Das war ein sehr wichtiger Sieg. Das war auch ein sehr glücklicher Sieg. Versteht mich nicht falsch, das soll kein Vorwurf sein. Aber mehrere glückliche Umstände sind zusammengekommen, und das war heute auch bitter nötig gewesen.
Der Spielbeginn hat mir erstmal überhaupt nicht gefallen. Hult wurde schon nach sechs Minuten vom Schiedsrichter ermahnt, bei Einwürfen nicht auf Zeit zu spielen. Die Ratlosigkeit bei eigenen Einwürfen war greifbar. Wie seit Jahren schon. Hamburch hat dann mit einem sehr schönen Spielzug inklusive Doppelpaß und Flanke ein Tor erzielt, das zurecht wegen Abseits nicht gegeben wurde. Da waren zehn Minuten rum. Nach einem Beinahe-Eigentor von Ochs wurde der Ball kitzelig von Muroya geklärt. Der Kaiser außenriste den Ball sofort gekonnt in den Lauf von Beier, der durchlief und abschloß. Pech mit der Parade an den Pfosten, Glück jedoch, daß Maina durchlief und trotz 2:5-Unterzahl abstauben konnte. Da waren zwölf Minuten rum.
Als tief verteidigendes Konterteam - und nichts anderes hat 96 heute gespielt - ist eine Führung gegen den spielerisch überlegenden Favoriten Gold wert. Der Zwischenstand spielte also glücklicherweise 96 in die Karten. Bei einem Rückstand hätte Hannover selber kommen müssen, und es wäre ein ganz anderes Spiel geworden.
Und fortan gefiel mir das Spiel der Roten auch besser. Dabrowski hat dem Team einen sehr sehr einfachen Spielplan mit auf den Weg gegeben (immerhin ein Spielplan): Im eigenen Sechzehner wird der Bus geparkt. Hamburg darf alles und überall machen, auch von der Eckfahne flanken, nur im Strafraum soll Schluß mit lustig sein. Franke und Krajnc als Innenverteidigerpärchen ist klar, die Außenverteidiger immer wieder weit mit eingerückt, direkt vorm Strafraum drei Mittelfeldspieler, die 25 Meter vorm Tor die gesamte Spielfeldbreite verteidigten. Das ging tatsächlich auf. Den ersten regelkonformen Torschuß der Gäste gab es erst nach 37 Minuten oder so. Und die Konteridee war auch die simpelste, die man sich nur vorstellen kann: Die beiden Flügelverteidiger Maina und Beier sollten die Linie entlang geschickt werden und sich innerhalb von 70 Minuten die Lunge aus dem Hals rennen. Einfach nur geradeaus sprinten, meistens alleine, immer wieder. Dafür wurde der klassische Zehnerraum k-o-m-p-l-e-t-t freigelassen und aufgegeben. Ein Rückschluß darauf, warum Kerk oder Muslija heute nicht gespielt haben. Ihr Territorium war im heutigen Plan einfach nicht vorgesehen.
Das Gästeteam hat mir auch gut gefallen. Es hatte nicht nur Ballbesitz, sondern auch viel Variabilität und Bewegung im Spiel. Die Außen wurden situationsweise blitzschnell überladen, einer hinterlief den anderen. https://bilderupload.org/image/4a6416037-bewegung.jpg Einzig den geparkten Bus haben sie nicht aus dem Sechzehner rausgekriegt. Das ist eigentlich das einzige Manko gewesen. Bloß war es halt das spielentscheidende Manko.
Zur Einzelkritik: Hansen hat mir heute gut gefallen. Das lag sicherlich daran, daß seine Schwächen im Spielaufbau diesmal nicht aufgefallen sind, dafür hat er ein paar Flanken sicher aufgenommen. Franke und Krajnc haben sich weitgehend wacker geschlagen, immer im Hinterkopf, daß sie nicht in Sprintduelle verwickelt wurden und die gesamte Mannschaft nichts anderes als weit zurückgezogen Verteidigung gespielt hat. Hult und Muroya hatten viel zu tun, weil sie immer in die Mitte einrücken, nach außen rausrücken und nach vorne mitrücken mußten. Hamse gemacht. Hult zog sogar noch einen Lauf in der 92. bis zum Strafraum durch, die alte Lunge. Ondoua zentral war weder schlecht noch übermäßig auffällig. Ochs links hat seinen Part erfüllt. Kaiser hat für mich ein gutes Spiel gemacht, hat defensiv seine Aufgabe erfüllt, das 1:0 vorbereitet, mit einem übereifrigen Fallrückzieher zwar Beier den Ball geklaut, wäre aber auch bei Mainas Hereingabe in der zweiten Hälfte der Abnehmer gewesen. Der Mann ist gelaufen und hat auch Spitzen nach vorne gesetzt, er war heute fast ein Mini-Pinto. Maina und Beier hatten eine anstrengende, aber einfache Aufgabe als Flügelverteidiger. Ihre Doppelauswechslung nach 70 Minuten wird Teil des Spielplans gewesen sein. Ennali konnte dank der Spielsituation seine Schnelligkeit zeigen, hat er gut gemacht; ob er auch gegen zurückgezogene Abwehrreihen durchkommt, war heute nicht zu klären. Hinterseer war hingegen wieder nur dabei. Er hatte 31 Ballkontakte (nicht zu wenig), aber praktisch alle im breiten Korridor zehn Meter vor bis zehn Meter hinter der Mittellinie. 58% Paßquote und 43% Zweikampfquote geben ein Gefühl dafür, daß bei ihm Endstation gewesen ist. An der Mittellinie. Das war bei Maina und Beier prinzipiell auch der Fall, bloß sollten sie keine Bälle festmachen, sondern touchdownmäßig nach vorne tragen. Mike Frantz sieht aus wie David Bowie.
Die Spielerwechsel waren allesamt leicht nachvollziehbar: Es sollte nix verändert oder angepaßt werden, es gab diesen einen Plan A, der durchgezogen wurde, die Sprinter wurden nach 70 Minuten ersetzt, der von Krämpfen geplagte Ochs wurde rausgenommen, und der letzte Wechsel nahm in der Nachspielzeit nur Zeit von der Uhr.
Genauso wie heute hatten sie auch vor zwei Wochen schon gekämpft. Heute hatten sie halt das Glück auf ihrer Seite. Rückschlüsse auf die kommenden Spiele gibt es aber nicht. Schon Ingolstadt wird vermutlich einen ganz anderen Fußball spielen und 96 daher vor ganz andere Aufgaben stellen.
Mit 122 gelaufenen Kilometern und 31% Ballbesitz ein Torschußverhältnis von 7:8 zu erkämpfen, mit dem einen Glückstor vorne und relativ wenigen kitzeligen Brennpunkten hinten, das war Absicht und hat diesmal geklappt.