahinter steckt eine Rechnung, die aufgehen könnte.


    Mittlerweile wirkt die Mannschaft von Hannover 96 fast wie ein Revival des »Team 2006«, dieser fast schon vergessenen 1B-Nationalmannschaft, in der sich die Dunstkreisspieler des DFB international austoben durften. Spieler, die zweifelsohne gut waren, aber, bis auf wenige Ausnahmen, beim letzten Schritt nach ganz oben gestolpert sind. Zur neuen Saison tummelt sich nun gleich ein gutes Dutzend dieser Spezies Fußballer in der Hannoverschen AWD-Arena. Zufall ist das nicht. Denn die Verantwortlichen an der Leine treiben ein mutiges Experiment voran, dessen Ausgang wohl darüber entscheiden wird, ob Hannover 96 der ewige Schwellenklub der Bundesliga bleibt: Sie setzen konsequent auf namhafte deutsche Spieler, deren Karriere irgendwann auf dem Weg vom Talent zum Profi entgleist ist.


    Spieler wie Benjamin Lauth, der einmal als Deutschlands größte Sturmhoffnung galt. Das war jedoch zu einer Zeit am Anfang dieses Jahrtausends, als der deutsche Fußball unter einer akuten Stürmerarmut litt und auch ein gealterter Fredi Bobic plötzlich wieder mit dem Adler tanzen durfte.


    Dieser Fredi Bobic trug damals nur für genau eine Saison das Trikot der Niedersachsen und ist dennoch der eigentliche Grund, warum Hannover 96 angefangen hat, Spieler aus dem Dunstkreis der Nationalmannschaft zu sammeln.


    Einziger Star im Jahre 2002: Jan Simak


    Denn ihren Fetisch für Spieler wie Lauth und Schlaudraff haben sie in Hannover erst 2002 mit der Verpflichtung von eben jenem Bobic entdeckt. Hannover 96 war nach zwölf Jahren Irrfahrt durch Liga Zwei und Regionalliga gerade wieder in die 1. Bundesliga aufgestiegen. Trainer war der Fußball-Didaktiker Ralf Rangnick, aus dem Niedersachsenstadion war just die AWD-Arena geworden, und der einzige Spieler mit Starschnitt-Potenzial war der exzentrische Tscheche Jan Simak. Ansonsten war Hannover ein recht blasser Klub. Eine Regionalmarke, die außerhalb Niedersachsens eher mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen wurde. Egal war damals 96.


    Doch Hannover 96 hatte einen Präsidenten mit einer Vision: Martin Kind. Der Hörgerätehersteller sah die Zukunft seines Vereins in der Champions-League. Zumindest aber in der Bundesliga-Spitze.


    Zuerst musste er aber das verstaubte Image und die blässliche Gegenwart seines Vereins etwas aufhübschen. Kind brauchte streitbare Persönlichkeiten. Gesichter für einen damals um ein Profil ringenden Verein. Und so holte er Fredi Bobic aus Bolton nach Deutschland zurück. Bobic, der einmal die magische Spitze eines noch magischeren Dreiecks gewesen war und eine Torjägerkanone im Schrank stehen hat, schaffte in Hannover ein viel beachtetes Comeback, erzielte vierzehn Treffer, sicherte Hannover den Klassenerhalt und schaffte es nach vier Jahren wieder in den Dunstkreis der Nationalelf: Bundestrainer Rudi Völler nominierte das gealterte Eineck wieder für Deutschland.


    Kinds Plan war aufgegangen: Über Hannover 96 wurde endlich wieder geredet. Ohne Schulterzucken. Und mit Bobics Namen in Völlers Notizbuch wurde 96 plötzlich in einem Atemzug mit der DFB-Auswahl genannt. In diesen Monaten muss Martin Kind auf den Geschmack gekommen sein: Deutsche Spieler mussten her.


    Kind wollte große Namen für seinen Verein. Namen mit Strahlkraft gegen das Schattendasein. Zumindest aber, für den Anfang, Spieler, die wussten, wie es sich anfühlt, Titel zu holen, Bundesliga-Spitze zu sein. Wieder wurden die Niedersachsen in England fündig: Michael Tarnat kam aus Manchester. Es war eher die kleine Lösung, doch immerhin hatte dieser Tarnat mal die Champions-League gewonnen. Dazu holten Kind und Hannovers neuer Manager Ilja Kaenzig noch Robert Enke aus Teneriffa und einen völlig unbekannten Zivildienstleistenden aus der eigenen Jugend: Per Mertesacker.


    Der Präsident hatte endgültig damit begonnen, sich seine eigene kleine Nationalmannschaft zu basteln. Hanno Balitsch, Frank Fahrenhorst und Thomas Brdaric. Hannover verpflichtete in den Folgejahren nahezu jeden Nationalspieler, der auf den Markt gespült wurde.


    Hochstätter und Hecking basteln weiter


    Kind wurde in dieser Zeit entmachtet, hat aber mittlerweile seinen ganz persönlichen Berlusconi gemacht und ist seit seinem Comeback merklich ruhiger geworden, im Frühling 2008 nur noch die stille Macht im Hintergrund. Fast scheint es so, als wolle das Kind nicht mehr selbst basteln. Dafür haben zwei ehemalige Gladbacher Schere, Kleber und eine goldene Kreditkarte in die Hand bekommen: Christian Hochstätter und Dieter Hecking.


    Und diese beiden scheinen wie niemand zuvor das Projekt Hannover Deutschland verinnerlicht zu haben. Nicht nur das. Sie haben das Beuteschema ihres Präsidenten noch verfeinert, treiben die Jagd noch rastloser voran.


    Allein vor der Saison wechselten neben Benjamin Lauth auch noch Mike Hanke und Christian Schulz nach Hannover – zusammen mit Ablöse und Gehalt für mehr als zehn Millionen Euro. Wenn man das Äußerlich beiseite lässt und nur ihre Karrierewege vergleicht, wirken diese drei wie Klone: Alle haben schon bei den Klubs gespielt, mit denen Hannover sich messen möchte, und allen haftet, wenn auch nur noch ganz schwach, der Geruch des Bundesadlers an.


    Hannovers Dunstkreisspieler teilen aber vor allem das gleiche Schicksal: Die geknickte Karriere.


    Lauth hat einmal das Tor des Jahres geschossen, beim Eröffnungsspiel der Allianz-Arena. Das war sein Karriere-Highlight. Danach ist er beim HSV gescheitert, in Stuttgart auch. Er ging nach Hannover. Christian Schulz ist so etwas wie Bremens ewiges Talent gewesen. Irgendwann sollte er in der Werder-Raute Frank Baumann beerben. Immer wieder stand er ganz dicht vor dem Durchbruch, tauchte im Notizbuch des Bundestrainers auf und wurde wieder ausradiert. In Bremen stieg er in der internen Hierarchie zum ewigen Linksverteidiger auf, dann saß er hinter Wome auf der Bank. Auch er ging nach Hannover.


    Hanke war mal bei Schalke. 2005 flüchtete er vor Kevin Kuranyi und ging nach Wolfsburg, wurde oft für seinen vorbildlichen Einsatz gelobt. Ein vernichtendes Urteil für einen Mittelstürmer. Hannover hat ihn trotzdem geholt. Hanke hat noch am ehesten das Bobic-Potenzial.


    Win-win-Situation für alle Beteiligten


    Christian Hochstätter steht jedenfalls zu seiner Transfersuchmaske und spricht von einer Nische, die Hannover damit bedient. Diese Taktik könnte durchaus funktionieren: Denn das Experiment Hannover 96 wirkt nur oberflächlich wie ein von Altruisten gegründetes Hospiz für psychisch angeknackste Jungprofis.


    Spätestens auf den zweiten Blick wird klar: Hochstätter und Hecking holen diese Spieler ganz bewusst. Hannover ist für Spieler wie Schulz die letzte Möglichkeit, die Karriere zu begradigen. Sie müssen es sich und wollen es den anderen noch einmal beweisen. Und während sie sich mit aller Macht aus dem Morast des eigenen Scheiterns befreien, ziehen sie auch den Verein aus dem gräulichen Einerlei der Gleichgültigkeit. Win-win-Situation würde der Unternehmer Kind jetzt sagen. Aber der schweigt ja, meistens.


    Nur einmal hat er in den vergangen Wochen das Wort ergriffen und eine klare Forderung an seine Untergebenen gestellt: »Es muss mit den großen Namen jetzt immer so weiter gehen.«


    Sie gehorchten und holten Jan Schlaudraff. Mit dem in München gescheiterten Lieblingskind Heckings kommt natürlich wieder einer mit Knick im Karriereplan.


    Und Hochstätter hat schon wieder die abgerundete Schere in der Hand. Immer weiter basteln. Der nächste auf der Liste ist Bremens Patrick Owomoyela. Der hat schon elf Mal für Deutschland gespielt und ist nach Monaten im Schatten von Clemens Fritz in eine Art Schockstarre verfallen. In Hannover würden sie ihn wieder auftauen.


    Mit Schlaudraff, U21-Torwart Fromlowitz und Owomoyela würden zur neuen Saison dann immerhin zwölf ehemalige und Fastnationalspieler für Hannover spielen. Womit sich der gesamte Dunstkreis der Nationalelf nach Hannover verlagert hat – und Kind endlich mit seiner eigenen DFB-Elf spielen kann.